Aufbruch einer neuen Dokumentarfilmkultur

Wer mit arabischer Filmkultur nur ägyptische Seifenopern oder intellektuelle Elitefilme verbindet, liegt falsch. Denn seit einigen Jahren ist das arabische Interesse am Dokumentarfilm deutlich gewachsen.

Wer mit Filmkultur in der arabischen Welt nur ägyptische Seifenopern oder intellektuelle Elitefilme verbindet, liegt falsch. Denn seit einigen Jahren ist das arabische Interesse am Dokumentarfilm deutlich gewachsen. Von Christina Förch aus Beirut

&copy DocuDays Beirut 2004
Filmszene aus 'Cine Caravane' auf dem Beiruter Dokumentarfestival DocuDays 2004

​​Vor sechs Jahren war der Kinosaal noch fast leer, als Dokumentationen aus Europa, den USA und der arabischen Welt auf dem ersten Beiruter Dokumentarfilmfestival DocuDays über die Leinwand flimmerten.

Die wenigsten Beiruter Filmstudenten wollten Dokumentationen drehen. Und wenn, dann war die Qualität schlecht: "Traditionell ist der arabische Raum eben keine Kultur der Bilder, sondern des Wortes", erläutert der Festivaldirektor und Gründer von DocuDays Mohamed Hashem. "Die meisten arabischen Dokumentarfilme bestehen aus Interviews, die irgendwie bebildert sind."

Große Resonanz auf DocuDays

Drei Jahre später bereits jedoch zählte das Festival an die 5000 Besucher, verfügte über einen Wettbewerb, eine internationale Jury und mehrere Workshops, die sich mit Produktionsbedingungen, Gestaltungsformen und Inhalten des Dokumentarfilmgenres befassten.

Auch aus dem arabischen Raum wurden viele Filme eingesandt, deren Qualität jedoch immer noch nicht ganz internationalen Maßstäben entspricht.

"Mein Marketing Manager saß dieses Jahr zur Festivalzeit in einem Sammeltaxi und der Fahrer fragte, ob er zu DocuDays fahren wolle. Denn der Chauffeur war mit einem Kollegen am Tag zuvor auch beim Festival gewesen. Der Fahrer diskutierte mit meinem Assistenten über die Filme, die wir zeigten – das war wirklich super", erzählt Hashem voller Begeisterung.

Denn er möchte auf keinen Fall, dass sein Festival nur von einer kleinen elitären Gruppe von Intellektuellen, Journalisten und Filminteressierten besucht wird. Vielmehr hofft er, dass nächstes Jahr noch mehr Taxifahrer, Arbeiter und einfache Angestellte zu seinem Festival kommen werden.

Von einer Massenkultur des Dokumentarfilms kann zwar noch lange keine Rede sein. Doch Hashems Festival expandiert mit jedem Jahr mehr. In seinem Beiruter Büro stapeln sich hunderte von eingesandten Videos und Filmrollen aus aller Welt.

Zunehmende Eigenproduktionen

Viele Filme kommen von unabhängigen Filmemachern aus Europa, Amerika oder Japan, aber auch aus Korea, Indien und Lateinamerika. Die arabischen Produktionen sind entweder Filme, die für das Ausland gedreht wurden oder für das arabische Fernsehen.

Seit einem Monat hat Hashem einen wichtigen Zweitjob – für den Dokumentarfilmkanal von Al-Jazeera ist er dafür verantwortlich, ein neues Festival und einen Filmmarkt in Qatar zu organisieren.

Er wird die arabischen Regisseure und Produzenten auswählen, die an diesem Event teilnehmen. Zwölf Projekte sollen während des Festivals vorgestellt werden – für arabische Filmschaffende eine einmalige Chance, direkt mit Programmverantwortlichen über die Produktion von Dokumentarfilmen zu verhandeln.

"Bis vor kurzem noch haben arabische Sender ausländische Dokumentationen eingekauft, lediglich um Sendezeit zu füllen", berichtet Hashem. "Doch das hat sich grundsätzlich geändert. Jetzt produzieren Sender wie Al-Jazeera und Al-Arabiya selbst - und zwar zur besten Sendezeit."

