Die Konfliktparteien der Bürgerkriege in der westlichen Welt verfolgten hingegen eine Wirtschaftsweise, die die Beschaffung und Bereitstellung von ausreichend Ressourcen für den Sieg sicherstellen sollte. Ironischerweise entspricht diese Ertragsorientierung dem gängigen Wirtschaftsmodell in den arabischen Staaten.

Politisierung der Konfessionszugehörigkeit

Die Politisierung der Gemeinschaft tritt in zwei Formen auf: zum einen als offen praktizierte, wie sie in der unverhohlenen Politisierung der Konfessionszugehörigkeit im politischen Islam sunnitischer und schiitischer Prägung aber auch bei den Maroniten im Libanon zu beobachten ist.

Zum anderen zeigt sie sich als Maskerade: Zwar beriefen und berufen sich beispielsweise das syrische Regime, die gestürzte Diktatur im Irak und die progressive sozialistische Partei im Libanon auf moderne Ideologien, in Wahrheit sind jedoch tief verwurzelte Beziehungsbande ihr Strukturierungsprinzip und ihr Antrieb zugleich. Das erinnert an die Bürgerkriege in der afrikanischen Welt, in denen jeder Stamm seine eigene demokratische, progressive oder liberale Front bildet.

Graffiti in Kairo zeigt den Obersten Militärrat in Ägypten als Schaltzentrum der Macht; Foto: Nasser Nasser/AP
Die Fangarme der Macht: Vielleicht sind selbst die Phasen der Stabilität in den autoritären arabischen Staaten nichts anderes als ein "kalter" Bürgerkrieg, den die Regime gegen die Menschen in ihren Ländern führen. Denn letztlich sind Stabilität und Sicherheit in der arabischen Welt das Produkt der Herrschaft der Geheimdienste und der Militärs

Warum also führen wir "Stammeskriege" und nicht Bürgerkriege? Anders ausgedrückt: Warum konnten in der arabischen Welt moderne, auf gesellschaftlichen Beziehungen basierende Identitätskonzepte die durch die Gemeinschaft geprägten Identitäten nicht verdrängen?

Natürlich schließen staatsbürgerlich geprägte Identitäten die Entstehung von Bürgerkriegen nicht aus, die vielen blutigen Konflikte des 20. Jahrhunderts bezeugen dies eindrücklich. Jedoch, im Vergleich dazu ist die Krux an der gemeinschaftsbasierten Identität, dass die Kriege, die offen oder verdeckt in ihrem Namen geführt werden, kein Ende finden.

Die sogenannte liberale Ära vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis ca. Mitte des 20. Jahrhunderts war die Blütezeit der Idee der staatsbürgerlichen Identitäten in der arabischen Welt.

Zwei Faktoren waren dafür vermutlich ausschlaggebend: Erstens, eine unabhängige Wirtschaft, die sich durch die Entstehung moderner Industriezweige weiterentwickelte und so die Herausbildung eines Klassenbewusstseins begünstigte. Denn die Konflikte innerhalb der wirtschaftlichen Sphäre erwiesen sich als ein Kampf zwischen gesellschaftlichen Klassen, die die traditionellen Grenzen zwischen sozialen Gruppen und Gemeinschaften verwischten. Unter dem Eindruck kapitalistischer Ausbeutung und schlechter Arbeitsbedingungen begannen die Arbeiter sich unabhängig von ihrer Konfessionszugehörigkeit als Kollektiv zu verstehen. Zweitens, das Zusammenspiel aus parlamentarischem System, freier Presse und der Entstehung einer Mittelschicht. In der Summe trugen sie maßgeblich zur Herausbildung einer Öffentlichkeit bei, die dank einer allgemeingültigen Sprache unabhängig von Zugehörigkeiten zugänglich für breite Bevölkerungsschichten war.

