Die Stimmen von Beirut

In Iman Humaidan-Junis neuen Roman "B wie Bleiben wie Beirut" werden die traumatischen Jahre des libanesischen Bürgerkriegs von 1975 bis 1990 aus der Sicht von vier Frauen rekapituliert. Angela Schader stellt das Buch vor.

Iman Humaidan-Junis; Foto: Lenos- Verlag
Die Schriftstellerin Iman Humaidan-Junis erzählt die Schrecken des Bürgerkriegs aus der Perspektive von vier Protagonistinnen heraus, die auf der Suche nach einem Ausweg aus Krieg und Gewalt sind.

​​Ein paar Einschusslöcher mehr in Beiruts Fassaden, einige Tote, ein paar brandgeschwärzte Mauern mehr; nach dem Aufflackern des Albtraums in den letzten Tagen die Rückkehr - für wie lange? - in einen Zustand lähmend-angespannter relativer Ruhe.

Die neuen Narben werden sich bald ins Antlitz der libanesischen Hauptstadt fügen, das auch heute noch die Spuren des anderthalb Jahrzehnte dauernden Bürgerkrieges trägt.

Libanesischer Mikrokosmos

"Es heißt, der Krieg ist zu Ende. Meine Geschichte ist es noch lange nicht." So schliesst Iman Humaidan-Junis' Roman "B wie Bleiben wie Beirut", der jene traumatischen Jahre von 1975 bis 1990 aus der Sicht von vier Frauen rekapituliert - nicht als bequem aus der Retrospektive abgespulte Geschichtslektion, sondern mitten aus den gewaltsam gesprengten Lebensverhältnissen heraus.

Den Rahmen um das Geschehen setzt ein Mietshaus, in dem die Protagonistinnen sich begegnen und das zu einer Art Hohlspiegel der libanesischen Gesellschaft wird.

Lilian ist Christin, mit einem Schiiten aus dem Süden verheiratet, dessen Familie im Krieg aus ihrem Dorf vertrieben wird und recht handgreiflich Gastrecht in der engen Beiruter Wohnung beansprucht.

Die psychisch labile Warda, von ihren Angehörigen hastig in die Ehe mit einem wesentlich älteren Mann gedrängt, geistert ungekämmt durch ihre Zimmer, lebt von Kaffee und Zigaretten und trauert dem Töchterchen nach, das der Gatte ihrer Obhut entzogen hat.

Maha, deren Lebensgefährte im Bürgerkrieg umkam, läuft Spießruten zwischen den Blicken der in den Strassen herumlungernden Milizionäre, fährt gelegentlich ins Heimatdorf, über dem die Schande des Krieges liegt: leerstehende Häuser, aus denen die Christen - eben noch Nachbarn und Freunde - geflüchtet sind.

Beschädigte Gebäude aus der Zeit des Bürgerkriegs in Beirut; Foto: dpa
Die Folgen des Bürgerkriegs sind in Beirut, dem Schauplatz für Humaidans Roman, noch bis heute sichtbar.

​​Kamilja, wie Maha aus einer drusischen Familie stammend, wurde schon früh bei Tante und Grossmutter deponiert, damit die Eltern im Ausland ungestört ihr Vermögen öffnen konnten; als junge Frau driftet sie nun zwischen Partnern und Parteien, fasziniert alle, die ihr begegnen, mit ihrem bezaubernd-unverschämten Selbstbewusstsein, das letztlich nur die eigene innere Haltlosigkeit in Schach halten soll.

Auf der Flucht geschrieben

Entstanden ist der Roman aus Textfragmenten, die Iman Humaidan-Junis zur Zeit des Bürgerkriegs verfasste - an wechselnden Zufluchtsorten, in fremden Wohnungen, im Heimatdorf, am Steuer beim Warten an den Checkpoints. Auch die Erfahrung dieser vergeblichen Suche nach Sicherheit ist dem Buch eingeschrieben:

"Sie denken immer dasselbe, wenn sie in neue Wohnungen ziehen. Sie verteilen ihre Habseligkeiten, die immer weniger werden; sie werden zur beschwerlichen Last, und bei jedem Umzug trennt man sich von etwas weiterem. An einem neuen Ort eingerichtet, vergisst man leicht, was sich draussen Schreckliches abspielt, und wenn die erste Scheibe splittert, sind sie völlig überrascht."

Diese berührende und schreckliche Fähigkeit, sich in der Realität des Krieges zu arrangieren, prägt die Erzählhaltung der Figuren und damit die Atmosphäre des Romans. Die Gewalt, weitgehend auf die Sphäre der Männer beschränkt, trifft die Protagonistinnen immer nur mittelbar:

Kamiljas erster Geliebter, ein Christ, wird ermordet in den Bergen aufgefunden, der Mann, dem sie Jahre später endlich ihr Leben anvertrauen will, wird durch einen eifersüchtigen Rivalen nach der brutalen Methodik des Bürgerkriegs aus dem Weg geräumt.

​​Lilian ringt, in der keine Intimität mehr zulassende Enge ihrer überfüllten Wohnung, um ihren körperlich versehrten und seelisch gebrochenen Mann. Warda, vom Tod verschont, weil der Leib ihres Vaters die Granatsplitter von ihr abhielt, wird danach von Dämonen heimgesucht, von denen nicht restlos klar wird, wessen Schuld sie verkörpern.

Insbesondere die fragile Poesie der Warda-Episode weist aus, wie sensibel die Autorin das ins Leben dringende, formlos sich ausbreitende Entsetzen einzubinden und zu gestalten weiss.

Was im Handlungsabriss krass und dramatisch wirken mag, entwickelt der Roman beherrscht und praktisch ohne Misston; Libanons schwärzeste Zeit wird mit einem Nuancenreichtum ausgefaltet, in dem die schillernde Irrealität und die entsetzliche Wirklichkeit einer sich selbst zerfleischenden Nation gleichermaßen aufscheinen.

Angela Schader

© Neue Züricher Zeitung 2008

Iman Humaidan-Junis: B wie Bleiben wie Beirut. Aus dem Arabischen und mit einem Nachwort von Hartmut Fähndrich ist im Lenos-Verlag erschienen.

Qantara.de

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