
Architektur in SanaaDas Erbe des Jemen zerfällt
Wenn Maged Tameh an seinem Haus in der historischen Altstadt von Sanaa, der Hauptstadt Jemens, hinaufblickt, schaut er direkt in sein früheres Schlafzimmer. Zwei Nischen in der weiß getünchten Wand, davor stand das Bett. Die Holzbalken, weiß verspachtelt, darüber Reisig, das die Decken Jahrhunderte lang getragen hatte. Doch im August hat die Fassade nachgegeben, die tragende Mauer stürzte in die Straße vor dem Haus.
Das Unheil hatte sich lange angekündigt, berichtet Maged Tameh. Der Regen hat das Haus dann letztlich zum Einsturz gebracht. Wasser tropfte von der Decke, quoll aus den Ritzen. Er hat seine Familie in Sicherheit bringen können und das Hab und Gut, das ihnen geblieben ist. Ein paar Möbel, Kochgeschirr, Kleidung.
Doch das Haus, in dem er geboren wurde, wie schon sein Vater und davor dessen Vater, es ist zerstört. Ob er es je wieder aufbauen kann, weiß Maged Tameh nicht. Wochen nach dem Unglück liegt ein Haufen aus Lehm und Ziegeln noch immer auf der Straße, dazwischen Plastikplanen, mit denen er vergeblich versucht hatte, den drohenden Kollaps doch noch zu verhindern.
Die lebkuchenbraunen Turmhäuser aus Lehm mit den charakteristischen weißen Ornamenten in der Stadt haben die Jahrhunderte überdauert. Doch die verheerende Kombination aus Klimawandel und Krieg könnten das seit 1986 als Weltkulturerbe eingestufte Ensemble von 6 000 Gebäuden unwiederbringlich zerstören, ein einmaliges Juwel früher islamischer Architektur.
Die heftigsten Regenfälle seit Jahrzehnten haben im Juli und August vier Häuser komplett zerstört, wie Aqeel Saleh Nasari der Süddeutschen Zeitung sagt, er ist Vertreter der Allgemeinen Organisation für die Erhaltung der historischen Städte Jemens (GOPHCY). Bei mehr als 100 seien die Dächer teilweise oder ganz eingebrochen. Bei 251 Häusern müsse schnell eingegriffen und renoviert werden, um zu verhindern, dass sie bei weiteren Gewitterstürmen oder spätestens in der nächsten Regenzeit zusammenbrechen. Bei 5 000 der Häuser seien die Dächer undicht - was oft den Beginn des Verfalls markiert.
Den gestampften Lehm der bis zu 1000 Jahre alten Häuser weichen die Fluten nun auf
Der Klimawandel verschärft in der Republik Jemen wie auch in anderen Ländern auf der arabischen Halbinsel die Wetterextreme. Mehr als 170 Menschen sind landesweit durch Überflutungen in diesem Sommer gestorben, Tausende wurden obdachlos.
Sanaa, in einem Talkessel auf 2 200 Metern Höhe gelegen, bekommt wegen der nahegelegenen Berge, die auf bis auf 3 600 Meter ansteigen, schon immer in der Regenzeit reichlich Niederschlag ab, ein Segen in dem Land, das unter akutem Wassermangel leidet. Seit Jahren aber ergießen sich immer stärkere Gewitter über die Hauptstadt, was regelmäßig zu Überflutungen führt. Den gestampften Lehm der bis zu 1 000 Jahre alten Häuser weichen die Fluten auf. In den engen Gassen der Altstadt stand das Wasser knietief, was die Fundamente der Häuser ins Rutschen bringt. Risse in den Wänden sind bei mehr als 1 000 der zumeist als Wohnhäuser genützten Türme Zeichen unverkennbares Anzeichen statischer Probleme.
Bei vier von fünf Häusern sind die Fundamente ohnehin schadhaft, weil ihnen Feuchtigkeit, Salz, Mikroorganismen zu schaffen machen. "Irgendwann stürzen sie einfach unter ihrem eigenen Gewicht ein", sagte der damalige Generalkonservator der Altstadt, Naji Thowabeh, der SZ schon vor fünf Jahren. "Und wenn eines fällt, dann sind die anderen auch nicht mehr stabil." Denn die Häuser sind in vielen der Sträßchen dicht an dicht gebaut.
Dazu kommt der Krieg. Die Raketen und Bomben der von Saudi-Arabien geführten Militärkoalition haben zwar nur selten direkt die Altstadt getroffen. Die Druckwellen der Detonationen in den nahegelegenen Bergen, wo die aufständischen Huthi-Milizen verbunkerte Stützpunkte der Armee übernommen haben, ließen aber die Altstadt beben, rissen Fenster aus den Rahmen. Gerade erst haben die Huthis Raketen auf Ziele in Saudi-Arabien gefeuert, nach Monaten der Ruhe warfen dann Jets wieder Bomben über Sanaa ab.