Modell für einen demokratischen, säkularen Staat

Das arabisch-hebräische Theater in Jaffa ist einzigartig - und der israelischen Regierung ein Dorn im Auge. Besuch einer bedrohten Bühne. Von Alexandra Föderl-Schmid

Von Alexandra Föderl-Schmid

Die Schauspieler kommen ohne Worte aus, trotzdem kann man der komplexen Handlung gut folgen: hundert Jahre arabisch-jüdische Geschichte, der Nukleus des Nahost-Konflikts, auf 90 Minuten komprimiert.

Wegen des Andrangs und der Hitze wurde die Vorstellung auf den Vorplatz des arabisch-hebräischen Theaters in Jaffa verlegt. Von fern dringen Rufe eines Muezzin und Musik einer jüdischen Hochzeit heran.

Das Stück "Heute wird getanzt" setzt 1919 ein, Juden und Araber treffen in einem Tanzlokal erstmals aufeinander, dann folgen in rascher Abfolge Schlüsseljahre und: die Zerstörung zarter Liebesbande durch die Politik, die Vertreibung der Araber, die schließlich genau dort kellnern müssen, wo sie einst wohnten, die Ansiedlung der europäischen Juden, die schließlich ebenfalls verdrängt werden - von Immobilienmaklern.

"Das einzige Theater, in dem es eine echte Zusammenarbeit von Juden und Arabern gibt."

Seit 20 Jahren trotzt das arabisch-hebräische Theater in Jaffa allen Konflikten und Kriegen, eine einzigartige Institution in einem Land, in dem gleichberechtigte Koexistenz nicht selbstverständlich ist. "Es ist das einzige Theater, in dem es eine echte Zusammenarbeit von Juden und Arabern gibt", sagt Direktor Igal Ezrati erkennbar stolz.

Das Jaffa Theater in Tel Aviv: Das einzige Theater, in dem es eine echte Zusammenarbeit von Juden und Arabern gibt. Foto: Imago /Sepp/Spiegel
Bedrohter Ort des Dialogs: Gut die Hälfte des Budgets des Jaffa Theaters stammt aus dem Kulturbudget des Finanzministeriums. "Ohne staatliche Subventionen kann kein Theater überleben", sagt Yigal Ezrati, Direktor und Mitbegründer des einzigen arabisch-hebräischen Theaters in Israel.

Jaffa ist dafür der ideale Ort. Die arabisch dominierte Hafenstadt besteht seit der Antike, das von Juden 1909 gegründete Tel Aviv war ursprünglich ein Vorort. Vom Vorplatz des Theaters im ehemaligen Palast des osmanischen Gouverneurs reicht der Blick bis zur Skyline von Tel Aviv und den Baukränen. Auch Jaffa wurde in den vergangenen Jahren gentrifiziert.

Dieses Stück ohne Worte von Igal Ezrati und Gabi Eldor hatte vor 28 Jahren seine Uraufführung und wurde nun um die jüngsten Entwicklungen ergänzt.

Für Ezrati sind dies vor allem die Ermordung des israelischen Premierminister Jitzchak Rabin 1995 und die Konflikte innerhalb der israelischen Gesellschaft. "Es gibt einen Bruch zwischen religiösen und nicht religiösen Juden, zwischen Juden, die aus Europa oder aus arabischen Staaten kommen."

Der 63-Jährige ist der Motor des Hauses, das sich bewusst als arabisch-hebräisch bezeichnet. Er wolle im Theater "nicht die Religionsfragen diskutieren", sagt er. Aber das ist Wunschdenken. Denn gerade dieses Haus kann sich Religion und Politik nicht vom Leib halten.

"Wir nähren uns von der Wut, sie ist der Antrieb für Kreativität"

Etwa zwei Drittel der rund 50 Schauspieler sind Juden, ein Drittel Araber. Im Publikum ist das Verhältnis unausgewogener, gibt Ezrati zu: "Es ist schwieriger, Araber in unser Theater zu locken, die wollen lieber in ein rein arabisches Theater gehen.

Dabei sprechen alle Araber Hebräisch, die meisten Juden aber kein Arabisch." Die Sprache einer Inszenierung ist ein ständiges Thema. Shakespeares berühmtestes Drama wurde kurzerhand in den Nahen Osten verlegt, Julia spricht Hebräisch, Romeo Arabisch.

