Die Macht der Bilder

Im Bildband "Kairo. Offene Stadt. Neue Bilder einer andauernden Revolution" von Florian Ebner und Constanze Wicke wird das medial vermittelte Bild der ägyptischen Revolution kritisch hinterfragt. Shohreh Karimian hat das Buch gelesen.

Von Shohreh Karimian

Im Jahr 2013 wurde im Museum Folkwang in Essen die angesehene fotografische Sammlung "Kairo. Offene Stadt"  ausgestellt, die Bilder von Fotojournalisten, Aktivisten und Künstlern zeigte und die Zerrissenheit im revolutionären Ägypten dokumentierte – genauso wie der gleichnamige Band, der im Mai 2013 von Ebner und Wicke herausgegeben wurde.

Dem Leser erschließt sich gleich zu Beginn des auf Arabisch, Deutsch und Englisch verfassten Bandes eine vielseitige Bildergalerie, die eine ausgewählte Sammlung der in der Ausstellung gezeigten Arbeiten enthält: angefangen bei historischen Fotografien, über Foto-Community-Bilder, bis hin zu Bildern von Nachrichtenagenturen und Bürgerjournalisten.

Der 46 Seiten umfassende Textteil, der sich an die erste Bildergalerie anschließt, bildet den inhaltlichen Kern des Buches, der neben einer Einführung der Herausgeber ebenfalls einen in Form eines Briefs geschriebenen Text des in Zypern geborenen und in Ägypten lebenden Videofilmers und Autors Philip Rizk sowie ein Essay der ägyptischen Künstlerin Lara Baladi enthält. Diese eher wissenschaftlich gehaltenen Texte werden durch Interviews, abgebildete Tweets und Videoszenen sowie Präsentationen unterschiedlicher Medienkollektive in Ägypten nachfolgend ergänzt.

Empathie und Empirie

Die Herausgeber berichten in ihrem Einleitungsteil von "einer vielleicht naiven Empathie" zu Beginn ihres Vorhaben: eine Begeisterung für die ägyptische Revolution, die von den zahllosen Berichten, Beiträgen und Artikeln in den Medien herrührte und die Menschen auf der ganzen Welt mitfiebern ließ.

Die Autoren gingen primär von der Frage aus, ob "im Arabischen Frühling die demokratische Dimension, welche der digitalen Kultur eingeschrieben zu sein scheint" eine feste Form angenommen hat. Doch im Laufe ihrer Aufenthalte in Kairo und nach der Arbeit mit Fotografen und Künstlern veränderte sich ihre Herangehensweise.Ihre anfängliche Empathie wandelte sich zu einer vorrangig empirischen Sammlung von Sichtweisen und Handlungen.

Demnach ist das Buch auch nicht als "Jubelwerk zur Revolution" zu verstehen, sondern - wie die Herausgeber betonen - als eine "Art typologischer Querschnitt durch die Bilderproduktion dieser Revolution (…), eine Art Fotoalbum dieses komplexen sozialen und politischen Umbruchprozesses".

Glorifizierter Protest

Philip Rizk spricht in seinem Beitrag den Leser direkt an und fordert ihn auf, sein Bild von der Revolution in Ägypten zu überprüfen und zu ergänzen. Er spricht von einer medialen Verherrlichung der Aufstände und der damit zusammenhängenden Reduzierung der Proteste auf eine internetaffine, gebildete und junge Mittelschicht – diese war laut Rizk bei Weitem nicht repräsentativ für den Volksaufstand auf dem Tahrir-Platz.

