Schönheit inmitten von Krieg

Libysche Fotografen trotzen dem andauernden Bürgerkrieg und bauen in der Hauptstadt Tripolis ein riesiges Fotoarchiv auf. Es zeigt die Schönheit, die trotz Chaos und Blutvergießen zu finden ist. Von Moutaz Ali

Von Moutaz Ali

Als die bewaffneten Auseinandersetzungen vor über einem Jahr begannen, fand sich eine Gruppe von zehn Fotografen zusammen. Sie wollten sich gegenseitig unterstützen und ermutigen, um Motive der Stadt Tripolis zu dokumentieren. Die Gruppe nannte sich selbst „Ecken von Tripolis“ und suchte nach versteckten Ecken und Orten, die den Charakter und den Puls der Stadt einfangen.

In nur einem Jahr ist diese Gruppe auf 16.000 Fotografen angewachsen, die hauptsächlich aus Amateuren, aber auch einigen professionellen Fotografen besteht. Sie haben viele tausend eindrucksvolle Bilder produziert, die die große Vielfalt der Hauptstadt zeigen. Der Gruppe haben sich mittlerweile neben Fotografen auch Maler und andere Künstler sowie Stadthistoriker angeschlossen, erklärt Gründungsmitglied Ali Jawashe, der das Facebook-Konto der Gruppe verwaltet.

Corona - zwischen Herausforderung und Inspiration

Blick auf die Altstadt von Tripolis, Libyen; Quelle: Facebook/“Corners of Tripoli”
Der andere Blick auf Libyen: Die Gruppe „Ecken von Tripolis“ suchte nach versteckten Ecken und Orten, die den Charakter und den Puls der Stadt einfangen. Dabei konzentrierten sich die Fotografen auf das Leben, das trotz allem weitergeht.

Die Verbreitung des neuartigen Coronavirus stellt eine Herausforderung für die Fotografen dar, liefert aber auch Inspiration. „Wir reagieren auf Covid-19, indem wir Menschen mit Hoffnung und Zielen zeigen“, sagt Riad Zbeida, ein weiteres Gründungsmitglied. „Wir fotografieren Ärzte und Krankenschwestern bei der Arbeit und Eltern mit ihren Kindern bei interessanten Aktivitäten zu Hause, um die Botschaft ‚bleibt zu Hause‘ zu vermitteln.“

Die Mitglieder haben auf dem Höhepunkt der Pandemie in einem einzigen Monat fast 5.500 Fotos gemacht, sagt die Fotografin Nada Abu Gharara, eine 21-jährige Medienstudentin an der Universität von Tripolis. Ihr fotografischer Schwerpunkt lag früher auf Landschaften. Durch die Gruppe lernte sie jedoch auch andere Methoden kennen, wie etwa die Nahaufnahme kleiner Motive wie Pflanzen oder Haushaltsgegenstände.

Samstags unternehmen die Gruppenmitglieder Ausflüge in ausgewählte Ecken von Tripolis, wo ihr unterschiedliches künstlerisches Empfinden zu sehr verschiedenen Darstellungen ähnlicher Orte führt. Zu den Zielen gehören das historische Viertel der Hauptstadt sowie Wälder und andere Naturräume.

Eine Stadt, die sich dem Krieg widersetzt

Die Gruppe plant eine Ausstellung ihrer Werke und hofft, weitere Mitglieder zu gewinnen. „Wir laden Interessierte aller Altersgruppen ein, sich anzuschließen und mehr über Fotografie zu erfahren, zum Beispiel Techniken zu erlernen, um Details zu fotografieren, die so winzig sind, dass sie mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen sind“, erklärt Mitglied Salah Al-Osta. Er ist ein Experte für die detailgetreue Aufnahme winziger Objekte, die sogenannte Makrofotografie. „Das Aufregendste ist, die Neugierde in den Augen junger Fotografen zu sehen, wenn sie ein sehr kleines Detail in der Natur wahrnehmen und daraus ein schönes, detailliertes Porträt erstellen können“, sagt er.

Angesichts des andauernden und blutigen Bürgerkriegs in Libyen, an dem mehrere ausländische Mächte beteiligt sind, konzentrieren sich Libyens Fotografen auf das Leben, das trotz allem weitergeht. Die Journalistin Nada Alshalhi sagt: „Die Bilder sprechen von einer charmanten Stadt, die sich einem Krieg widersetzt, den sie gar nicht wollte.“

Moutaz Ali

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