Ägyptisches Säbelrasseln

Im Libyenkonflikt droht die ägyptische Führung nun mit einer direkten militärischen Intervention im Bürgerkriegsland, seitdem General Haftars Truppen immer mehr in die Defensive gelangt sind. Eine Analyse von Karim El-Gawhary

Von Karim El-Gawhary

Wohl nicht zufällig zeigte das ägyptische Staatsfernsehen, wie Kampfjets im Tiefflug über eine ägyptische Militärbasis an der libyschen Grenze donnerten, die der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi am Wochenende besuchte.

Es war eine klare Machtdemonstration und eine Drohgebärde in Richtung der anderen Seite der Grenze, die Al-Sisi dann auch noch mit Worten an seine Generäle und Soldaten begleiteten, die wie eine Warnung klangen: "Erlauben Sie mir ihnen zu danken, dass sie auf jede Mission vorbereitet sind, egal, ob innerhalb unserer Grenze oder wenn es sein muss außerhalb."

Auf der libyschen Seite der Grenze geschieht derzeit etwas, das so gar nicht nach dem Geschmack des ägyptischen Präsidenten ist. Eine 14monatige Offensive des von Ägypten unterstützten Generals Khalifa Haftars gegen die Hauptstadt Tripolis war letzten Monat vollkommen zusammengebrochen. Das dortige Kriegsblatt hat sich damit massiv gewendet.

Sirt und Jufra als rote Linien

Nun sind es die Milizen der in Tripolis sitzenden und von der UN-anerkannten Regierung des Premiers Fayez al-Saradsch, die sich auf dem Vormarsch in Richtung Osten befinden – in Richtung Ägypten. Die Kämpfe drehen sich derzeit um die Stadt Sirt, die auf dem libyschen Kriegsfeld so etwas wie die Mittellinie zwischen den beiden Machtblöcken im Westen und Osten des Landes darstellt. Daneben liegt auch die für Haftar und seine ausländischen Unterstützer strategisch wichtige Luftwaffenbasis Jufra.

Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi; Foto: picture-alliance/dpa
Ausweitung der Kampfzone? Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi hat die Armee auf einen möglichen Einsatz im benachbarten Bürgerkriegsland Libyen eingestimmt. "Seid bereit für jegliche Mission innerhalb unserer Grenzen - oder wenn nötig außerhalb unserer Grenzen", sagte Al-Sisi beim Besuch einer Luftwaffenbasis nahe der libyschen Grenze.

"Wenn jemand glaubt, er könne diese rote Linie überschreiten – ich meine Sirt und Jufra, dann muss ihm klar sein, dass dies für uns eindeutig eine rote Linie ist", erklärte Al-Sisi bei seinem Besuch in der Militärbasis. Er kündigte auch an, weitere Milizen im Osten Libyens auszubilden, wenngleich er interessanterweise den Namen General Haftar nicht erwähnte.

"Nur die Libyer können am Ende Libyen verteidigen. Wir sind bereit ihnen zu helfen. Bringt uns die jungen Männer der Stämme und wir trainieren sie, bereiten sie vor und bewaffnen sie unter unserer Aufsicht", versprach der ägyptische Präsident in Richtung seiner Verbündeten im Osten Libyens.

Die Türkei als größte Rivalin in der Region

Ägypten, das neben den Arabischen Emiraten und Russland zu den größten Unterstützern Haftars zählt, macht der Vormarsch der Milizen aus Tripolis sichtlich nervös. Ganz besonders, weil deren militärischen Erfolge direkter türkischer Unterstützung geschuldet sind. Ägypten sieht die Regionalmacht Türkei als seinen größten Konkurrenten in der Region. Auch ideologisch: Der türkische Präsident Erdoğan gilt als einer der wichtigsten Unterstützer der Muslimbruderschaft – einst Al-Sisis größte politischen Rivalen im eigenen Land.

Das Misstrauen zwischen Al-Sisi und Erdoğan ist groß: Für Al-Sisi ist der türkische Präsident der größte Sponsor der Muslimbruderschaft. Erdoğan seinerseits wird niemals vergessen, dass der ägyptische Präsident den gescheiterten Putsch in der Türkei gegen ihn willkommen hieß.

Infografik Karte Politische Akteure in Libyen und regionale Akteure; Quelle: DW
Vom Krieg rivalisierender libyscher Milizen nach dem Sturz Gaddafis zum regionalen Stellvertreterkrieg: Neben der Türkei ist Qatar der wichtigste Verbündete der Einheitsregierung in Tripolis. Haftar wird außer von Ägypten unter anderem von Russland und den Vereinigten Arabischen Emiraten unterstützt. In Libyen kämpfen seit dem gewaltsamen Ende des langjährigen Diktators Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 rivalisierende Gruppen um die Macht. Ein Großteil des Ostens und Südens des Landes wird immer noch von Haftars Truppen kontrolliert.

Dass Ägypten eine größere Zahl Soldaten nach Libyen schickt, ist aber eher unwahrscheinlich. Ägyptens Generäle dürften zögern, sich direkt im libyschen Chaos in einen längeren Abnutzungskrieg verwickeln zu lassen, bei dem es am Ende keinen militärischen Sieger gibt.

Kampf an mehreren Fronten

Außerdem ist die ägyptische Armee immer noch mit einem Guerilla-Krieg im Nordsinai beschäftigt, wo ihr militante Islamisten das Leben schwer machen. Daneben droht dem Land gerade noch eine weitere, derzeit noch politische Front, mit dem Streit um einen gigantischen äthiopischen Nilstaudamm ("Grand Ethiopian Renaissance Dam"), der Ägyptens strategische Wasserreserven bedroht.

Wenn Ägypten tatsächlich in Libyen militärisch interveniert, könnte es eher seine Luftwaffe zum Einsatz bringen. Wahrscheinlich aber ist, dass diese ägyptische Drohgebärde Teil eines größeren Bildes ist. Im Hintergrund handeln nun schon seit Wochen die Türkei und Russland eine Linie aus, wie weit die Milizen aus Tripolis vorrücken können. Wie weit können sie gehen und dabei türkische Unterstützung genießen und wann kommt der Punkt, an dem sie von russischen Kampfjets angegriffen werden, die ebenfalls im Osten Libyens auf Seiten Haftars stationiert sind?

Es gibt ein wichtiges Motiv des ägyptischen Säbelrasselns, das über allen anderen steht. Al-Sisi und seine Strategen haben eines verstanden: Nur jene Mächte, die in Libyen militärische Präsenz zeigen, wie die Türkei und Russland, haben auch ein gewichtiges Wort bei möglichen politischen Verhandlungen um die Zukunft Libyens mitzureden. Da möchte Ägypten als direktes Nachbarland auf keinen Fall außen vorgelassen werden.  

Karim El-Gawhary

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