Scheichs im Hochschulfieber

In Saudi-Arabien soll der Bildungssektor modernisiert werden. Jüngstes Beispiel: die "King Abdullah University" bei Dschidda, die vor kurzem eröffnet wurde. Exzellente Wissenschaftler aus aller Welt machen mit. Arnfrid Schenk informiert.

​​Ein häufig verwendetes Sprichwort in der arabischen Welt lautet: 'Suche das Wissen, und wenn du dafür nach China gehen müsstest!' Entwickelt sich alles so, wie es sich König Abdullah, Herrscher Saudi-Arabiens, wünscht, muss man in seinem Reich in Zukunft nicht mehr so weit gehen.

Nahe Dschidda, nur wenig mehr als 100 Kilometer von Mekka entfernt, nahm vor kurzem eine Universität ihren Betrieb auf, die einmal zu den besten der Welt gehören soll. Die "King Abdullah University of Science and Technology", kurz Kaust.

12,5 Milliarden Dollar hat sich König Abdullah Kaust kosten lassen. Der Campus ist 36 Quadratkilometer groß und soll mit den modernsten Laboren ausgestattet werden, in denen hervorragende Dozenten und Wissenschaftler aus aller Welt wirken sollen.

Großes Vorbild MIT

Auch zwei Drittel der 2.000 Studienplätze werden an Graduierte aus dem Ausland vergeben. Kaust soll zu den weltweit führenden Forschungsuniversitäten aufschließen, großes Vorbild ist das MIT, das Massachusetts Institute of Technology.

Man hat sich klangvolle Universitäten als Partner geangelt: Berkeley, Cambridge, Stanford, das "Imperial College London" und, als einzige aus Deutschland, die TU München. Diese Hochschulen erhalten Millionenbeträge, um ihre Forschungsprojekte an der Kaust voranzutreiben. Schwerpunkte sind Bio- und Nanowissenschaften, Energietechnik, Materialwissenschaften, Informatik.

Die TU München bekommt für drei Projekte 21 Millionen Dollar. Eines davon ist die dreidimensionale Darstellung Saudi-Arabiens, die nicht nur die Oberfläche abbildet, sondern auch die darunter liegenden geologischen Strukturen.

Mit Kaust treibt Saudi-Arabien das Hochschulfieber in die Höhe, das die Golfstaaten seit einigen Jahren erfasst hat. Die Scheichs haben erkannt, dass ein Ende der Ölzeit nicht mehr fern ist, und suchen nach Alternativen, um die Zukunft ihrer Fürstentümer zu sichern:

Rohstoff Wissen

​​ Der Rohstoff von morgen heißt Wissen. Besonders gefragt sind Naturwissenschaften und technische Fächer. Weil es schnell gehen und die Qualität trotzdem stimmen muss, kauft man das Know-how ein, meist aus dem Westen.

Die Universitäten kommen gerne, vor allem aus den USA, Australien und Großbritannien. Die Golfregion ist ein Wachstumsmarkt, da will man Plätze besetzen. Bildung wird zum Exportschlager. Qatar etwa hat eine gewaltige Education City aufgebaut, in der gleich mehrere amerikanische Hochschulen ihre Programme anbieten. Im Emirat Abu Dhabi hat die Sorbonne einen Ableger gegründet, Dubais Herrscher will mit einer milliardenschweren Stiftung die Forschung vorantreiben.

Und jetzt tastet sich der saudische Gottesstaat in Richtung Wissensnation vor. Ein Land, in dem so vieles verboten ist, was mit freiem Denken zu tun hat. Ein Land, das in Wissenschaftsrankings ganz unten zu finden ist, dessen Bildungssystem zu den schlechtesten der Welt gehört. In dem Religionsgelehrte und Religionspolizei das Sagen haben. Kann das funktionieren?

Kaust soll für Liberalität stehen. Die Stiftungsuniversität ist quasi auf exterritorialem Gebiet entstanden und soll unabhängig von den saudischen Ministerien wirken können.

Frauen und Männer sollen gemeinsam forschen und studieren, Frauen sogar Auto fahren dürfen - wissenschaftlich gesehen zwar eher eine Nebensache, aber für Saudi-Arabien doch von großem Symbolwert. Kaust werde die Gesellschaft verändern, warben saudische Würdenträger bei der Grundsteinlegung im Jahr 2007.

Neuerliche saudische Gigantomanie?

Kritiker, auch aus der arabischen Welt, sagten, das Projekt sei die übliche saudische Gigantomanie, die letzten Endes zu wenig führen würde.

König Abdullah; Foto: AP
Zaghafte Reformbestrebungen auch im Bildungsbereich: die Gründung der Universität geht auf die Initiative des saudischen Königs Abdullah zurück.

​​ Dass die beschworene Internationalisierung aber nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, zeigt sich an der Besetzung des Präsidenten: Es ist Choon Fong Shih, ein Ingenieur, der in Harvard seinen Doktor machte und zuletzt die Universität Singapur leitete.

Ein Zeichen dafür, dass man tatsächlich Erfolg will, ist auch die Tatsache, dass die staatliche Ölgesellschaft Aramco mit dem Aufbau der Uni betraut wurde und nicht das weniger effiziente Hochschulministerium.

Inwieweit die "King Abdullah University" aus ihrem Ghetto heraus tatsächlich in die saudische Gesellschaft hineinwirken kann, wird sich zeigen müssen. Auch ob sie ein Modell ist, das den Bedürfnissen des Landes entspricht: Haben die Verantwortlichen an eine Verzahnung mit der saudischen Wirtschaft gedacht? Welche Möglichkeiten werden die Absolventen haben, das dort Gelernte im Land umzusetzen?

König Abdullah will den Wandel in Saudi-Arabien, nicht nur im Bildungswesen. Aber der König ist 85 Jahre alt, und die Reformvorhaben sind stark an seine Person gebunden. Es wird in den nächsten Jahren in der saudischen Wüste ein spannendes Experiment zu beobachten sein.

Arnfrid Schenk

© Die Zeit 2009

Qantara.de

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