Lesarten der Islamischen Republik Iran

In seinem Buch beschreibt der iranischstämmige Politikwissenschaftler Arshin Adib-Moghaddam verschiedene Deutungen und Repräsentationen der Islamischen Republik Iran, vom islamischen Utopismus der Frühphase der Revolution über den ersten Golfkrieg bis zur Konfrontation durch amerikanische Neokonservative und inneriranische Reformdebatten heute. André Bank kommentiert.

Der Iran gilt als die vielleicht größte Herausforderung, der sich die westliche Außen- und Sicherheitspolitik gegenwärtig gegenüber sieht. Paradoxerweise sind es dabei die amerikanischen und europäischen Kriege im benachbarten Irak und Afghanistan selbst, die entscheidend zu diesem "Statusgewinn" der Islamischen Republik im dritten Jahrzehnt ihres Bestehens beitragen. Und auch wenn sich die Amtsperiode von US-Präsident Bush, unter dem der Iran verstärkt ins Visier genommen wurde, ihrem Ende entgegen neigt, scheint die global- wie regionalpolitische Bedeutung der Islamischen Republik auch in naher Zukunft nicht zu schwinden.

Wider iranische Popstudien

Die Frage der Islamischen Republik – also die unterschiedliche Art und Weise, wie "der" Iran gedeutet und repräsentiert wird – bleibt somit politisch relevant und wirkmächtig. Arshin Adib-Moghaddams Studie nimmt sich dieser Thematik unterschiedlicher Lesarten der Islamischen Republik an. Der Autor, der in Hamburg studiert und in Cambridge promoviert hat und jetzt als Dozent an der renommierten School of Oriental and African Studies (SOAS) in London tätig ist, geht dabei kulturell-genealogisch vor: Über vier Fallstudien zur außenpolitischen Kultur im Iran, zum Krieg zwischen Iran und Irak 1980-88, zu den iranisch-amerikanischen Beziehungen sowie zu inneriranischen Reformdebatten werden unterschiedliche Interpretationen iranischer Politik herausgearbeitet und nebeneinander gestellt.

Adib-Moghaddam geht es dabei immer auch darum, dem "Markt iranischer Popstudien" (S. 16) und der ihnen zugrunde liegenden positivistischen Vorstellung, dass der "Iran einfach so da ist" (S. 17), eine deutliche Absage zu erteilen. Grundlegende Zielsetzung des Buches ist es vielmehr, "unser Verständnis des nachrevolutionären Iran zu pluralisieren" (S. vii) und hierüber auf die Etablierung "kritischer Iranstudien" hin zu wirken. Es wird eine lange Reihe vor allem westlicher Sozialtheoretiker unterschiedlicher Provenienz wie Dilthey, Foucault, Gadamer oder Habermas in Anschlag gebracht, um die analytische Fokussierung auf die Vielfalt an Deutungen und Bedeutungen zum Iran zu rechtfertigen.

Islamisch, persisch oder pragmatisch?

Im Kapitel zur iranischen Außenpolitik betont Adib-Moghaddam das Nachwirken zentraler islamisch-revolutionärer Vorstellungen aus den 1960er und 1970er Jahren, die als "utopisch-romantisches Meta-Narrativ" (S. 32) das strategische Denken zentraler Entscheidungsträger bis heute prägen. Hiermit wendet er sich gegen solche Sichtweisen, die Irans Außenpolitik – aktuelle Beispiele wären die Atomfrage oder die Irak- und Afghanistanpolitik – in erster Linie als pragmatisch und von nationalen Interessen geleitet sehen. In diesem Zusammenhang überrascht es, dass keine Bezüge zum gegenwärtigen Präsidenten Ahmadinejad, in dessen Reden sich zweifelsohne Elemente dieses islamischen Utopismus finden, hergestellt werden.

Partiell ist dieses "Auslassen" sicher auch der Tatsache geschuldet, dass die einzelnen Fallstudien zuvor bereits als Artikel in Fachzeitschriften wie "Critique" oder "Third World Quarterly" veröffentlicht wurden. Das anschließende Kapitel zum ersten Golfkrieg 1980-88 konzentriert sich auf die irakischen Konstruktionsversuche einer persisch-arabischen Feindschaft und die daraus quasi-natürliche Schlussfolgerung identitätspolitischer Allianzen mit den arabischen Staaten des Nahen und Mittleren Ostens.

Adib-Moghaddams dritte Fallstudie zeichnet sodann eine weitere Lesart der Islamischen Republik nach, die bereits viel diskutiert wurde: die Herausbildung der amerikanisch-neokonservativen Vorstellung eines grundlegend kompromisslosen, aggressiven Mullah-Regimes im Iran, das diverse Parallelen mit den Nazis aufweisen soll. Die vierte Fallstudie wendet sich wiederum der iranischen Innenpolitik zu und zeichnet den sukzessiven Niedergang der regimeinternen Reformbewegung unter Präsident Khatami bis 2003 nach. Hierbei wird ein besonderes Augenmerk auf das pluralistische Moment und die Frage einer möglichen demokratischen Zukunft im Iran gelegt.

Kritische Iranstudien?

Arshin Adib-Moghaddams Iranstudie unternimmt den Versuch, auf breiter sozialtheoretischer Basis die vielfältigen Deutungen zur Islamischen Republik – „von außen“ wie inneriranisch – nachzuzeichnen. Positiv hervorzuheben ist dabei vor allem der Versuch, den Iran aus der Ecke eines politisch-kulturellen Sonderfalls herauszuholen, indem der Konstruktionsprozess ideologischer Vorstellungen gegenüber dem Iran aufgezeigt und damit historisiert wird. Es stellt sich jedoch die Frage, wo der jeweilige Erkenntnisgewinn des starken sozialtheoretischen Pluralismus liegt, vor allem im Vergleich zu anderen aktuellen Iranstudien, wie sie etwa von Charles Kurzman zu verschiedenen Lesarten der iranischen Revolution 1979 oder von Trita Parsi zum iranisch-israelisch-amerikanischen Verhältnis vorgelegt wurden.

Adib-Moghaddams fortwährende Betonung des Pluralismus der Lesarten zum Iran produziert dabei wie jede Perspektive sogleich ihre eigenen blinden Flecken: So bleiben bestimmte Machttechniken, nicht-diskursive Formen der Repression etwa, sowie die politökonomisch-strategische Dimension iranischer und mittelöstlicher Politik weitgehend ausgeblendet. Das hochgesteckte Ziel, auf "kritische Iranstudien" hinzuarbeiten, wie es auch im Schlusskapitel wieder betont wird, kann somit als nicht gänzlich erfolgreich betrachtet werden.

André Bank

© Qantara2008

Arshin Adib-Moghaddam (2007): Iran in World Politics. The Question of the Islamic Republic, London: Hurst, 272 Seiten, 27,99 €.

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