Anlass zur Unruhe

Seit dem Ende der Jasmin-Revolution in Tunesien hat der Druck auf tunesische Christen im Land zugenommen. Beobachtungen von Katharina Pfannkuch aus Tunis

Von Katharina Pfannkuch

Das Ultimatum war unmissverständlich: "Ihr habt drei Tage Zeit, um zum Islam zu konvertieren und das Kreuz von Eurer Kirche zu entfernen. Ansonsten werdet Ihr eine Schutzsteuer zahlen!“

Nicht nur diese Drohung eines radikalen Muslims an Dimitry Netsvetatev, Priester der russisch-orthodoxen Kirche in Tunis, sorgte im vergangenen Jahr für Schlagzeilen in den tunesischen Medien: Drohbriefe erreichten die Gemeinde, Kreuze an der Fassade der kleinen Kirche wurden mit Müllsäcken bedeckt.

"Seit der Revolution herrscht in Tunesien Meinungsfreiheit", sagt William Brown, Pastor der französischen reformierten Kirche von Tunis, "doch die gilt eben auch für islamistische Extremisten."

Anhänger des radikalen Islam nutzen die neue Freiheit und verunsichern die christlichen Minderheiten. "Viele tunesische Christen sind beunruhigt und vermeiden es, in der Öffentlichkeit über ihren Glauben zu sprechen", erklärt Brown, der seit elf Jahren mit seiner Familie in Tunesien lebt.

Rund 35.000 Christen aus 80 Nationen leben in Tunesien. Es ist eine kleine, aber bunt gemischte Gemeinschaft: Neben der reformierten und der orthodoxen Kirche sind auch Katholiken vertreten: Alleine 40 katholische Pfarrer sind landesweit aktiv.

Kein ungefährliches Terrain

"Es gibt zwar keine Verfolgung von Christen von staatlicher Seite, aber im privaten Umfeld erfahren tunesische Christen viel Ablehnung", meint der anglikanische Pfarrer Bill Musk, der die St. Georges-Kirche in El Hafsia leitet.

Auch die anglikanische Kirche ist Teil der christlichen Minderheit Tunesiens. Ihr steht Pfarrer Bill Musk vor, der seit fünf Jahren die St. Georges-Kirche in El Hafsia leitet. In diesem Viertel von Tunis sind die Straßen eng und staubig, von den Fassaden bröckelt der Putz. Straßenkriminalität gehört in diesem Stadtteil zum Alltag.

"Es ist nicht ganz ungefährlich hier", sagt Bill Musk, "aber unsere Tür steht immer offen." Schon von weitem ist das Kreuz der St. Georges-Kirche über den Dächern von El Hafsia zu sehen.

Angst vor religiös motivierten Angriffen oder Drohungen, wie sie sein russisch-orthodoxer Kollege Netsvetatev erlebte, hat Pfarrer Musk jedoch nicht: "Für ausländische Christen hat sich die Situation seit der Revolution kaum verändert."

Knapp 300 Mitglieder zählt die anglikanische Gemeinde in Tunis, die meisten von ihnen stammen aus den subsaharischen Staaten. Seit 2003 befindet sich das Hauptquartier der afrikanischen Entwicklungsbank in Tunis. Ihre Mitarbeiter und deren Familien stellen neben Europäern und Amerikanern die Mehrheit der Christen im Land.

Doch die St. Georges-Kirche ist nicht nur Anlaufpunkt für Ausländer. "Tunesier, die sich für das Christentum interessieren, kommen ebenso zu uns wie tunesische Muslime, die an ihrem Glauben zweifeln oder einfach Rat suchen", erzählt Bill Musk.

Vom Klima der Angst zum Auftrieb des Islamismus

Auch William Brown von der französischen reformierten Kirche kann keine nennenswerten Auswirkungen des aufstrebenden Islamismus im Alltag feststellen. Tunesische Christen spüren dies dafür umso deutlicher, sind sich die beiden Geistlichen einig: "Vor der Revolution gab es keine Meinungsfreiheit in Tunesien, es herrschte ein Klima der Angst", erinnert sich Musk.

