Dialog oder Tod

Im Balkankrieg sind schätzungsweise eine viertel Million Menschen getötet und zwei Millionen vertrieben worden. Die Zugehörigkeit zu einer Religion und Volksgruppe entschied oftmals über Leben oder Tod. Die Friedrich-Ebert-Stiftung versuchte, verschiedene Religionsvertreter aus dem Balkan zusammen zu bringen.

Der Franziskaner-Pater Marko Orsolic aus Sarajevo gehört zu den Vorreitern des Dialogs. Bereits 1991 - also schon vor Beginn des Krieges - gründete er in seiner Heimatstadt ein Multireligiöses Zentrum. Größere Projekte folgten erst nach Beendigung der Kämpfe: 1997 wurde auf internationale Initiative ein Interreligiöser Rat eingesetzt. Aber obwohl Osolic überzeugt ist, dass es für die Menschen in Bosnien-Herzegowina nur die Wahl zwischen Dialog und Tod gibt, fehle vielen Glaubensvertretern nach wie vor der rechte Willen zum Dialog - ganz im Gegensatz zu den einfachen Bürgern: "Im Leben verstehen sich unsere Gläubigen gegenseitig, sie haben über die Jahrhunderte einen Dialog gefunden. Aber wenn es um den Überbau - um Theologen und andere - geht, ist die Situation viel schlimmer, als wir sagen wollen."

Friedhof in Sarajewo, Bild: ap
Friedhof in Sarajewo, Bild: ap

​​Dass die Religionsvertreter heutzutage wenig Bereitschaft zum Dialog zeigten, liege an der Rolle, die sie während des Krieges spielten, meint der französische Bosnien-Experte Xavier Bougarel: "Die kroatische katholische Kirche, die serbische orthodoxe Kirche und die bosnische muslimische Gemeinschaft haben damals versucht, die nationale Frage zu nutzen, um ihre einstigen Privilegien und ihren einstigen Einfluss über die jeweilige Volksgruppe wieder herzustellen. Der serbische Patriarch Pavle I., der kroatische Kardinal Franjo Kuharic und das Oberhaupt der muslimischen Gemeinde Mustafa Ifendi Ceric haben die Politik so instrumentalisiert, wie Franjo Tudjman, Slobodan Milosevic und Alija Izetbegovic die Religion instrumentalisiert haben."

Die SPD-nahe Friedrich-Ebert Stiftung hat Vertreter der verschiedenen Religionen nach Berlin eingeladen, um das Nebeneinander von Muslimen und Christen auf dem Balkan zu diskutieren. Es wurde deutlich, daß die Religionsvertreter offenbar von einer gemeinsamen Gesprächsebene noch weit entfernt sind. Der serbisch-orthodoxe Religionswissenschaftler Milan Vukomanovic beschränkte sich in seinen Diskussionsbeiträgen auf historische Details. Und der Vertreter der katholischen Kirche Niko Ikic zitierte zahlreiche Koran-Verse, um zu demonstrieren, dass ein Dialog mit den Muslimen kaum möglich sei.

Protest kam vom Berliner Osteuropa-Experten Holm Sundhaussen, der in theologische Debatten in dieser Situation keinen Sinn sieht. Denn, so Sundhaussen, der Konflikt zwischen den Glaubensgemeinschaften habe mit Religion selbst überhaupt nichts zu tun: "So zu sagen der 'Durchschnittsmensch' - wenn man ihm solche Koran- und Bibelverse um die Ohren haut, wie es hier passiert ist, dann kann er gar nichts damit anfangen. Und mit den theologischen Problemen, die hier teilweise angesprochen wurden, kann er erst recht nichts anfangen."

Was den Dialog zwischen den Religionen in Bosnien-Herzegowina angehe, so der Vertreter der muslimischen Gemeinschaft Alibasic, gebe es dazu keine Alternative. Allerdings warnte er auch vor Illusionen: "Einige Dinge kann der Dialog nicht lösen. Und wir sollten das auch nicht erwarten. Denn große Erwartungen führen sehr oft zu großen Enttäuschungen. Der jüngste Krieg kann nicht einfach vergessen werden. Ich glaube, dass die Kriegsparteien auf dem Balkan nicht gleich waren. Und ich halte es für unmoralisch, von den Opfern zu verlangen, dass sie einen Dialog mit den Tätern und Schuldigen führen sollen." Alibasic kritisierte vor allem, dass das Stichwort "Dialog" zum Business verkommen sei: Von internationaler Seite veranstalte man Gesprächsforen um ihrer selbst Willen. Dabei sei es egal, wo sie stattfänden - Hauptsache, sie fänden statt. Sein Fazit nach der Berliner Tagung war denn auch geprägt von Kritik an der internationalen Gemeinschaft: "Ich glaube, dass es Druck von außen gibt und dass viele Aktivitäten, die man als Dialog-Prozess bezeichnet, aufgezwungen sind. Und das sieht man auch an den Ergebnissen: Es gibt so viele Treffen, aber keine Ergebnisse."

Klaus Dahmann, Deutsche Welle; &copy 2002 Deutsche Welle