Die Redaktion empfiehlt

Leserkommentare zum Artikel: Kriege, die kein Ende nehmen

Dem Autor sei Dank geschenkt für die Diagnose der arabischen (Bürger-)Kriege und für den komparatistischen Blick zu europäischen Bürgerkriegen. Jedoch sollte man die "westlichen" Bürgerkriege nicht zu monolithisch sehen. Gemessen an den Staatenkriegen sind sie in der Anzahl und Intensität eher gering gewesen und häufig Folgen eines verlorenen Staatenkrieges gewesen. Insofern waren sie eher Staatskrisenkriege als echte Bürgerkriege. So in Frankreich 1871, Russland und seinen Nachfolgestaaten ab 1917, Griechenland 1945ff. Einzige Ausnahme und vielleicht Blaupause für die vom Autor vertretenen Thesen ist der Bürgerkrieg in Spanien 1636-39, der von beiden Seiten klar auf die Übernahme der Zentralmacht gerichtet war. Dennoch gibt es gerade in diesem Bürgerkrieg ganz entschiedene soziale, religiöse und regionale Gegensätze, welche diesen Bürgerkrieg so brutal haben ausarten lassen.

Ältere Beispiele erfüllen nur begrenzt die oben postulierten Unterschiedsmerkmale: Zu nennen wären hier der Abfall der Niederlande von der spanischen Macht 1568ff., Portugals und Kataloniens 1640ff., in denen die Unabhängigkeit vom zentralstaatlichen Akteur das Motiv war, welche durch unterschiedliche Sprache, Ethnie und z. T. Religion befeuert wurde. Der englische Bürgerkrieg von 1641ff. war religiös motiviert und Grundkonflikte bestanden auch nach der Stuart-Restauration bis zur Glorious Revolution von 1689 fort. Der Dreißigjährige Krieg war ein religiöser Bürgerkrieg, auch wenn er seit spätestens 1635 als reiner Staatenkrieg verlängert wurde.

Somit könnte man postulieren, dass frührere - durchaus neuzeitliche - europäische Bürgerkiege mehr mit den arabischen in Dauer und Basis gemein haben, als es den Anschein hat, zumal kleptokratische Motive in allen europäischen Bürgerkriegen ebenfalls eine Rolle gespielt haben - gut erforscht ist hier die Kriegswirtschaft im Dreißigjährigen Krieg.

Es gibt aber andere Merkmale, welche in Europa zur Beilegung von Bürgerkriegen beigetragen haben, wie bspw. der Westfälische Frieden gezeigt hat: Eine alternativlose Staatsform, weil der Politik - abgesehen von den wenigen italienischen Republiken - nur souveräne und legitime Herrschaftsdynastien vorstanden, welche mehr oder wenige absolut den Adel d.h. die Grundbesitzer anführten - selbst Cromwell und Napoleon sahe als einzige Möglichkeit, eigene Dynastien zu bilden, um ihre Herrschaft abzusichern. Und diese Herrscherdynastien wie auch der Adel selber heirateten untereinander seit Jahrhunderten europaübergreifend. Zusätzlich hatte zumindest bis in das 17. Jh. die päpstliche Politik als paneuropäische Institution ein erhebliches politisches Gewicht. Zur Beendigung von Bürgerkriegen trug somit ein gewisse euorpäischer, instutionell verankerter "common sense" bei, der die Bürgerkriegsziele moderierte und nicht total ausarten ließ.

Im arabische Raum gibt es weder eine unbestrittene Staatsform - wobei die Königreiche der Hashemiten und Alawiden aufgrund ihrer religiösen Legitimation vergleichsweise stabil sind -, noch gibt es eine großflächige Vernetzung der Eliten. Eine vergleichsweise schwache Bindung erfolgte letztmalig zwischen dem ägyptischen Königshaus und dem Schah von Persien in den 1950er Jahren - in beiden Fällen hielf die Bindung nicht vor dem Staatsumsturz. Auch eine zentrale religiöse Autorität fehlt.

Insofern wäre der Schlüssel für das Verständnis zur Beendigung arabischer Bürgerkrieg weniger in der Erforschung jüngerer europäischer Bürgerkriege zu suchen, als in den älteren. Inwieweit panarabische Mechanismen und soziale Bindungen beitragen könnten, wäre ebenfalls ein interessantes Forschungsfeld.

Manuel Komnenos23.07.2018 | 13:35 Uhr