Mythos Kopftuch

Am Kopftuch entzünden sich immer wieder hitzige Debatten über die vermeintliche Unterdrückung der Frau. Dabei hat das Kleidungsstück eine jahrtausendealte Tradition, wie eine Ausstellung im Wiener Weltmuseum zeigt. Cristina Burack hat die Ausstellung besucht.

Von Cristina Burack

Eigentlich ist es nur ein Stück Stoff, doch es ist mit Bedeutung beladen: das Kopftuch. In seiner über 4000 Jahre währenden Geschichte hat es einiges erlebt, Bedeutungen angenommen und wieder verloren.

Die Ausstellung "Verhüllt, enthüllt! - Das Kopftuch" im Wiener Weltmuseum widmet sich mit Fotos, Zeichnungen, Videos und High-Fashion-Design ab Donnerstag (18. Oktober) der Geschichte und Entwicklung des Kleidungsstücks. 

Ausschlaggebend für die Umsetzung der Schau seien soziale und politische Ereignisse im Herbst vergangenen Jahres gewesen, sagte Kurator Axel Steinmann der Deutschen Welle.

Dazu zählten die Werbung einer Apotheke mit einer Kopftuch tragenden Frau, die Einführung Hijab-tragender Emojis und die Entscheidung Saudi-Arabiens, einem "weiblichen" Roboter die Staatsbürgerschaft zu gewähren, der - anders als die Bewohnerinnen des Landes - seinen Kopf nicht öffentlich bedecken darf.

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Es sei wichtig zu erkennen, dass das Kopftuch sowohl im Osten als auch im Westen von seiner politischen und moralischen Umgebung beeinflusst worden sei, so Steinmann: "Es ist das Ziel der Ausstellung, die Veränderungen aufzuzeigen, die das Kopftuch erlebt hat und die vergessen oder verdrängt wurden oder einfach unbekannt sind."

Die Fotografien der Ausstellung reichen von traditionellen christlichen Schleiern über Haute-Couture-Kopfbedeckungen bis hin zu abstrahierten Kopfbedeckungen.

"Verhüllt, enthüllt" kontrastiert die Nutzung des Kopftuchs: Während eine Zeichnung eine junge Frau mit großen Augen in einem preisgekrönten, stilvollen Sommeroutfit mit verknotetem Kopftuch abbildet, zeigt eine andere Skizze aus Teheran eine voll verschleierte Frau mit verstecktem Gesicht, die dem Betrachter einen schlanken Knöchel in hohen Absätzen offenbart.

Integraler Bestandteil abrahamistischer Religionen

Heute steht das Kopftuch in der westlichen Welt oft im Zentrum hitziger Debatten, die sich auf die Kopfbedeckungen muslimischer Frauen konzentrieren und die Frage aufwerfen, ob es ein Zeichen der Unterdrückung ist. Dabei war die Praxis traditionell ein integraler Bestandteil aller abrahamitischen Religionen - Judentum, Christentum und Islam -, ihre Wurzeln reichen Tausende von Jahren zurück.

Suzanne Jongman inszeniert ihre Modelle in recycleten Materialien, um flämische Kunstwerke nachzustellen.
Neutralität als künstliches Gebot: Die ausgestellten Kopftücher selbst sind schlicht aufgehangen wie Gemälde, auf Experimente mit verschiedenen Bindungen an Puppenköpfen wurde verzichtet. Aus dem oft mit Bedeutung aufgeladenen Tuch wird so ein simples, meist rechteckiges Stück Stoff. Es ist der Versuch, ein vorbelastetes Symbol kultureller Debatten neutral zu präsentieren.

Trotzdem stellt die Ausstellung das Kopftuch nicht als Kleidungsstück dar, das immer ein Objekt der freien Wahl war, sondern greift die Kontroversen über den Zwang der Verschleierung auf. Das gilt übrigens auch für Männer: "Für mich war es wichtig zu zeigen, dass Kopfbedeckungen für Männer auch von historischen und kulturreligiösen Aspekten in Verbindung mit Kleidungsregeln bestimmt wurden", sagt Steinmann.

Ähnlich wie bei Frauen fordern religiöse Vorschriften mitunter auch Männer dazu auf, ihren Kopf vor Gott zu bedecken, wie im Talmud, einem zentralen Text im Judentum.

Ein Zeichen christlicher Frömmigkeit, gehobenen Stils oder als symbolischer Übergangsritus zur Männlichkeit - "Verhüllt, enthüllt!" belegt, dass Kopfbedeckungen keine alleinige Domäne einer Religion, Kultur oder Weltsicht sind.

Die Ausstellung des Weltmuseums umfasst Exponate aus Nordafrika, Südwest- und Zentralasien, Guatemala und Indonesien. Kurator Steinmann weist jedoch darauf hin, dass selbst diese geografische Bandbreite das Thema Kopftuch nicht umfassend erfassen kann. "Der Kopf, genau wie der Körper", erklärt er, "wurde in allen Kulturen zu allen Zeiten dekoriert oder bedeckt."

Cristina Burack

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