Der Hamburger Jurist Eigen Balin vom Jewish Diplomtic Corps; Foto: JWC

Besuch des Jewish Diplomatic Corps in den Emiraten
"Die Realität passt nicht zu den Vorurteilen"

Der Hamburger Jurist Eugen Balin gehört dem Jewish Diplomatic Corps des Jüdischen Weltkongresses (WJC) an. Ende 2021 besuchte eine Delegation des Corps die Vereinigten Arabischen Emirate, die im Sommer 2020 volle diplomatische Beziehungen mit Israel aufgenommen haben. Interview von Christoph Strack.

Herr Balin, was hat Sie am meisten beeindruckt in den Emiraten?

Eugen Balin: Wir sind auf Einladung der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) mit 40 jungen Diplomaten des Jüdischen Weltkongresses nach Abu Dhabi gereist mit dem Ziel, eine Brücke zu bauen und Verbindungen zu allen Bereichen des Lebens in den Emiraten zu knüpfen. Dazu trafen wir Vertreter der Regierung, der Wirtschaft, aus dem kulturellen Bereich und natürlich auch die jüdische Gemeinschaft vor Ort. Der Eindruck insgesamt ist überwältigend. Wir hatten zwar alle die Entwicklung 2020 und die Unterzeichnung der Abraham-Abkommen mit Freude und voller Hoffnung verfolgt. Aber die Realität vor Ort war noch mal ganz anders, als ich mir das vorstellen konnte.

Inwiefern?

Balin: Das gilt schon für die Herzlichkeit, der wir begegneten. Die entsprechenden Worte der Regierungsvertreter vor Ort galten in Bezug auf Israel und auf das jüdische Volk. Damit hatte niemand von uns gerechnet. Zur Delegation zählten auch Teilnehmer, die selbst familiäre Wurzeln in arabischen Ländern haben und einst als Juden fliehen mussten, um ihr Leben zu retten. Da flossen auch Tränen.

Als beispielsweise ein Regierungsvertreter erläuterte, zur Staatsräson der Emirate, basierend auf der Vision des Staatsgründers Scheich Zayid bin Sultan Al Nahyan, gehörten Harmonie und Toleranz, Koexistenz und Innovation, die auf allen Ebenen umgesetzt werden sollen. Und die jüdische Gemeinschaft sei in den Emiraten nicht nur willkommen. Sondern sie solle sich zu Hause fühlen. Das ist ein anderes Niveau, das kennen Juden in der arabischen Welt nicht.

Und es hat Sie überzeugt?

Balin: Die VAE wollten ein Ort sein für alle Religionen, für Juden und Christen, Muslime, Buddhisten und Bahai, sagte unser Gesprächspartner. "Wenn wir keine Juden hier haben, dann würde uns etwas fehlen. Ihr seid ein Teil von uns." Das hat mich getroffen. Und, in etwa: "Wir wollen nicht nur, dass ihr hier seid. Wir wollen, dass ihr Euch hier zu Hause fühlt."

Konkret mit Blick auf den Staat Israel geht es um künftige Beziehungen auf allen Ebenen, nicht nur formell auf Regierungsebene. Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur, gezielt geht es auch um Austausch bei Jugend und Frauen. Eine solche Annäherung wäre eine starke Basis für eine friedliche Zukunft der Koexistenz.

Die Delegation des Jewish Diplomatic Corps beim Besuch in den VAE 2021; Quelle: JWC
Ein überwältigendes Erlebnis: “Wir sind auf Einladung der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) mit 40 jungen Diplomaten des Jüdischen Weltkongresses nach Abu Dhabi gereist mit dem Ziel, eine Brücke zu bauen und Verbindungen zu allen Bereichen des Lebens in den Emiraten zu knüpfen,” sagt der Hamburger Jurist Eugen Balin. Die Herzlichkeit sei überwältigend gewesen. "Die entsprechenden Worte der Regierungsvertreter vor Ort galten in Bezug auf Israel und auf das jüdische Volk. Damit hatte niemand von uns gerechnet. Zur Delegation zählten auch Teilnehmer, die selbst familiäre Wurzeln in arabischen Ländern haben und einst als Juden fliehen mussten, um ihr Leben zu retten. Da flossen auch Tränen.”

Wie glaubhaft ist denn das? Die Emirate stehen unter Menschenrechtsaspekten durchaus in der Kritik. Es ist keine Demokratie. Und die Religionsfreiheit hat spätestens bei der Frage einer Konversion ihre Grenzen. Werden Israelis, werden Juden aus europäischen Ländern trotzdem begeistert dort hinfahren?

Balin: Daran habe ich überhaupt keinen Zweifel. Ich bin von dieser Delegationsreise wie verwandelt zurückgekehrt. Denn ich war zum ersten Mal überhaupt in einem Land außerhalb Israels, in dem ich mich mit einer Delegation des WJC völlig frei bewegen konnte. Ohne Sicherheitsvorkehrungen. Das ist uns in den vergangenen zwölf Jahren in keinem anderen Land der Welt passiert. Nun waren wir auf dem Markt in Dubai, mit Kippa als Jude erkennbar und ohne jegliche Gefahr. Wir sprachen Hebräisch, waren fröhlich und wurden durchaus auch mal laut. Und wir wurden von Verkäufern freundlich und auch mal mit einem "Shalom" begrüßt. Israelis kennen so etwas kaum. Klar, dass nun pro Tag fünf oder zehn Flüge von Tel Aviv nach Abu Dhabi und Dubai gehen.

Es war für Sie angstfreier als in Deutschland?

Balin: In Deutschland, Frankreich und anderen Ländern ist nicht per se möglich, als Jude erkennbar unterwegs zu sein, ohne sich Gefahren auszusetzen.

Sie haben in Frankreich studiert. Fühlten Sie sich dort schlechter als in den Emiraten?

Balin: Absolut. Ich habe 2005 und 2006 in Aix-en-Provence studiert. Damals, im Januar 2006, wurde in Paris Ilan Halimi entführt, ein junger Jude. Weil die Entführer dachten, alle Juden wären wohlhabend, und Lösegeld wollten. Aber die Familie war nicht reich. Halimi wurde gefoltert und massakriert. Und seitdem – das muss man nüchtern sehen – wird die Situation in Frankreich immer schlimmer. Sehen Sie die Anschläge in Toulouse und Paris.

Oder, um nicht nur auf Frankreich zu schauen, schauen Sie nach Brüssel und Kopenhagen. Es ist überall in Europa für Juden gefährlich, definitiv. In den Vereinigten Arabischen Emiraten sind wir am Schabbat, am Freitagabend und am Samstagmorgen, zum Gebet von unserem Hotel zur Synagoge gegangen. Mit Kippa, einige trugen sogar den Gebetsschal sichtbar durch die Straßen von Dubai, ohne Security. In der Mall war das Gebet in der Synagoge ausgeschildert, die Türen standen offen. Das zu erleben in einem arabischen Land... Diese Realität passt nicht zu den gängigen Vorurteilen. Niemand von uns hat so etwas erwartet.

Es ist ja auch ungewöhnlich….

Balin: Und es erfüllt mich mit Hoffnung. Gemeindemitglieder hier in Hamburg oder führende Repräsentanten der jüdischen Gemeinde in Deutschland sagen doch: Das wollen wir auch erleben.

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