Derzeit stehen zehn Stücke im Spielplan, mehr als 200 Vorstellungen gibt es jedes Jahr. "Am Anfang ging es vor allem um den israelisch-arabischen Konflikt. Jetzt beschäftigen wir uns viel mehr mit gesellschaftlichen Fragen, auch innerjüdischen Konflikten", sagt Ezrati.

Immer wieder ist das Theater Angriffen der Politik ausgesetzt. Seit im vergangenen Sommer das Nationalstaatsgesetz beschlossen wurde, ist es noch schlimmer geworden, sagt Ezrati. Arabisch ist keine Amtssprache mehr, Israel wird als jüdischer Staat definiert, obwohl 20 Prozent der Bevölkerung arabische Israelis sind.

Kulturministerin Miri Regev ist in der Kulturszene höchst umstritten
Mittel zur Kulturförderung an "Loyalität" gegenüber dem Staat zu knüpfen, das wollte Kulturministerin Miri Regev mit ihrem "Treuegesetz"-Vorhaben erreichen. Politiker, wie Oppositionsführerin Tzipi Livni, äußerten sich schon vor der ersten Lesung des Gesetzes kritisch: "Es gibt keine Kultur, wenn sie von der Regierung kontrolliert wird. Statt Kultur werden wir Propaganda bekommen."

Als das Theater vor zwei Jahren die palästinensische Dichterin Dareen Tatour einlud, drohte Kulturministerin Miri Regev von der rechtsnationalen Likud-Partei, alle Subventionen zu streichen. Tatour, die israelische Staatsbürgerin ist, war im Jahr zuvor wegen eines Gedichts mit dem Titel "Widersteh', mein Volk, widersteh' ihnen!" zu fünf Monaten Haft verurteilt worden. Das Gericht befand sie der Anstiftung zur Gewalt sowie der Verherrlichung und Unterstützung von Terrorismus für schuldig.

"Wir nähren uns von der Wut, sie ist der Antrieb für Kreativität"

Seit 2011 verbietet das sogenannte Nakba-Gesetz in Israel Veranstaltungen, die an die Vertreibung der Palästinenser erinnern. Es ermöglicht zudem dem Finanzministerium, staatliche Förderungen für Institutionen zu kürzen, die Israel nicht als jüdischen Staat anerkennen.

Vor allem Kultureinrichtungen, deren Angebot sich an Juden und Araber gleichermaßen richtet, sehen sich seither mit der Drohung von Subventionskürzungen konfrontiert. Das arabische Al-Midan-Theater in Haifa musste deshalb vor zwei Jahren schließen.

Das arabisch-hebräische Theater in Jaffa konnte die Mittelkürzung noch abwenden. Die Subventionen des Staates betragen rund 250 000 Euro pro Jahr, etwa ein Drittel des Budgets, erklärt der Direktor. "Ohne das Geld vom Land und dem Staat können wir nicht überleben."

"Wir machen weiter"

Mit Bangen blicken viele Kulturschaffende deshalb auf die Parlamentswahl am 17. September. Die vorgezogenen Neuwahlen hatten verhindert, dass Miri Regev ihr "Loyalitätsgesetz" in der Knesset bis zur endgültigen Abstimmung durchbringen konnte.

Gefördert werden sollen nach den Vorstellungen der Ministerin nur noch Projekte und Institutionen, die sich dem Staat gegenüber "loyal" verhalten. "Wenn die gleiche Regierung kommt, haben wir ein Problem. Das Loyalitätsgesetz in der Kultur ist angsteinflößend", sagt Ezrati.

Wie er sich die Zukunft vorstellt in einem so zerrissenen Land? "Theaterleute mögen es, wenn sie in der Opposition sind. Wir sind hier und wir machen weiter. Der Hass gegen die Kultur, gegen Medien, gegen Andersdenkende gibt mir Energie. Wir nähren uns von der Wut, sie ist der Antrieb für die Kreativität."

Sein Theater sieht Ezrati als "Modell für einen demokratischen, säkularen Staat": Kultur, davon ist er überzeugt, sei "die Brücke, um zusammenleben zu können". In seinem Theater in Jaffa spürt man, wie es funktionieren könnte, dieses Miteinander.

Alexandra Föderl-Schmid

© Süddeutsche Zeitung 2019