Malischer Gitarrenvirtuose

Das Album ist die erste Veröffentlichung des neuen Labels Lion Songs Records und besteht hauptsächlich aus Solo-Gitarrentracks. Dabei gelingt es Boubacar "Badian" Diabaté, bei jedem Song eine neue Facette seiner Virtuosität unter Beweis zu stellen. Von Richard Marcus 

Von Richard Marcus

Musik aus Mali ist nach und nach im Mainstream unserer Popkultur angekommen. Entscheidenden Anteil daran haben die Vertreter einer Musikrichtung, die wir heute als "Desert Blues“ bezeichnen. Geprägt wird dieses Genre von engagierten Solokünstlern und Gruppen. Dass dieser Sound fesselt, ist unbestreitbar. Er dominiert damit unsere Vorstellung vom Klang malischer Musik, insbesondere malischer Gitarrenmusik. 

Wahr ist aber auch, dass damit einer wunderbar vielfältigen und kunstvollen Musikkultur mit Jahrtausende alten Wurzeln ein Bärendienst erwiesen wird. Denn schon immer standen Saiten- und Zupfinstrumente im Mittelpunkt der Kultur in der Region. Seit langem werden diese Instrumente von den Griots benutzt, traditionellen Sängern in den Dörfern und Gemeinden der Region. Sie erzählen die Geschichten, die für das Wohl und den Zusammennhalt der Gemeinschaft wichtig sind. 

Traditionell wurde in der Mande-Region mit der Ngoni-Laute, der Kora-Harfe und dem hölzernen Balafon Musik gemacht. Mit der Zeit hat sich diese Musik weiterentwickelt und wird heute in verschiedenen westafrikanischen Ländern auf der Gitarre gespielt. Noch immer ist sie die Musik der öffentlichen Feste, besonders häufig zu hören auf Hochzeitsfeiern und zu anderen fröhlichen Anlässen. So führt sie die Tradition fort, Musik für die Gemeinschaft zu sein. 


 

Gitarre ganz anders

Auf dem Album Mande Guitar erleben wir die Gitarre als Soloinstrument. Nur gelegentlich wird sie von einer zweiten Gitarre und Trommeln begleitet. Man könnte meinen, es wäre musikalisch ein Verlust, wenn die Gitarre aus ihrer typischen Umgebung gerissen wird. Doch hier ist es ein Gewinn. Dank der Vielschichtigkeit von Diabatés Gitarrenspiel entwickelt das Album seine Faszination. 

Wohl kaum ein anderes Instrument ist weltweit derart präsent wie die Gitarre. Jeder hat sie irgendwann einmal gehört. Von den Virtuosen der klassischen Gitarre wie Christopher Parkening und Andrés Segovia über die flamboyante Flamenco-Gitarre und die Jazzgitarre von Django Reinhardt bis hin zur wahren Pyrotechnik von Rockmusikern wie Jimi Hendrix und Pete Townshend – das Instrument ist allgegenwärtig. 

Möglicherweise leidet unsere Sensibilität unter dieser Omnipräsenz. Was könnte die Gitarre uns schon Neues bieten? Das Album gibt auf diese Frage eine überzeugende Antwort! So wie offenbar ein gehöriges Maß der  populären Musik heute von physischen oder wenigstens emotionalen Reisen nach Mali inspiriert wird, so hat auch Mande Guitar das Potential, unsere Wertschätzung für ein Instrument wiederzubeleben, das für viele so selbstverständlich geworden ist.

Ein herausragendes Talent 

Bei sechs der elf Songs auf diesem Album ist Diabaté solo zu hören. Bei den übrigen fünf Songs begleitet ihn sein Bruder Manfa bzw. bei einem Stück ist es Banning Eyre, alias Bayini, der ihn ergänzt. Ansonsten wird er nur noch von Baye Kouyaté begleitet, der bei dem Titel "Fadento“ die Trommeln Tamé und Kalebasse spielt. 

In erster Linie hören wir auf diesem Album also die Gitarre als Solo-Instrument. Dass die Musik trotz der Beschränkung auf ein einziges Instrument nie eintönig wirkt, ist dem besonderen Talent von Diabaté geschuldet. Er ist ein außergewöhnlichen Musiker, der jeden Song zu einer Offenbarung macht. 

Man ist kaum in der Lage, zwischen den Songs, die Diabaté alleine spielt, und den Titeln mit Begleitung zu unterscheiden.  Auch bei den Solo-Songs könnte man schwören, mehr als eine Gitarre zu hören, so komplex ist sein Spiel. 

 



 

Schon bei "L‘amour“ – dem ersten Titel des Albums – wird deutlich, dass uns etwas Besonderes erwartet. Diabaté scheint buchstäblich Solo-Noten zu zupfen und gleichzeitig den Rhythmus zu schlagen. Diese Virtuosität grenzt fast an ein Wunder. Komplexe Melodien greifen ineinander und entfalten sich zu neuen Mustern – und das alles über sechs Minuten. 

Bei einigen Songs arbeitet Diabaté mit Overdubs (eine zweite Tonspur wird nach einer Aufnahme eingespielt). Denn selbst diesem Künstler dürfte es nicht gelingen, eine zwölf- und eine sechssaitige Gitarre gleichzeitig zu spielen, wie bem neunten Track "Korosa“. Doch das soll nicht die Faszination schmälern, die das Spiel dieses Mannes hervorruft. 

Traditionelle Songs, innovativer Sound 

Wie bereits erwähnt, steht bei der Reihe Mande Guitar die traditionelle Musik im Mittelpunkt. Diese Aufnahme bildet da keine Ausnahme. Acht der Titel sind solche traditionellen Songs, die Diabaté für Gitarre arrangiert hat. Zu "Bagounou“, dem letzten Titel des Albums, heißt es in der Beschreibung, er werde so gespielt, wie Diabatés Vorfahren ihn einst auf ihrer Ngoni spielten. 

Auch das trägt dazu bei, dieses Album so einzigartig zu machen. Hier hören wir die Gitarre so, als würde ein anderes Instrument gespielt. So wie die Gitarre gezupft wird, erklingt sie wie die traditionelle Ngoni. Diabaté transkribiert nicht nur traditionelle Lieder für moderne Instrumente, sondern schafft Klänge, die eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart schlagen. 

Mit jedem Song des Albums erleben wir die Virtuosität des Künstlers auf der Gitarre neu. Möglich, dass wir uns so sehr an elektronische Verstärkung und die vielen Sound-Effekte gewöhnt haben, dass wir kaum noch wissen, wie es ist, nur dazusitzen und einer akustischen Gitarre zu lauschen, die jemand mit Leidenschaft und Lebensfreude spielt. 

Auch wer glaubt, schon alles gehört zu haben, was Gitarristen zu bieten haben, wird bei diesem Album feststellen, dass es da eine ganze Welt gibt, die noch darauf wartet, entdeckt zu werden. Das stupende Album Mande Guitar von Boubacar "Badian“ Diabaté lässt uns erneut verstehen, warum wir Musik so lieben. Es holt uns nicht nur zurück zu dem, was die Gitarre zu einem großartigen Instrument macht, sondern erschließt uns ein ganz neues Musikgenre. Sie werden begeistert sein. 

Richard Marcus 

© Qantara.de 2022

Übersetzt aus dem Englischen von Peter Lammers