Der Fundamentalist, der keiner sein wollte

Mohsin Hamids neuer Roman handelt von der Entfremdung eines jungen Pakistaners vom Westen, in dem er wider Willen auf das gestoßen wird, was ihn zu einem Feind machen wird – seine muslimische Identität. Claudia Kramatschek hat das Buch gelesen.

Mohsen Hamid, Foto: Claudia Kramatschek
Die Menschen müssen die nötige Empathie entwickeln, um miteinander zu leben, meint Mohsen Hamid

​​Ein junger Pakistaner, der nach Amerika geht, dort in die Ereignisse des 11. Septembers gerät und am Ende nach Pakistan zurückkehren wird, um fortan anti-amerikanische Proteste zu organisieren: Mohsin Hamids neuer Roman "Der Fundamentalist, der keiner sein wollte" scheint wie gemacht für die derzeitige Debatte über die Radikalisierung junger Muslime.

Doch Hamid, 1971 in Lahore geboren und nach einem Studium in Princeton mittlerweile seit vielen Jahren in London beheimatet, ist viel zu sehr Pendler zwischen den Welten, um den "clash of cultures" nach simplen Mustern zu bedienen. Das zeigte bereits sein erster preisgekrönter Roman "Nachtschmetterlinge" aus dem Jahr 2000 – ein gewagt kritischer Innenblick in die Abgründe der pakistanischen Gesellschaft.

Namenloser Amerikaner trifft redseligen Pakistaner

Nun aber wendet der Autor sein Augenmerk auf Amerika – auch, wenn wir uns erneut auf pakistanischem Boden wieder finden, genauer gesagt im quirlig-staubigen Anarkali-Bazar, im Herzen von Alt-Lahore. Dort treffen ein namenloser Amerikaner und ein redseliger Pakistaner aufeinander.

Misstrauisch beäugt der Gast aus dem Westen sein bärtiges Gegenüber; schließlich befindet sich Amerika – wir sind in der Gegenwart – im Krieg mit islamistischen Bewegungen weltweit.

Doch aus dem kurzen Intermezzo werden Stunden, und am Ende des Tages wissen wir zwar noch immer nicht viel mehr über den geheimnisvollen Amerikaner, aber fast alles über die Lebensgeschichte des knapp 30-jährigen Changez.

Protokoll einer Entfremdung

Und die liest sich, kurz gesagt, wie das Protokoll einer Entfremdung: der Entfremdung eines jungen Pakistaners vom verheißungsvollen Westen, in dem er wider Willen auf das gestoßen wird, was ihn zu einem Feind machen wird – seine muslimische Identität.

Viereinhalb Jahre lebt Changez den amerikanischen Traum: Nach einem Studium in Princeton erhält er den begehrten Job bei einer der führenden Unternehmensberatungen in New York. Verlust und Gewinn, die ökonomischen "fundamentals" der neuen Welt, bestimmen fortan sein Denken und Handeln.

Doch genau das ändert sich. Denn Changez ist hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, dazu zu gehören, und der Furcht vor der kulturellen Selbstaufgabe in einem Land, das ihm alles ermöglicht und ihm zugleich alles nimmt – vor allem den Stolz auf die eigene Herkunft.

Ein Fundamentalist, der keiner sein will

​​Scham und Wut mischen sich deshalb immer mehr in Changez' Freude am "american way of life" – bis er schließlich zu jenem Fundamentalisten wird, der keiner sein will, wie Mohsin Hamid im Gespräch den doppelbödigen Titel erklärt:

"Er ist ein Fundamentalist, der keiner sein will, weil seine Umgebung ihn als religiösen Fundamentalisten sieht, obwohl er keiner ist. Er selbst wiederum lehnt den ökonomischen Fundamentalismus der Geschäftswelt ab, zu der er gehört – einer Welt, die ihren Fokus allein auf Gewinn und Verlust ausrichtet", so Hamid.

