"Die Unterdrückung hört nicht auf!"

Tunesiens Politiker beschreiben ihr Land gerne als Ort der Toleranz und des Dialogs. Menschenrechts-Aktivisten zeichnen dagegen ein völlig anderes Bild: unfaire Gerichtsverfahren gegen Regimekritiker und Einschränkungen der Meinungsfreiheit. Von Mona Naggar

Tunesiens Regierungsvertreter beschreiben ihr Land gerne als Ort der Toleranz und des Dialogs. Menschenrechtsorganisationen zeichnen dagegen ein völlig anderes Bild: unfaire Gerichtsverfahren gegen Regimekritiker und massive Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit. Mona Naggar informiert.

Plakat des tunesischen Präsidenten Ben Ali; Foto: Mona Naggar
Allmächtig und allgegenwärtig – Tunesiens autokratischer Herrscher Präsident Ben Ali geht mit harter Hand gegen jegliche Opposition im Land vor.

​​Zwei Dinge scheinen in tunesischen Internetcafés unerlässlich zu sein: Das Bild des Staatspräsidenten Zine El Abindine Ben Ali und ein Hinweis, der unübersehbarer neben jedem PC klebt. Auf Französisch und Arabisch wird der Nutzer daran erinnert, dass das Surfen in pornographischen und verbotenen Websites untersagt ist.

Eine Warnung, die eigentlich überflüssig ist. Denn der Zugang zu den Seiten tunesischer und internationaler Menschenrechtsorganisationen, tunesischer Oppositionsgruppen und regimekritischer Blogs ist ohnehin von Tunesien aus nicht möglich.

Der Geheimdienst surft mit

Die Warnung dient wohl eher dazu, die Nutzer daran zu erinnern, dass die Augen des Geheimdienstes immer mitsurfen. Sicherheitsapparate und Justiz gehen hart gegen Nutzer vor, die es wagen, im Netz den Staat zu kritisieren.

Ein Beispiel dafür ist der 28jährige Ramzi Bettibi, der im März letzten Jahres verhaftet wurde. Sein Bruder Aiman berichtet: "Mein Bruder hat in einem Internetcafé gearbeitet. Er hat die Anschlagsdrohung einer islamistischen Gruppe im Falle eines Besuchs des ehemaligen israelischen Ministerpräsidenten in Tunesien, kopiert und in ein Forum zur Diskussion gestellt, in dem er selbst aktiv ist. Er schrieb einen Kommentar darunter, in dem er sagte, dass diese Drohung das Ergebnis von Entscheidungen sei, die Staatspräsident Ben Ali alleine treffen würde. Zwei Tage später wurde er festgenommen."

Ein weiteres Beispiel ist der Anwalt Mohamed Abbou: Auf der Website "tunisnews.net" veröffentlichte er einen Protestbrief gegen den geplanten Besuch des früheren israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon in Tunis im November 2005. Bettibi und Abbou wurden zu mehreren Jahren Haft verurteilt. Human Rights Watch und lokale Menschenrechtsgruppen fordern die sofortige Freilassung Abbous und Bettibis.

Enttäuschte Hoffnungen

Schild eines tunesischen Internetcafés; Foto: Mona Naggar
"Big brother is watching you" – Tunesiens Internetcafés werden vom Staat rigide kontrolliert.

​​Mit dem UNO-Weltinformationsgipfels in Tunis im November vergangenen Jahres hofften einige Menschenrechtsaktivisten, dass die internationale Aufmerksamkeit die tunesische Regierung dazu bringen könnte, Zugeständnisse bei den Menschenrechten zu machen. Diese Hoffnungen haben sich allerdings nicht erfüllt.

Lotfi Hajji, Präsident der unabhängigen Gewerkschaft tunesischer Journalisten (SJT), berichtet, dass seine Gewerkschaft daran gehindert werde, aktiv zu sein, obwohl diese alle notwendigen gesetzlichen Schritte unternommen habe und obwohl das tunesische Gesetz den Journalisten erlaube, Gewerkschaften zu gründen:

"Wir werden daran gehindert, unsere Treffen abzuhalten", so Hajji, "und uns wird verboten, in der Öffentlichkeit Aktivitäten durchzuführen. Die Nachrichten, Analysen und Reportagen, die wir in der tunesischen Presse zu lesen bekommen, sind von den gleichen Tabus bestimmt wie vor dem Weltinformationsgipfel. Das gleiche gilt für das Internet. Die tunesische Regierung hat auf dem Gipfel der Weltgemeinschaft versprochen, mit den Medien anders umzugehen, als bisher. Aber nichts davon ist geschehen."

Willkürliche Maßnahmen gegen die Medien

Lotfi Hajji vergleicht die Situation des Journalisten in Tunesien mit der eines Autofahrers, der in einem Wagen mit einer geschwärzten Windschutzscheibe fahren muss. Er weiß nie, in welche Richtung er fährt. Was heute erlaubt ist, kann morgen verboten sein. Sogar Artikel über Schuhputzer, Bettler oder Brotpreise können den Unmut der Zensoren erregen und dazu führen, dass Zeitungen konfisziert werden.

Kein Wunder, dass tunesische Tages- und Wochenzeitungen sich auf Sport und Kriminalität konzentrieren und sie alle sich nur unwesentlich voneinander unterscheiden. Lotfi Hajji hat in einem jüngst von seiner Journalistengewerkschaft herausgegebenen Bericht eine Liste von Journalisten zusammengestellt, die entlassen wurden und keine Möglichkeit mehr haben, in der lokalen Presse tätig zu sein.

"Entweder schreiben sie für ausländische Medien - oder sie gehen ins Exil", erzählt Hajji. "Diese kompetenten Journalisten fehlen der tunesischen Presse. Wer soll die neue Generation heranziehen? Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass wir inzwischen zu den arabischen Ländern gehören, in denen es um die Pressefreiheit am schlechtesten bestellt ist."

Europa schaut weg

Seit über zehn Jahren hat Tunesien ein Assoziierungsabkommen mit der EU – ein Vertrag, der nicht nur die wirtschaftliche Zusammenarbeit festschreibt, sondern auch Kooperationen im Bereich der Zivilgesellschaft, der Medien und der Justiz.

Tunesischer Richter Mokhtar Yahyaoui; Foto: Mona Naggar
Vom Westen im Stich gelassen fühlen sich couragierte Personen, wie Mokhtar Yahyaoui, der wegen eines offenen Briefes für die Unabhängigkeit der Justiz von seinem Dienst als Richter suspendiert wurde.

​​Der ehemalige Richter Mokhtar Yahyaoui wurde 2001 von seinem Dienst suspendiert, weil er Präsident Ben Ali in einem offenen Brief aufgefordert hatte, für die Unabhängigkeit der Justiz zu sorgen. Yahyaoui ist derzeit Präsident der tunesischen Vereinigung für die Unabhängigkeit der Richter und der Anwälte. Er ist davon überzeugt, dass das Regime von Ben Ali nur mit westlicher Unterstützung weiter bestehen kann.

"Ich verstehe die Position des Auslands nicht", sagt Yahyaoui, "warum wird gegenüber Syrien, Iran oder Kuba eine bestimmte Politik betrieben - und gegenüber Tunesien eine andere?! Es geht nur um Interessen. Was mich angeht, so wäre ich ohne die Unterstützung zahlreicher Gruppen und Organisationen sicherlich schon im Gefängnis. Aber diese Unterstützung gibt uns unsere Rechte nicht zurück. Und die Unterdrückung hört auch nicht auf."

Mona Naggar

© Qantara.de 2006

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