Richteramt in Frauenhand

Die Berufung von 30 ägyptischen Frauen als Richterinnen hat im Land am Nil für politischen Wirbel gesorgt. Vor allem konservative und islamistische Kreise werten die Entscheidung als Affront. Von Nelly Youssef

Die Berufung von 30 ägyptischen Frauen als Richterinnen hat im Land am Nil für politischen Wirbel gesorgt. Vor allem konservative und islamistische Kreise werten die Entscheidung als Affront für das "Traditionsempfinden der Gesellschaft". Aus Kairo informiert Nelly Youssef

Tahani el Gabali wurde 2003 als erste Frau zur Richterin am Obersten Verfassungsgericht ernannt; Foto: Al Ahram Weekly
Die Ernennung von Tahani el Gabali zur Richterin am Obersten Verfassungsgericht rief 2003 in der Öffentlichkeit heftige Proteste hervor.

​​"Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen, dass ich gerecht zwischen den Menschen richten und das Gesetz wahren werde" – mit diesen Worten begann für 30 ägyptische Frauen eine neue berufliche Ära.

Denn erstmals in der Geschichte des Landes leisteten sie den Verfassungseid für die Aufnahme in das Richteramt. Zuvor hatte der Oberste Richterrat im vergangenen April beschlossen, Frauen den Zugang zu diesem Amt zu gewähren.

Die überwiegend verschleierten Richterinnen legten den Schwur im Revisionsgericht im Zentrum von Kairo ab. Ursprünglich sollten 31 Richterinnen ernannt werden. Einen Tag vor der Vereidigung aber lehnte eine Kandidatin die Ernennung aus "persönlichen Gründen" ab, obwohl sie die vorangegangene Prüfung mit Auszeichnung bestanden hatte.

Für die Prüfung, die einen schriftlichen und einen mündlichen Teil umfasste, hatten sich 124 Mitglieder der Generalstaatsanwaltschaft beworben. Voraussetzung war, dass die Bewerberinnen mindestens 30 Jahre alt sein mussten.

Gespaltene Lager

Erstmals wurde aufgrund dieses Beschlusses eine so große Zahl von Frauen ernannt. Vorausgegangen war ihm im Jahr 2003 die Ernennung von Tahani el Gabali zur Richterin am Obersten Verfassungsgericht durch Präsident Mubarak. Die Übertragung der Richterfunktion auf eine Frau rief damals in der Öffentlichkeit Empörung und Proteste hervor.

Die Richterschaft ist gegenwärtig gespalten – einige haben die Ernennung weiblicher Richter nach Kräften unterstützt, um für die Gleichberechtigung der Geschlechter einzustehen und damit einer Tradition zu folgen, der sich islamische und arabische Staaten in der Vergangenheit verpflichtet fühlten.

Andere äußerten hingegen ihre strikte Ablehnung des Beschlusses, da er den Lehren der Religion und der Scharia widerspreche und mit dem Traditionsempfinden der Gesellschaft kollidiere.

Richter Mahmoud al-Khodairi, Vizepräsident des Obersten Revisionsgerichts, bezeichnete die feierliche Vereidigung der Richterinnen als "Zurschaustellung der Regierung", durch die man dem Westen signalisieren wolle, Ägypten verfolge zunehmend eine freiheitlichere Politik, die mehr Gerechtigkeit für die Frauen beinhalte.

Scharia als Ausschlussargument?

Tatsächlich aber sei die Ernennung weiblicher Richter nur mit Problemen verbunden. So gelte in der islamischen Scharia das Zeugnis eines Mannes vor dem Richter soviel wie das zweier Frauen. Daher dürfe eine Frau auch nicht auf dem Richterstuhl sitzen. Außerdem neige eine Frau eher dazu, sich in ihrem Urteil durch Emotionen und nicht durch den Verstand leiten zu lassen, so die erklärten Gegner.

Andere wiederum finden den Eintritt der Frauen ins Richteramt deshalb anstößig, da die Richterin sich für ihre Arbeit oft stundenlang mit zwei oder mehreren männlichen Kollegen in ein verschlossenes Beratungszimmer zurückziehen müsse, was sich mit den Vorschriften der islamischen Scharia nicht in Einklang zu bringen sei.

Für heftige Diskussionen sorgten allerdings erst die Äußerungen des Ratsmitglieds des Hohen Richterrats, Vize-Generalsekretär Magdi al-Garhi, der die Ernennung weiblicher Richterinnen – auch entgegen der Billigung durch ein religiöses Rechtsgutachten ("Fatwa") – für nicht zulässig befand. Schlimmer noch ist, dass al-Garhi auch Kopten vom Richteramt ausgeschlossen sehen will.