Als die Gründung eines speziellen Dokumentarfilmkanals bei Al-Jazeera noch zur Diskussion stand, produzierte O3, eine Tochter der MBC Gruppe, bereits erste Dokumentationen für den Nachrichtensender Al-Arabiya sowie für MBC.

Fokus arabische Welt

Bereits im ersten Sendejahr drehte O3 über 60 Stunden Dokumentationen zu länderspezifischen Themen wie Saudi-Arabien, Irak, Palästina und anderen arabischen Staaten, mit einem deutlichen Schwerpunkt auf dem aktuellen politischen Geschehen in der Region.

Aber auch eine Serie über ehemalige Terroristen, Missionare oder die arabische Kalligraphie fanden ihren Platz im Programm. "Seit dem 11. September befassen wir uns zunehmend mit der Beziehung zwischen Menschen aus der arabischen und westlichen Welt sowie mit der Terrorismusdebatte", berichtet Mohamed Soueid, Produktionsleiter der Abteilung Dokumentarfilm bei O3.

Jedes Jahr hält Al-Arabiya in Dubai einen Workshop für arabische Filmschaffende. Projekte und Vörschläge für Dokumentarfilme können eingereicht werden, die in dem mehrtägigen Arbeitstreffen konzeptionell weiterentwickelt werden.

Workshops als Karrieresprungbrett

"Das ist besonders für junge Talente interessant", meint Soueid. Er betrachtet den Workshop als Sprungbrett für junge Filmemacher. "Für viele ist es das erste Mal, einen längeren Dokumentarfilm zu drehen, der auch gesendet wird."

Die Filmschaffenden haben nicht nur die Möglichkeit, ihre Filme auf Al-Arabiya zu senden. Der Workshop ist auch dazu gedacht, mit internationalen Koproduktionspartnern in Kontakt zu treten, zum Beispiel mit europäischen Sendern.

"Die arabische Fernsehlandschaft ist leider so, dass es keine inter-arabischen Koproduktionen gibt", erklärt Soueid. Jeder Sender produziere für sich selbst. Daher sei das Buget pro Film meistens niedrig und anspruchsvollere Produktionen würden durch das Raster fallen. "Ausserdem war es anfangs schwer, die Programmmacher davon zu überzeugen, dass man mit Dokumentationen Geld verdienen kann."

Doch Al-Arabiya ist es gelungen, einige Eigenproduktionen auch im Ausland zu vermarkten, und zwar "mit steigendem Interesse seitens ARTE, ZDF und dem japanischen Sender NHK."

Mit dem neuen Spartenkanal wird Al-Jazeera versuchen, ähnliche Wege zu gehen. "Im ersten Jahr wollen wir uns jedoch auf einige wenige Produktionen beschränken, um Erfahrungen zu sammeln und zu testen, wie das alles funktionieren soll", sagt Hashem.

Kritik an Programmgestaltung

Unabhängige Filmemacher kritisieren, dass die beiden grossen Satellitensender ihre Dokumentationen zu sehr auf politische Themen reduzieren. Außerdem würden die Programmmacher direkten Einfluss auf Inhalte nehmen und schlimmstenfalls sogar Zensur ausüben.

"Eigentlich sieht es schlecht aus für unabhängige Produktionen", so ein Filmemacher, der namentlich nicht genannt werden möchte. "So bleibt uns eben doch nur wieder das Ausland."

Und das ist bekanntlich sehr schwer. Nur einige wenige arabische Talente haben es bislang geschafft, im internationalen Konkurrenzkampf zu bestehen.

Doch Hashem bleibt optimistisch. Er glaubt, dass die Rahmenbedingungen für den Dokumentarfilm im arabischen Raum immer besser werden - und dann hoffentlich auch die Qualität der Produktionen.

Christina Förch

© Qantara.de 2005

Mehr Informationen über das Beiruter Dokumentarfilmfestival DocuDays finden Sie hier