Für den Autor ist genau das Fundamentalismus: die Welt allein aus einem Blickwinkel heraus zu betrachten, unter Ausschluss von allem anderen: "Fundamentalismus ist nicht unbedingt ein religiöses Phänomen. Denn fühlt sich nicht jeder Mensch auf eine Weise zerrissen? Aber der eine löst das, indem er seine Zerrissenheit akzeptiert, der andere will nur die eine Seite wahrhaben und sagt: Das ist alles, was ich bin. Und genau damit spielt der Roman: zu zeigen, dass Fundamentalismus nicht immer nur das ist, was wir uns darunter vorstellen."

Wer daher einen Roman über die Radikalisierung eines vom Westen enttäuschten Muslims erwartet, wird sich enttäuscht sehen – und das ist gut so. Denn Hamid – der selbst einige Jahre in New York als Unternehmensberater gearbeitet hat und seit 9/11 bei jeder Einreise als verdächtiger Pakistaner Rede und Antwort stehen muss – geht es darum, aus den Augen seines pakistanischen alter ego Amerikas imperialer Hybris, dem possenhaften Weltpolizeigehabe des Landes, einen kritischen Spiegel vorzuhalten.

"Stolz und Nostalgie"

Als daher auch noch die Ereignisse des 11. Septembers Changez’ Leben überrollen und Amerika kurze Zeit später in Afghanistan einmarschiert, wendet sich Changez endgültig ab vom amerikanischen Traum – mit einem ihm selbst unbekannten, aber plötzlich geschärften Bewusstsein dafür, als Muslim dem falschen Herrn gedient zu haben.

"Stolz und Nostalgie", so erklärt Hamid, "sind für mich die wichtigsten menschlichen Faktoren im 21. Jahrhundert. In der muslimischen Welt herrscht die Idee der gloriosen Vergangenheit. Das ist eine Nostalgie – aber sie entsteht dort, wo wir uns gefährdet und unsicher fühlen. Und wir leben in einer solchen Welt, weil alles sich derzeit verändert."

Stolz wiederum sei etwas sehr wichtiges, meint Hamid, denn in einer globalisierten Welt kreuzen sich verschiedene Geschichten. Manche dieser Geschichten spiegelten vor, die Siegergeschichte zu sein. Doch die Menschen auf der Verliererseite sähen sich nicht wirklich als Verlierer, erklärt der Autor.

"Sie glauben an ihr Land, an ihre Nation. Das Problem ist: früher wären sich beide Seiten nie begegnet. Heute können sich beide im Fernsehen sehen. Und plötzlich kollidieren beide Seiten. Und genau darum geht es mir: zu respektieren, dass auch andere ihren Stolz haben. Und dieser Sinn für Stolz herrscht derzeit in der muslimischen Welt.“

Hamid ist dennoch klug genug, seinen Protagonisten nicht zum Sprachrohr der gesamten islamischen Welt zu instrumentalisieren. Changez ist, wenn überhaupt, ein exemplarisches Einzelbeispiel einer – wider besseren Willens – gescheiterten Integration.

Deutlich aber wird vor allem, dass Misstrauen und Furcht auf beiden Seiten der Welt ihr Unwesen treiben – und dass die Frage, "ob Freund oder Feind" im Auge des Betrachters liegt. Bis zum Schluss lässt Hamid es daher in seinem, wie ein Bühnenduell angelegten Roman, bewusst offen, wer der Böse, wer der Gute ist. Und das nicht ohne Grund, so Hamid:

"Die entscheidende Frage ist: Wird die menschliche Rasse endlich die Empathie finden, die nötig ist, um miteinander zu leben? Denn wir haben gar keine andere Wahl, als weniger Furcht vor dem anderen zu haben. Und es bleibt zu hoffen, dass das bald passiert – und dass die letzten Jahre nur ein letzter Moment von Angst gewesen sind vor dem Aufbruch in mehr Mut."

Claudia Kramatschek

© Qantara.de 2007

Mohsin Hamid: "Der Fundamentalist, der keiner sein wollte", Verlag Hoffmann & Campe 2007. 190 Seiten. 17,95 €

Mohsin Hamid erhielt für seinen ersten Roman "Nachtschmetterlinge" den Betty-Trask-Preis, sein Debüt wurde außerdem für den PEN/Hemingway Award nominiert und von der New York Times auf die Liste der bedeutendsten Bücher des Jahres 2000 gewählt. Hamid schreibt u.a. für Time, Guardian und New York Times.

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