"Hast Du die Stimmen aus der Unterschicht vernommen? Hast Du die schwarz gekleideten Familien der Märtyrer in ihren Häusern trauern sehen?" Rizk zielt mit seiner Argumentationsweise darauf ab, dass sich der Leser darüber bewusst werden sollte, wer wirklich die Revolution in Ägypten vorantreibt und wer sie repräsentiert. Für ihn sind die Geschehnisse vom Januar 2011 auf dem Tahrir-Platz Proteste aus "Unzufriedenheit mit der politischen Realität unter neokolonialen Bedingungen". Verglichen mit den Aufständen von 1968 im Westen, die als Referenzpunkt für ein breites Aufkommen intellektueller und zum Teil revolutionärer Ideen und Theorien dienen, hält er die Ereignisse von 2011 für ideologielos, wenn er schreibt: "Es gab keine Ideologie außer der Ideologie der Verzweiflung".

Herausforderungen und Gefahren des Bürgerjournalismus

Buchcover "Kairo. Offene Stadt. Neue Bilder einer andauernden Revolution" , Hg. von Florian Ebner und Constanze Wicke, im Spector Verlag
Differenzierter Blick: Der Bildband "Kairo. Offene Stadt. Neue Bilder einer andauernden Revolution" versteht sich nicht als Lobeshymne auf die ägyptische Revolution, sondern als Sammlung unterschiedlicher Perspektiven in Bildern.

Die ägyptische Künstlerin Lara Baladi beschäftigt sich in ihrem Essay vor allem mit der Frage der Funktion und Perspektiven der Bilder, die die Menschen auf dem Tahrir-Platz gemacht und aufgezeichnet haben. In diesem Zusammenhang geht sie auf den Begriff des Bürgerjournalismus ein und bezeichnet den 11. September 2001 als "das erste historische Großereignis des 21. Jahrhunderts, das von hunderten von Menschen mit Digitalkameras" live aufgenommen wurde - die Geburt des Bürgerjournalismus.

Durch die Digitalisierung der Fotografie, dem "Internet-Rausch" und der Entstehung der sozialen Medien haben wir es nach Baladi mit einer Demokratisierung der Fotografie zu tun. Das neue Massenmedium Internet macht es möglich, selbst Bilder zu produzieren und diese weltweit verfügbar zu machen. Dies trifft insbesondere auf den Tahrir-Platz zu, wo die Menschen das aufzeichneten, was sie festhalten und mit der Welt teilen wollten. Baladi betont auch, dass dieser Akt des Fotografierens in Ägypten zu einer politischen Handlung wurde.

Doch in dieser Effizienz, die die digitale Fotografie mit sich brachte, liege auch ihre Gefahr: "Bilder werden in rasender Geschwindigkeit verbreitet und anschließend mit fehlender Distanz gedeutet". Bilder können mit Bildbearbeitungsprogrammen bearbeitet und manipuliert werden.

Fotografische und filmische Konfrontationen mit der Revolution

Das Werk der beiden Autoren Ebner und Wicke bietet abschließend fotografische und filmische Konfrontationen mit der ägyptischen Revolution, angefangen bei Heba Farids Sammlung von historischen Bildern bis zu filmischen Darstellungen von Kaya Behkalam.

Auch die Medien finden ihren Platz im Buch: Titelblätter nationaler und internationaler (Tages-) Zeitungen werden gegenübergestellt und vermitteln zum Teil paradoxe Einblicke.

"Kairo. Offene Stadt. Neue Bilder einer andauernden Revolution" zwingt den Leser, sein bisheriges medial vermitteltes Bild der ägyptischen Revolution zu überprüfen. Hierbei spielen Fotografien und Filme, die sich mit der Revolution auseinandersetzen, eine überaus wichtige Rolle. Jedes Bild erzählt eine andere Geschichte und dient als alternative Form der Berichterstattung. Das Ziel der Herausgeber ist somit erreicht: Der Bildband versteht sich nicht als Lobeshymne auf die ägyptische Revolution, sondern als Sammlung unterschiedlicher Perspektiven in Bildern.

Shohreh Karimian

© Qantara.de 2014

"Kairo. Offene Stadt. Neue Bilder einer andauernden Revolution" , Hg. von Florian Ebner und Constanze Wicke, Spector Verlag, Leipzig 2013, 264 Seiten