Keine Kollision mit religiösen Werten

Der jordanische Publizist Mousa Barhouma kritisiert die immer wiederkehrende Gleichsetzung des Säkularismus mit Apostasie und Ketzerei in den arabischen Diskursen. Dabei steht der Säkularismus gar nicht im Widerspruch zum Glauben und strebt auch nicht danach, dessen Platz einzunehmen.

Von Mousa Barhouma

Die Veröffentlichung einer das Wesen der Göttlichkeit beleidigenden Karikatur durch einen jordanischen Publizisten hat kürzlich den Streit um Religion und Säkularismus in der arabischen Welt wieder aufleben lassen. Die sozialen Netzwerke explodierten förmlich vor Wut und Erbitterung, Laizisten wurden als Apostaten und Ketzer verunglimpft.

Es kommt leider oft vor, dass der Säkularismus in diesen emotional geführten Debatten insgesamt mit Apostasie gleichsetzt werden. Eine Überzeugung, die zumeist von Personen vertreten wird, die sich dem islamistischen Gedankengut verpflichtet sehen.

Diese Fraktion konstruiert fortwährend und geradezu mechanisch Verbindungen zwischen Säkularismus und Ketzerei - und folgt damit einer Meinung, die sich bei vielen festgesetzt hat. Dabei steht, wie wir im Folgenden zu verdeutlichen suchen, der Säkularismus gar nicht im Widerspruch zum Glauben und strebt nicht danach, dessen Platz einzunehmen.

Notwendige weltanschauliche Neutralität des Staates

Diese "Verteidigung" des Säkularismus wird, wie wir befürchten, nicht frei sein von einer gewissen belehrenden Tendenz und einer Re-Definition dessen, was zu definieren ist. Doch die Zusammenhänge, die diese Notwendigkeit hervorgebracht haben, erfordern dies, bei aller Vorsicht, die wir versuchen werden walten zu lassen.

Proteste in Tunesien gegen den Diktator Ben Ali im Jahr 2010; Foto: Reuters
تونس مثالاً: "ثمة في العالم الإسلامي، حصراً، نماذج لدول علمانية لم تتصادم مع الدين، وأنتجت تعايشاً مقبولاً، ولم يُتهم مواطنوها أو المؤيدون لها بالإلحاد والكفر البَواح".

Der Laizismus oder Säkularismus, der hier gemeint ist, deutet, im Unterschied zur "Geistlichkeit" oder "Religiosität", auf eine "Weltlichkeit", die darauf abzielt, der Religion – gleich welcher – keine Vorherrschaft über den Staat zuzugestehen.

Und dies der Überzeugung gemäß, dass Religion ein Konglomerat von Dogmen und Vorstellungen darstellt, die mit etwas Erhabenem und Metaphysischem zusammenhängen. Wohingegen der Staat für alles steht, was die Administration, Durchführung und planvolle Lenkung politischer, wirtschaftlicher, baulicher und gesellschaftlicher Belange betrifft.

Als die europäischen Staaten die Säkularisierung vorantrieben, bestand ihr erklärtes Ziel nicht etwa in einer Abschaffung der Religion oder deren Abtrennung vom öffentlichen Leben. Sie hatten vielmehr beschlossen, dass das für eine Organisation aller weltlichen Belange erforderliche Wissen konsequent unabhängig von religiösem Wissen zu sein hatte. Weshalb sie auf einer Neutralität des Staates gegenüber sämtlichen Religionen bestanden. Also keine Marginalisierung und Verachtung gleich welcher Religion, kein Beiseiteschieben oder Abschieben ins Museum.

"Strikt" versus "sanft"

Sollte es tatsächlich so etwas wie einen "strikten Säkularismus" geben, der jedwede religiöse Staatsform prinzipiell ablehnt, so existiert parallel dazu auch so etwas wie ein "sanfter Säkularismus", dessen Anhänger die Ansicht vertreten, der religiöse Staat "sei gegenwärtig nicht mehr geeignet, die komplexen Probleme der Menschen auf den verschiedenen Ebenen zu fassen". Außerdem "trage er in seinen Faltenwürfen die Samen sozialer Spaltung einer pluralistischen Gesellschaft oder stehe im Widerspruch zur Errichtung eines demokratischen Systems".

