Kooperation statt Konfrontation? 

Auf  Vermittlung Chinas nehmen die Erzrivalen Iran und Saudi-Arabien diplomatische Beziehungen auf. Ist diese Annäherung ernstgemeint, werden die Karten im Nahen Osten neu gemischt, analysiert Karim El-Gawhary aus Kairo. 
Auf Vermittlung Chinas nehmen die Erzrivalen Iran und Saudi-Arabien diplomatische Beziehungen auf. Ist diese Annäherung ernstgemeint, werden die Karten im Nahen Osten neu gemischt, analysiert Karim El-Gawhary aus Kairo. 

Auf Vermittlung Chinas nehmen die Erzrivalen Iran und Saudi-Arabien diplomatische Beziehungen auf. Ist diese Annäherung ernstgemeint, werden die Karten im Nahen Osten neu gemischt. Eine Analyse von Karim El-Gawhary aus Kairo 

Von Karim El-Gawhary

Es ist ein bedeutender Deal, durch den sich einiges in der Region Nahost verändern könnte. Denn die neben der Türkei wichtigsten Regionalmächte, der Iran und Saudi-Arabien, haben dieses Wochenende nach chinesischer Vermittlung verkündet, wieder diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Das kann weitreichende Auswirkungen haben, denn die Rivalität dieser beiden Länder ist die Grundlage für zahlreiche Konflikte in der Region, ob im Jemen, im Irak, im Libanon oder in Syrien. Oder anders gesagt: Was passiert, wenn jene, die in Stellvertreterkriegen vertreten werden, sich zusammensetzen? 

Der Iran und Saudi-Arabien haben jetzt vereinbart, innerhalb von zwei Monaten ihre Botschaften in dem jeweils anderen Land wieder eröffnen zu wollen. Außerdem heißt es, dass die Handelsbeziehungen wieder aufgenommen werden sollen und vielleicht für die regionalen Konflikte am wichtigsten: Es soll auch eine Sicherheitskooperation geben.



Wie das allerdings alles im Detail aussehen soll, ist nicht ausgeführt. Unklar bleibt auch, welche Zugeständnisse von beiden Ländern an den jeweils anderen gegeben wurden, damit der Deal unterschrieben werden konnte. In vielerlei Hinsicht wirft der mehr Fragen auf, als er beantwortet. 

Der iranische Politiker Ali Schamchani (re.), Sekretär des Sicherheitsrats, gilt als Architekt der Annäherung (Archivbild); Foto: Atta Kanare/AFP/Getty Images
Der einflussreiche iranische Politiker und Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats, Ali Schamchani, gilt als Architekt der neuen Vereinbarung zwischen den rivalisierenden Regionalmächten Saudi-Arabien und Iran. Am letzten Wochenende haben beide nach chinesischer Vermittlung verkündet, wieder diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Das kann weitreichende Auswirkungen haben, denn die Rivalität dieser beiden Länder ist die Grundlage für zahlreiche Konflikte in der Region, ob im Jemen, im Irak, im Libanon oder in Syrien. Oder anders gesagt: Was passiert, wenn jene, die in Stellvertreterkriegen vertreten werden, sich zusammensetzen? 



Beide Staaten hatten 2016 ihre diplomatischen Beziehungen abgebrochen. Aber sie sind schon viel länger Erzrivalen um die Vorherrschaft in der Region. Ihre Rivalität hat die Nahostregion in den letzten zwei Jahrzehnten geprägt. Durch sie sind viele Konflikte entstanden. Durch sie sind auch viele Konflikte nicht gelöst worden. Auf den ersten Blick ist die Annäherung beider Länder ein Schritt, der viele Konflikte in der Region erst einmal entschärfen könnte.

Die Medien haben den Wandel noch nicht verstanden

Die Geschichte ist also groß. Wäre dieser Deal nicht in Peking, sondern in Washington oder irgendeiner europäischen Hauptstadt vermittelt worden, die westlichen Medien wären wahrscheinlich heiß gelaufen. Aber ein derart wichtiges Abkommen, geschlossen im fernen Peking, ist auch ein Zeichen, dass die internationale Weltordnung sich verändert, anders als die Medien, die immer noch in der alten Weltordnung verhaftet sind, in der sich bisher nur die USA und Europa als vermeintlich ehrlicher Makler regionaler Konflikte vermarktet haben. 

