Grenzenlose Klangwelten

Während der Revolution war das kulturelle Leben in Ägypten weitgehend zum Stillstand gekommen. Nun hat sich die Kulturszene zurückgemeldet. Auf dem Jazz-Festival in Kairo wurde beides gefeiert - Musik und Revolution. Amira El Ahl war dabei.

Von Amira El Ahl

​​Das wichtigste für einen Musiker ist, Musik zu machen. "Wenn du diesen Drang verspürst, dann musst du spielen und immer weiter lernen", sagt Angelika Niescier und schon im Gespräch spürt man ihre Leidenschaft für die Musik. Ihre Leidenschaft ist ansteckend, sie redet mit vollem Körpereinsatz, sie lacht, verzieht das Gesicht zu Grimassen, wenn sie nachdenkt, überrascht ist oder mit ihrem Gegenüber scherzt. Dann steht sie auf der Bühne und spielt in ihrem Saxophon-Solo alle Paletten der menschlichen Emotionen durch. Ihre Begeisterung für die Musik reißt das Publikum vom ersten Moment an mit. Sie singt mit ihrem Saxophon von der Gier, sie neidet, leidet, wütet und schimpft. Dabei bebt ihr ganzer Körper, er zuckt, swingt und bleibt im nächsten Moment wieder ganz ruhig.

Jazz nach der Revolution

Das "German Women Jazz Orchestra" unter der Leitung der Kölner Komponistin und Saxophonistin Angelika Niescier begeisterte am Wochenende das Publikum zuerst in der Bibliotheka Alexandrina und dann mit einem fulminanten Auftritt beim "Cairo Jazz Festival". Das zwölfköpfige Orchester war eine von 13 Gruppen, die bei der dritten Auflage des Jazz-Festivals in Kairo auftraten. Von Donnerstag bis Samstagabend drehte sich im Sawy Kulturzentrum im Herzen der Hauptstadt alles um den Jazz. Seit der Revolution vom 25. Januar, die zum Sturz Hosni Mubaraks führte, war das kulturelle Leben weitgehend zum Stillstand gekommen.

Saxophonistin Angelika Niescier; © DW
Mit Leidenschaft dabei: Die Leiterin des "German Women Jazz Orchestra" Angelika Niescier hat eigens für die Auftritte in Ägypten ein Stück arrangiert, das sie der Revolution gewidmet hat.

Das Jazz-Festival war die erste große Veranstaltung nach der Revolution und fand an einem für Ägyptens politische Zukunft entscheidenden Wochenende statt. Die Ägypter waren gleichzeitig dazu aufgerufen, über Verfassungsänderungen in einem Referendum abzustimmen - der ersten wirklich freien Wahl seit Jahrzehnten. ​​"Aber die Besucherzahlen haben uns positiv überrascht, jeden Tag kamen mehr Menschen", sagt Amro Salah, Direktor des Jazz-Festivals.

Fast 3.000 Tickets wurden verkauft, und die Zuschauer kamen in diesem Jahr aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten. "Für uns ist das ein großer Erfolg, weil es uns zeigt, dass wir in den vergangenen drei Jahren das Vertrauen der Menschen gewonnen haben", sagt Amro Salah. Denn es sind nicht nur die internationalen Bands, die das Publikum anziehen, sondern auch die Bildungsprogramme und Workshops, die von der "Jazz Gesellschaft Ägypten" als Teil des Festivals veranstaltet werden.

"Es geht nicht nur um Politik, es geht um das Leben"

Politik und Kultur waren bis zur Revolution des 25. Januar Bereiche, die sich selten kreuzten. "Es war immer besser, sich nicht politisch zu engagieren", sagt die ägyptische Sängerin Noha Fikry. "Es ging eh immer alles den gleichen Weg, Hoffnung auf Änderung gab es kaum." Doch die Revolution hat das gesamte Land und das ganze Volk politisiert. Was vorher unmöglich schien, ist nun Realität: Jeder spricht überall über Politik. Auch das Jazz-Festival machte da keine Ausnahme. So erinnerte Noha Fikry vor ihrem Auftritt mit dem "Amro Salah Trio" die ägyptischen Gäste daran, zur Wahl zu gehen und vom Recht auf Mitbestimmung Gebrauch zu machen.

"Es geht nicht mehr nur um Politik, es geht um unser Leben." Auch die ausländischen Gäste ließen sich von der neuen Stimmung im Land anstecken. "Die ausländischen Bands waren begeistert, wie die Jugend in Ägypten für ihre Freiheit gekämpft hat", sagt Amro Salah. "Sie haben sich unglaublich inspiriert gefühlt."

Rot wie die Revolution

So hat auch Angelika Niescier die Umbrüche im Land täglich verfolgt. "Ich bin unglaublich dankbar, dass ich in solch einer Zeit hier sein kann", sagt die mehrfache Preisträgerin, die erst 2010 den Echo Jazz gewonnen hat. "Es ist ein unfassbares Erlebnis, kurz nach diesem zeitgeschichtlichen Ereignis in Ägypten zu sein." Besonders wichtig findet Niesicer, dass die Veranstalter das Festival trotz der Umwälzungen wie geplant durchgezogen haben. Für die Auftritte in Alexandria und Kairo hat sie eigens ein Stück arrangiert, das sie der Revolution und dem ägyptischen Volk gewidmet hat. Es ist das letzte Stück, das die zwölf Frauen des "German Women Jazz Orchestra" bei ihrem Auftritt am Freitagabend aufführen. "Rot - "die Farbe der Leidenschaft, der Selbstermächtigung und der Revolution", kündigt Angelika Niescier das Stück an.

Die zwölf Frauen werden zum Abschluss ihres Konzerts vom Publikum mit lautem Applaus und stehenden Ovationen gefeiert. "Jede dieser Musikerinnen ist eine große Meisterin ihrer Kunst, sie haben einen unverwechselbaren Sound, und ich bin stolz, dass sie unser Festival bereichert haben", sagt Amro Salah. Für den Jazzmusiker steht fest, dass die Revolution das kulturelle Leben in Ägypten grundlegend verändern wird. "Ich hoffe, dass vor allem die Regierung offener sein und sich unvoreingenommen auf Kunst- und Musikprojekte einlassen wird." Zensur, da sind sich die meisten hier sicher, wird in Zukunft vom Volk nicht mehr geduldet.

Amira El Ahl

© Deutsche Welle 2011