Und schließlich existiert auch in der islamischen Welt, in ihrer Gesamtheit, durchaus ein Modell säkularer Staaten, das nicht mit der Religion kollidiert, das eine akzeptable Form des Zusammenlebens hervorgebracht hat, und dessen Bewohner oder Befürworter nicht der Ketzerei und der offensichtlichen Apostasie beschuldigt werden!

Säkulare Assad-Gegner demonstrieren im Jahr 2012 vor der syrischen Botschaft in Amman; Foto: AP
"Eine große Anzahl von Säkularisten hat im Kampf gegen die Schreckensherrschaft in Damaskus ihr Leben gelassen – sie sind zu 'Märtyrern' im klassisch-kriegerischen Sinne geworden. Was praktisch die mechanische Verbindung zwischen Säkularismus und Unglaube oder Gottlosigkeit zu Fall bringt und ihre Fragwürdigkeit offenlegt", schreibt Mousa Barhouma.

Der Islam ist kein politisches Programm

Hinzufügen möchte ich, dass die Religion des Islam in ihrem Textkanon nichts enthält, das die Muslime dazu verpflichten würde, dem Modell eines Kalifats als religiöser Regierung zu folgen. "Es steht ihnen vielmehr frei, das politische System zu wählen, das ihnen gelegen ist", hatte einst der Kairoer Richter Ali Abd ar-Raziq (1888-1966) in seinem 1925 erschienen Buch "Der Islam und die Grundlagen der Herrschaft" bereits festgestellt.

Also, nicht alle Säkularen sind Apostaten, Ketzer und Parteigänger von Tyrannen. Denn die sich gegen das Regime von Baschar al-Assad auflehnenden Strömungen bestehen beispielsweise mehrheitlich aus Säkularisten, mit Ausnahme allein der schlafmützigen Parteien der arabischen Linken.

Außerdem hat eine große Anzahl dieser Säkularisten im Kampf gegen die Schreckensherrschaft in Damaskus ihr Leben gelassen – sie sind zu "Märtyrern" im klassisch-kriegerischen Sinne geworden. Was praktisch die mechanische Verbindung zwischen Säkularismus und Unglaube oder Gottlosigkeit zu Fall bringt und ihre Fragwürdigkeit offenlegt.

Der Säkulare, dies als Exkurs, ist weder notwendigerweise der Religion gegenüber feindlich eingestellt, noch ist er verkommen und ohne Hemmungen oder Moral. Er ruft nicht zu Lastern und Sittenverfall auf oder zeigt sich damit einverstanden. Und er vermarktet nicht Schlechtigkeit, Arbeitslosigkeit und Verderbtheit. Denn wie viele säkular lebende Menschen widmen sich tagtäglich dem Geistesleben und der Kunst, der Kultur und dem Verfassen der schönsten Gedichte.

Säkularismus ist kein Schimpfwort. Es ist eine Denkweise, die die Welt mittels bürgerlicher Gesetze lenken und die Religion davor bewahren will, auf komplizierte Felder vorzudringen, zu denen sie keine klaren Vorstellungen oder letztgültige Antworten besitzt.

Wenn sich die Religionen insgesamt zum Nachdenken, Betrachten und Überlegen aufschwängen, sollten sie den Menschen die Freiheit lassen, die Form zu wählen, nach der sie ihre Welt führen wollen. Und diese mit moralischen und geistigen Werten bereichern und mit dem Guten, mit Liebe, Gerechtigkeit und Schönheit einrichten.

Mousa Barhouma

© Qantara.de 2017

Mousa Barhouma ist jordanischer Schriftsteller und Publizist. Er schreibt für führende arabische Zeitungen und war bis 2010 Chefredakteur der in Amman erscheinenden Tageszeitung "Al-Ghad" ("Der Morgen").

Aus dem Arabischen von Markus Lemke