Das Problem ist, dass beide diese Rolle in der Region verloren haben. Aufgrund ihrer schlechten Beziehungen zum Iran und der Tatsache, dass Saudi-Arabien einer der wichtigsten Bündnispartner der USA in der Region ist, konnten sie hier nicht als Vermittler auftreten. Genau das hat China jetzt ausgenutzt. Peking hat in dem Streben, seine Rolle in der Region aufzuwerten, gepunktet. Und es ist an Stabilität in der Region interessiert, vor allem, um den eigenen dringend benötigten Nachschub an Öl- und Gas zu sichern. 

Der Deal zeugt also auch von der schwindenden Rolle der USA in der Region. Wobei man weder in den USA noch in Europa über diesen Ausgang unglücklich sein dürfte. Denn halbwegs funktionierende Beziehungen zwischen Teheran und Riad könnten sich als ein wichtiger Faktor für eine Stabilisierung der Nahostregion erweisen. Da ist die Schnittmenge der Interessen zwischen China, den USA und Europa groß. 

Kriegsschäden in der Hauptstadt Sanaa; Foto: Mohamed Hamoud/AA/picture-alliance
Hoffnung auf ein Ende des Krieges im Jemen: Auf der einen Seite unterstützt der Iran die Huthi-Rebellen, auf der anderen ist Saudi-Arabien direkt in diesen Krieg involviert. Es gab in den letzten Jahren immer wieder Friedens- und Waffenstillstandsgespräche, jedoch ohne greifbare Ergebnisse. Vielleicht kann dieser unselige Krieg, den die UNO als die aktuell größte von Menschen gemachte humanitäre Katastrophe bezeichnen, nun endgültig und nachhaltig beendet werden, wenn sich die beiden wichtigsten Sponsoren dieses Krieges ernsthaft zusammensetzen.

Hoffnung für den Jemen?

Auch die internationale Energiewirtschaft dürfte aufatmen. Noch vor vier Jahren hatten Angriffe auf saudische Ölanlagen mit vermeintlich iranischen Drohnen die weltweite Ölökonomie in Schock versetzt, denn sie hatten einen global neuralgischen Punkt getroffen. Saudi-Arabien musste über Nacht seine Ölproduktion auf die Hälfte zurückfahren. Damit hatte der globale Ölmarkt fünf Prozent der Versorgung mit dem schwarzen Gold verloren. Derartige Angriffe dürften jetzt der Vergangenheit angehören. 

Der erste Konflikt in der Region, der durch die neue iranisch-saudische Annährung entschärft und vielleicht sogar endlich gelöst werden könnte, ist der Krieg im Jemen, der nun seit acht Jahren andauert. Auf der einen Seite unterstützt der Iran die Huthi-Rebellen, auf der anderen ist Saudi-Arabien direkt in diesen Krieg involviert. Es gab in den letzten Jahren immer wieder Friedens- und Waffenstillstandsgespräche.



Seit 2021 haben hier auch schon bereits der Iran und Saudi-Arabien direkt miteinander verhandelt, im Irak sowie im Oman. Doch jedes Mal sind sie ohne ein greifbares Ergebnis auseinandergegangen. Es dürfte bei diesen Treffen aber wohl schon einige Vorarbeit geleistet worden sein, die zu dem jetzigen Deal in Peking geführt hat. 

Jetzt ist die Frage, wie dieser Ball wieder in den Jemen zurückgespielt wird. Vielleicht kann dieser unselige Krieg, den die UNO als die aktuell größte von Menschen gemachte humanitäre Katastrophe bezeichnen, nun endgültig und nachhaltig beendet werden, wenn sich die beiden wichtigsten Sponsoren dieses Krieges ernsthaft zusammensetzen.

