Erste Retrospektive der arabischen Künstlerin Etel Adnan in Deutschland

Die 2021 gestorbene Etel Adnan war eine herausragende Vertreterin der arabischen Moderne. Die Künstlerin verband Medien, Sprachen und Kulturen zwischen Frankreich, dem Libanon und Kalifornien.

Malen als reine Energie zeichnet das Werk der internationalen Künstlerin Etel Adnan (1925-2021) aus. Die hohe Qualität ihrer Bilder, kraftvolle Farben, Flecken, Tupfer und Linien drängen sich dem Auge auf. Da ist beispielsweise ein zartgelber Halbkreis, der sich in Orange auf rosa Grund spiegelt und an Sonnenaufgänge am Meer erinnert. Die Weltbürgerin hat ein bezauberndes Universum unter der Sonne Kaliforniens und den Zedern des Libanon geschaffen. Ihre mystische Farbenwelt lässt einige Momente lang bittere Kriegsgeschichten vergessen.



Die Städtische Galerie am Lenbachhaus präsentiert ab Dienstag erstmals in Deutschland eine umfassende Retrospektive Adnans mit Werken aus über sechs Jahrzehnten, von den 1960er Jahren bis zu ihrem Tod. In den Räumen des Kunstbaus am Münchner Königsplatz werden 150 Werke aus allen Schaffensphasen gezeigt. Ölbilder und Wandteppiche, Skizzen, Leporellos und Filme, Gedichte und filmische Interviews vergegenwärtigen die schöpferische Bandbreite und ermöglichen es, in die farbenfrohe, abstrakte Welt der Künstlerin einzutauchen.

 

 

Eine kosmopolitische Künstlerin, die die Moderne mit Händen ergreift



Adnan hat als Dichterin, Malerin, Journalistin und Philosophin Kunstformate und Kulturen zwischen mehreren Kontinenten verknüpft. Ihr poetisches Gesamtwerk lebt vom Austausch zwischen der arabischen und der westlichen Welt. "Materie in Geist verwandeln. Die Schwelle überschreiten. Alle Zeichen vernichten, dann hinter ihnen her sein. Die Zukunft entziffern." Das Kernthema ihres schriftstellerischen und malerischen Werks beschreibt einen jahrzehntelangen Selbstbefreiungsprozess.



In der Schau verdeutlicht die feine Ausstellungsarchitektur die Entwicklung. Adnan ist eine der Frauen einer frühen Generation, die die Moderne mit Händen ergreift und sie als Entwicklungschance erkennt. Die Mutter Griechin, der Vater Syrer im Exil, wurde sie in Beirut geboren. Der Schmerz des Vaters, Offizier einer untergegangenen Zeit, wirkt auf ihr Werk, wie sie in einem Interview im Kunstbau erzählt. Im bis 1943 französisch besetzten Libanon wächst sie mehrsprachig auf. Noch in ihrer Geburtsstadt beginnt sie ein Philosophiestudium, das sie in Paris, ab 1955 in Kalifornien weiterführt.

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Sonne, Wasser, Pflanzen und Meer, Landschaft und das kulturelle Klima beeinflussen fortan ihr künstlerisches Schaffen und persönliches Leben. Ebenfalls prägen sie Reisen nach Mexiko und Nordafrika und deren Farben und Texte. Dazu Kriege, das für ihre Eltern schwierige Exil und sich immer wieder ändernde geopolitische Verhältnisse. Wiederholung, Schriftzeichen und Motive der verschiedenen Aufenthaltsorte visualisieren ihre Leporellos, original aus Japan kommende Faltbücher, in schwarzer Tusche auf hellem Untergrund oder in Farbe.



Die legendäre Energie der Stadt New York spiegeln hingeworfene Kritzeleien, die wie eine visuelle Partitur erscheinen. Figurative und abstrakte Elemente enthalten ihre großen Wandteppiche und die kleinformatig abstrakten Ölbilder. Von der Ferne wirken sie wie vorsichtig eingerissenes Buntpapier, doch sind sie mit Ölpinsel in Ölfarbe gemalt. Leicht und frei ziehen sie in ihren Bann. Ihre Leuchtkraft wirkt beinahe mystisch.



Nach dem Unabhängigkeitskrieg Algeriens (1954-1962) will die Künstlerin nicht mehr auf Französisch schreiben, nur noch "in Arabisch malen". Sie beginnt, ihr Werk eng zwischen Poesie und Malerei, Schreiben und Zeichnen zu verzahnen. Adnan starb im vergangenen Jahr hochbetagt im Alter von 96 Jahren.  (KNA)

Die Ausstellung "Etel Adnan" läuft bis 26. Oktober 2023. Die Städtische Galerie im Lenbachhaus, Luisenstraße 33 in München, ist dienstags bis sonntags sowie feiertags von 10.00 bis 18.00 Uhr geöffnet, donnerstags bis 20.00 Uhr.