Der ägyptische Großmufti, Scheich Ali Gomaa, reagierte hierauf in einer offiziellen Fatwa: Zwar sei - gemäß Scharia - einer Frau der Zugang zum Amt des Staatspräsidenten verwehrt, nicht aber die Ausübung des Richteramts. Dabei betonte er die Hochachtung, die den Frauen im Islam entgegengebracht wird, was durch das Auftreten weiblicher Muftis und Predigerinnen schon zur Zeit des Propheten bewiesen sei.

Muqbil Shakir, Präsident des Hohen Richterrats, betonte in seiner Rede vor den frisch vereidigten Richterinnen, wie lang und beschwerlich der Weg bis zu diesem Augenblick gewesen sei.

Das so genannte "Arabische Zentrum für die Unabhängigkeit von Richtern und Anwälten" begrüßte den Beschluss. Die Entscheidung stelle einen klaren Schritt zur Korrektur einer inakzeptablen Situation dar, da den ägyptischen Frauen bislang ihr verfassungsmäßiges Recht auf die Ausübung des Richteramts verwehrt wurde. Auch käme der Staat damit seinen internationalen Verpflichtungen nach – insbesondere was die Beseitigung der Frauendiskriminierung betrifft.

Nachzügler Ägypten

Das Zentrum verwies auf ägyptische Traditionen, die Ursache dafür seien, dass Ägypten erst viele Jahre später als andere arabische und islamische Staaten diesen Missstand behebt. So gebe es in Afghanistan 150 Richterinnen, in Marokko seien es 505 Richterinnen. Es sei zum Wohle der ägyptischen Gesellschaft, nur die Fähigsten zum Richteramt zuzulassen, egal, ob es sich dabei um Männer oder Frauen handele.

Hanan al-Sha'arawi ist eine der neuen Richterinnen. 14 Jahre lang arbeitete sie für die Generalstaatsanwaltschaft. Sie hat ein exzellentes Juraexamen absolviert und an der Kairo-Universität Diplome in Allgemein- und Verwaltungsrecht erworben.

Nach Hanans Meinung steht es niemandem zu, über das Für und Wider der Richterschaft von Frauen zu urteilen. Sollte jemand etwas dagegen haben, dass eine Frau das Richteramt ausfüllt, so müsse er doch zumindest abwarten, wie sie arbeite, erst dann könne man sich ein Urteil über ihr Auftreten und ihre Eignung erlauben.

Schließlich bedürfe es bei dieser Arbeit keiner zusätzlichen beruflichen Fähigkeiten, da allein die fachliche Qualifikation ausreichend sei.

Nancy Nabil Habib, Richterin am Gericht in Giza, erklärte, dass der Justizminister, Mamduh Mar'i, die Auswahlkriterien für Frauen festgelegt habe, die gleichermaßen auch für Männer gälten. Diese Kriterien beinhalteten vollständige Neutralität, Anhörung der Aussagen von Klägern und Beklagten sowie juristische Weiterbildung.

Strenge Sitten, überkommene Konzepte

Amal Mahmoud Ata, Gerichtspräsidentin am Amtsgericht Kairo-Süd, gab an, sie verstehe die Bedenken, mit denen man Frauen im Richteramt begegne. Sie orientiere sich allerdings an der Meinung der Rechtsgelehrten und religiösen Experten, die sich in der Angelegenheit um einen Ausgleich bemüht haben.

Amal Mahmoud Ata verwies darauf, dass sie seit 13 Jahren für die Generalstaatsanwaltschaft tätig sei und nebenbei eine Familie versorge, was weder ihre Arbeit noch ihre berufliche Eignung beeinträchtige.

Frauen seien sehr zuverlässig, was die Erfüllung einer einmal von ihnen übernommenen Aufgabe angehe. Zudem stütze sich das Richteramt auf Beweismittel und Gesetze – keineswegs aber auf emotionale Eindrücke, wie unterstellt werde.

Azza Sulaiman, Leiterin des "Zentrums für Frauenangelegenheiten", lobte die aufgeklärten Richter, die sich für das Recht der Frauen Richter werden zu dürfen, stark gemacht haben. Ihrer Ansicht nach sei es katastrophal, dass Frauen selbst im 21. Jahrhundert noch immer als Individuen zweiter Klasse betrachtet werden:

"Nicht den Frauen mangelt es an Qualifikation – das Frauenbild, das viele haben und das auf strengen Sitten und veralteten Konzepten beruht, ist verkehrt." Die Natur der Frau berge nichts Schändliches – schändlich sei allein die Wahrnehmung, die einige von ihnen hätten."

Nelly Youssef

Aus dem Arabischen von Stefanie Gsell

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