Mit dem Fall des Regimes fiel auch die Mauer des Schweigens – und nicht nur die: "Die neue Freiheit, zu sagen und zu tun, was man will, wird leider auch von einigen ausgenutzt." Eben jene neue Freiheit verschafft auch den religiösen Extremisten Auftrieb.

Ben Ali beschränkte die Rolle der Religion in Politik und Gesellschaft, der Islamismus wurde bekämpft. Jahrzehntelang wurden Anhänger des moderaten politischen Islams, vor allem der "Ennahda"-Bewegung massiv unterdrückt. Das erklärt auch den Erfolg der „Ennahda“ bei den ersten Wahlen nach dem Sturz Ben Alis im Oktober 2011, der auf die Solidarität der Bevölkerung mit der jahrzehntelang verbotenen Organisation zurückzuführen ist.

Vielfältige und heterogene christliche Glaubensgemeinschaften: Neben der reformierten und der orthodoxen Kirche sind auch Katholiken vertreten: Alleine 40 katholische Pfarrer sind landesweit aktiv. In Tunesien leben rund 35.000 Christen aus 80 Nationen.

Der Aufstieg des politischen Islams bis in die Regierung Tunesiens ebnete auch extremistischen Positionen im gesellschaftlichen Alltag den Weg. "Tunesische Christen sind Konvertiten", erklärt Pfarrer Musk, "sie haben also den Islam zugunsten des Christentums verlassen."

Rauer Wind für Tunesiens Konvertiten

Eine Entscheidung mit Konsequenzen: "Verfolgung von staatlicher Seite gibt es zwar nicht, aber im privaten Umfeld erleben tunesische Christen viel Ablehnung", so Musk. Auf offizieller Ebene werde zwar versucht, auch tunesische Christen in die Neuordnung des Landes einzubeziehen, meint der Pfarrer: "Mitglieder der Verfassungsgebenden Versammlung baten bei uns um Kontakte zu tunesischen Christen, um deren Meinungen zur zukünftigen Minderheitenpolitik zu hören."

Damit solle ein Zeichen gesetzt werden. Doch an dem rauen Wind, der den Konvertiten im Alltag entgegenweht, ändert auch dieser offizielle Vorstoß nur wenig. Ins Detail möchte Musk dann auch nicht über tunesische Konvertiten in seiner Gemeinde gehen: "Es kann gefährlich für sie werden."

Auch William Brown kennt die Gefahren für tunesische Christen. "Familien und Arbeitskollegen setzen sie unter Druck, sie werden Opfer von Verfolgung und Drohungen."

Einige Übertritte zum Christentum hat Brown selbst miterlebt. "Oft sind es junge Tunesier, die sich zum Christentum bekennen. Einige von ihnen wenden sich vom Islam ab, weil sie den radikalen Islamismus ablehnen. Andere erhoffen sich von einer Konversion die Möglichkeit, leichter nach Europa zu gelangen", erzählt Brown. Doch die wahren Motive kenne nur Gott", resümiert Pastor William Brown.

Allerdings müssten sich Tunesiens Christen den gegenwärtigen Herausforderungen stellen und sich in der Phase des demokratischen Aufbaus entschieden gegen radikale Strömungen zur Wehr setzen: "Sie sollten genau abwägen, mit wem sie über ihren Glauben offen sprechen können. Sie müssen sich besser vernetzen und gegenseitiges Vertrauen aufbauen." Vertrauen, das der anglikanische Pfarrer Bill Musk täglich beweist: Die Türen seiner Kirche in El Hafisa sollen auch weiterhin für jeden offen stehen.

Katharina Pfannkuch

© Qantara.de 2013

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de