Den Islam zeitgemäß interpretieren

Zum ersten Mal äußert sich ein Imam mit einem eigenen Werk zur Debatte um die Zukunft des Islam in Europa. "Grüß Gott, Herr Imam" ist ein bemerkenswertes Buch, das zeigt, wie Islam und westliche Demokratie kompatibel sein können. Von Claudia Mende

Zum ersten Mal äußert sich ein Imam mit einem eigenen Werk zur Debatte um die Zukunft des Islam in Europa. "Grüß Gott, Herr Imam" ist ein bemerkenswertes Buch, das zeigt, wie Islam und westliche Demokratie kompatibel sein können. Claudia Mende hat das Buch gelesen.

​​ Benjamin Idriz gilt als Deutschlands bekanntester Imam. Seine Moschee in Penzberg südlich von München ist seit Jahren bekannt für Transparenz und Offenheit. Predigten auch in deutscher Sprache, öffentlicher Kindergarten und Bibliothek, vielfache Kontakte zu anderen Religionsgemeinschaften, Schulen und Institutionen prägen die Moschee des aus Mazedonien stammenden Imams.

Sein Projekt eines "Zentrums Islam in Europa, München" mit einer Akademie zur Ausbildung von Imamen sieht Idriz als Beitrag zu einem genuin deutschen Islam, der sich nicht mehr in den Herkunftsländern der Muslime rückversichern muss.

Doch Idriz hat auch einige Kontroversen hervorgerufen. Trotz jahrelanger Bemühungen des Islamischen Forums Penzberg hat der Verfassungsschutz des Freistaats die Moschee in seinem jährlichen Bericht als "extremistisch" eingestuft. Es gebe Kontakte zur Organisation Milli Görüs, gegen die unter anderem wegen der "Unterstützung terroristischer Organisationen" ermittelt wurde, lautete die Begründung der Behörde.

Die Ermittlungen gegen Milli Görüs wurden inzwischen eingestellt. Das Islamische Forum Penzberg hat jedoch bisher vergeblich vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht gegen die Einschätzung des Innenministeriums geklagt. Allerdings wurde der Moschee eine Neueinschätzung für den nächsten Bericht in 2011 in Aussicht gestellt.

Die Münchner Stadtratsfraktionen, christliche Kirchen und die jüdischen Gemeinde in München stehen weiter hinter dem Imam. Der Streit mit dem Innenministerium war für Idriz der Anlass, seine Vision eines europäischen Islam in Buchform zu publizieren.

Buchstabenglauben als Grund für die Erstarrung des Islam

Benjamin Idriz mit Gönül Yerli, Vize-Direktorin des islamischen Forums, in der Penzberger Moschee; Foto: dpa
Gegen althergebrachte Bräuche traditionalistischer Geistlicher und für ein modernes, progressives Islambild: Benjamin Idriz (links) gemeinsam mit Gönül Yerli, Vize-Direktorin des islamischen Forums, in der Penzberger Moschee.

​​ Idriz schreibt nicht um den heißen Brei herum. Er unterscheidet zwischen dem Islam, wie Mohammed ihn gelebt habe und den Interpretationen der Nachwelt. Der Glaube Mohammeds besitzt für ihn einen universellen Charakter mit Werten wie Liebe, Toleranz, Respekt und Gerechtigkeit. Außerdem besitze er die Fähigkeit, sich an jede Epoche und an jeden Ort anzupassen. Nach dem Tod Mohammeds sei diese Offenbarung jedoch schnell für politische Zwecke instrumentalisiert und dogmatisiert worden.

Rechtsbestimmungen wurden bald von einigen Gelehrten für unwandelbar erklärt, die in Wahrheit an ihren zeitlichen und historischen Kontext gebunden und daher aus heutiger Sicht problematisch sind.

In diesem Buchstabenglauben sieht er einen Hauptgrund für die Erstarrung des Islam, denn solche Bestimmungen müssten sich immer wieder neu anpassen. Er kritisiert das Religionsverständnis vieler Muslime, das "durch althergebrachte Bräuche, Reden traditionalistischer Geistlicher und Ideen, die mittlerweile veraltet sind", geprägt sei. Archaische Strafen bei Apostasie und Ehebruch, Zwangsehen und Ehrenmorde bezeichnet er als religiösen Deckmantel für "steinzeitlichen Bräuche" in den Herkunftsländern mancher Muslime.

Schleier und Burka zum Beispiel stehen für Idriz im Widerspruch zur universellen Botschaft Mohammeds. Zeitgemäßer Islam bedeutet für ihn dagegen, dass Frauen Führungspositionen in der Moschee übernehmen dürfen. Idriz beantwortet nicht alle Fragen in der Diskussion um den Islam, zeigt aber deutlich, wohin die Richtung gehen muss.

Auf dem Weg zu einem europäischen Islam

Porträtbild Benjamin Idris; Foto: dpa
Trotz seines Eintretens für die Gleichberechtigung von Mann und Frau und seines Bekenntnisses zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung, wird Idris' Gemeinde bis heute vom bayerischen Verfassungsschutz beobachtet.

​​Geprägt hat Idriz das multiethnische und multireligiöse Miteinander des ehemaligen Jugoslawien. Gerade in Bosnien, wo der Islam sich seit Ende des 19. Jahrhunderts mit der österreichisch-ungarischen Herrschaft arrangieren musste, wurden frühzeitig Modelle für einen europäischen Islam entwickelt. Auf diese bosnischen Theologen, wie zum Beispiel Husein Djozo (1912-1982), beruft sich Idriz.

Das hat heftige Kritik hervorgerufen, denn wie der "Focus" berichtete, war Djozo im 2. Weltkrieg Imam der Waffen-SS in der sogenannten Handchar-Division. Djozo's Position einer zeitgemäßen und traditionskritischen Islaminterpretation ist in der Wissenschaft nicht umstritten.

Es ist unzweifelhaft, dass Djozo theoretische Grundlagen für die Existenz der bosniakischen Muslime in einem religiös-pluralistischen Kontext erarbeitet hat, und genau darauf beruft sich Idriz. Es ist sicher ein Versäumnis, dass die Rolle der bosnischen Muslime zur Zeit des Dritten Reiches in Bosnien selbst und in der Forschung noch nicht aufgearbeitet ist.

Dieses Versäumnis kann man allerdings nicht Idriz ankreiden. Idriz hat mit "Grüß Gott, Herr Imam" ein mutiges Buch und einen wichtigen Beitrag zur deutschen Integrationsdebatte vorgelegt.

Claudia Mende

© Qantara.de 2011

Redation: Arian Fariborz/Qantara.de

Benjamin Idriz: "Grüß Gott, Herr Imam! Eine Religion ist angekommen", Diedrichs-Verlag München 2010, ISBN-13: 978-3424350425

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