Ein Behelfslager im Süden der Provinz Idlib; Foto: AFP/A.Watad
Notunterkünfte im Süden der Provinz Idlib, Syrien. "Ist die iranisch-saudische Annäherung ernstgemeint, werden die Karten in der Region sicherlich neu gemischt“, schreibt Karim El-Gawhary. Aber was könnte das für den Syrien-Konflikt bedeuten? Grundsätzlich gilt immer noch, dass die Mitgliedschaft Syriens in der Arabischen Liga seit 2011 suspendiert ist, aufgrund des brutalen Umgangs des Regimes mit der Opposition. Der Iran zählt neben Russland zu den wichtigsten Unterstützern Assads in der Region. Das war genau der Grund, warum sich Saudi-Arabien bisher jeder arabischen Normalisierung mit dem Regime in Damaskus entgegengestellt hat, um seinem Rivalen Iran keine Vorteile zu verschaffen. Auch hier könnte es jetzt Bewegung geben. 



Zumal beide Seiten möglicherweise verstanden haben, dass in diesem festgefahrenen Krieg militärisch nichts mehr zu holen ist und beide nach einer Exit-Strategie suchen. Wie es im Jemen weitergeht, das könnte auch in einem der nicht veröffentlichten Teile des Abkommen von Peking festgehalten sein. 

Ringen um Einfluss in Irak und Libanon

Das zweite Konfliktfeld ist der Irak. Auch hier geht es um den jeweiligen Einfluss der Regionalmächte. In Bagdad bestimmen seit Jahren schiitische religiöse Parteien das politische Geschehen, die vom Iran unterstützt werden. Aber der irakische Unmut über den iranischen Griff wird immer lauter, selbst in schiitischen Kreisen und vor allem unter jüngeren Irakern und Irakerinnen.



Denn das Land ist in den letzten Jahren immer mehr zu einem Selbstbedingungsladen der schiitischen Parteien und Milizen verkommen und zwischen politischen Machtkämpfen vollkommen paralysiert. Saudi-Arabien hat dagegen Einfluss auf den sunnitischen Teil des Landes.  Nun muss man sehen, wie sich die iranisch-saudische Annäherung hier manifestiert und vielleicht auch für eine Entspannung sorgt. Aber gerade für das Regime in Teheran bleibt der Einfluss im Irak vital.



Ähnliches gilt für den Libanon, in dem die vom Iran unterstützte Hisbollah als Staat im Staat agiert, während Saudi-Arabien mit Hilfe der Sunniten des Landes und der Hariri-Polit-Dynastie immer wieder versucht hat, den iranischen Einfluss einzudämmen. Bisher erfolglos. Sicher ist, dass Teheran sich nicht einfach das Instrument Hisbollah aus der Hand nehmen lassen wird. Aber vielleicht könnte sich die Schiiten-Partei gegenüber anderen politischen Kräften kompromissbereiter geben, ohne ihre Vormachtstellung aufzugeben. 



 



 

Normalisierung mit Assad?

Und dann bleibt noch Syrien. Vor allem seit dem verheerenden Erdbeben im Februar haben einige arabische Staaten versucht, die Gunst der Erdbebenstunde zu nutzen und ihre Beziehungen zum Regime Baschar Al-Assad wieder zu normalisieren. Einige Staaten, wie die Vereinigten Arabischen Emirate waren bereits zuvor vorausgeprescht und haben wieder eine Botschaft in Damaskus eröffnet. 

Grundsätzlich gilt aber immer noch, dass die Mitgliedschaft Syriens in der Arabischen Liga seit 2011 suspendiert ist, aufgrund des brutalen Umgangs des Regimes mit der Opposition.  Der Iran zählt neben Russland zu den wichtigsten Unterstützern Assads in der Region. Das war genau der Grund, warum sich Saudi-Arabien bisher jeder arabischen Normalisierung mit dem Regime in Damaskus entgegengestellt hat, um seinem Rivalen Iran keine Vorteile zu verschaffen. Auch hier könnte es jetzt Bewegung geben. 

Ist die iranisch-saudische Annäherung ernstgemeint, werden die Karten in der Region sicherlich neu gemischt. Welches Blatt dann bei jedem einzelnen der Konflikte von Iran und Saudi-Arabien genau ausgespielt wird, wird sich erweisen. Aber immerhin, die Erzrivalen reden miteinander und sitzen wieder gemeinsam an einem Kartentisch. 

Karim El-Gawhary

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