Die innere Mauer wird wachsen

Eyal Ofer dokumentiert in einem schmalen Bildband den "Alltag" an jener Grenzbefestigung, die den Israelis Schutz vor palästinensischen Anschlägen bieten soll. Amin Farzanefar stellt das Buch vor.

Buchcover: 'Die Mauer, Israel – Palästina',  Melzer Verlag 2004

​​In seinem Buch stellt Ofer die Mauer, die der "Grünen Linie", dem historischen Grenzverlauf von 1948 folgen soll, von beiden Seiten dar. Der angesehene, israelische Fotojournalist arbeitet für international renommierte Magazine, wie Le Monde und Corriere de la Sera.

Ofers Fotos zeigen, wie dicht israelische und palästinensische Siedlungen aneinander stehen, wie martialisch und unerbittlich Felder, Dörfer und Nachbarschaften durch den Elektrozaun und Stacheldraht durchschnitten werden und wie in langen Schlangen wartende Palästinenser sich nun auch hier vor Wachtürmen und hochgerüsteten Soldaten drängen.

Auch die Aktionen gegen die Mauer hält Ofers Kamera fest: Graffitis, Demonstrationen, Versuche, die Mauer zu durchtrennen. Die Anlässe für den Protest sind hinlänglich bekannt: Beim Bau der Mauer wurden palästinensische Besitztümer zerteilt, Ölbaum-Plantagen und Zypressenhaine gerodet.

Friedensaktivisten kommentieren die Bilder

Die massiven Abweichungen vom ursprünglichen Grenzverlauf auf palästinensischem Territorium und die Zerstörung von Wirtschafts-, Arbeits- und Schulwegen sorgen dafür, dass Demütigung und Zorn den Konflikt weiterhin schüren.

Kurze Texte von ausgewiesenen Friedensaktivisten kommentieren Ofers Momentaufnahmen: Neben dem Publizisten Ury Avnery, einem der ersten offiziell Israel-kritischen Israelis, sind das der Publizist und ehemalige SPD-Abgeordnete Freimut Duve und die Journalistin Manuela Drivi. Sie wurde zur Friedenskämpferin, nachdem ihr Sohn 1988 von der Hisbollah getötet wurde.

Gerade Drivis argumentativ gebrochener Text macht auch die israelische Position nachvollziehbar: Der Ferienort Netanya hatte auf 400 Metern Strandpromenade die höchste Dichte an Terror-Anschlägen und mehrere Hundert Tote zu beklagen. Die Selbstmord-Attentäter brauchten nur 15 Minuten von Tulkarem herüber.

Der erste Mauerabschnitt wurde hier im Netanya-Vorort Bat Hefer errichtet, bevor die Regierung das Projekt ausweitete. Jetzt endet die Straße nach Tulkarem im Nichts - an der Mauer.

Problemlösungen werden zur Konfliktursache

Eine palästinensische Israelin beschreibt die neue artifizielle Situation folgendermaßen: "Entweder, es gibt keine Mauer und das Leben ist unerträglich, oder es gibt eine Mauer, und das Leben ist unerträglich."

Ofer - selbst Einwohner von Netanya – verspürt durchaus zwiespältige Gefühle gegenüber der Mauer. In seinem Schlusswort verbindet er die Kritik an der Mauer mit dem eindringlichen Appell an beide Seiten, auf Gewalt zu verzichten.

Der von Mordanschlägen unbehelligte Leser - bzw. Betrachter - erkennt nach der Lektüre des Buches vor allem, dass der Mauerbau die Kluft zwischen beiden Seiten vertieft hat. Auf der einen Seite wurde der palästinensische Alltag noch mehr aus dem israelischen Bewusstsein verdrängt, auf der andern wurden nur neue Ressentiments geschürt.

Die innere Mauer wird wachsen. Was als Problemlösung gedacht war, ist in Wirklichkeit schon wieder Symptom des Konflikts und wird bisweilen selbst zur Ursache neuer Unruhen.

Absurde Konstruktion

Führt man sich mit Hilfe des beigegebenen Besiedlungsplanes die völlige Fragmentierung des israelischen Siedlungsraumes vor Augen, dann schlägt die Betroffenheit ins Absurde um.

Eine saubere Linie zu ziehen, ist ein unmögliches Unterfangen. So manche Dörfer werden fast vollständig von der Grenzbefestigung umzogen, während entlegenere Siedlungen und Kibbuze durch Tunnelsysteme miteinander verbunden werden, die unter palästinensischem Territorium hindurchführen.

"Die Mauer" bebildert auch ein "Schelmenstück" besonderer Art: Das Haus der Amars steht auf der israelischen Seite, weil der Familienvater Hanni sich hartnäckig weigerte, palästinensischen Grund und Boden zu verkaufen.

Jetzt hat er seine eigene kleine Türe in der Mauer. Doch damit hier keine Sicherheitslücke entsteht, beschließt ein weiterer, U-förmiger Zaun sein Anwesen. Den Schlüssel dafür haben wiederum die Israelis. Hannis Grundstück ist zu einem sonderbaren Mauerblümchen geworden.

Amin Farzanefar

© Qantara.de 2004

Eyal Ofer mit Beiträgen von Uri Avnery, Manuela Dviri, Freimut Duve, Oswald Le Winter: Die Mauer, Israel – Palästina, Melzer Verlag 2004, ISBN: 3937389342