Ankaras Außenpolitik im Schatten der Corona-Krise
Maskendiplomatie und Machtpolitik

Im Zeitalter von Corona hat Ankaras regionale Machtstrategie zwei Gesichter: Einerseits will die Türkei mit einer Charme-Offensive ihr in Teilen der Welt lädiertes politisches Image aufpolieren. Auf der anderen Seite verfolgt Präsident Erdoğan eine knallharte, militärisch abgesicherte Interessenpolitik. Von Ronald Meinardus

"Wir sind nicht das reichste Land der Welt, wohl aber das großzügigste", sagte Außenminister Mevlüt Cavuşoğlu zu Beginn der Corona-Krise. Die Türkei lieferte und liefert in großem Rahmen medizinisches Gerät in viele Länder der Welt. In Ankaras Öffentlichkeitsarbeit nahm diese "Maskendiplomatie" breiten Raum ein. Zwei Drittel der Welt habe um Hilfe nachgesucht, in 81 Länder konnte medizinisches Gerät geliefert werden, schwärmte die regierungsnahe Presse in aufwändigen Reportagen.  

Im Zuge der Corona-Krise hat der Krieg in Syrien, lange das Epizentrum der türkischen Außen- und Militärpolitik, an Brisanz verloren. Der Anfang März zwischen Erdoğan und Putin vereinbarte Waffenstillstand scheint zu halten, die Kriegsparteien gönnen sich eine Verschnaufpause.

Doch es ist eine trügerische Ruhe mit wenig Aussicht auf Bestand. An den Konfliktursachen hat sich nichts geändert, von einer politischen Lösung ist das Bürgerkriegsland weit entfernt.

Türkische Nachrüstung in Idlib

Derweil nutzen die Türken die Feuerpause zur Nachrüstung in den von ihnen kontrollierten Gebieten der Provinz Idlib. Das Militär habe 10.000 Truppen nach Idlib geschafft, dazu viele Panzer und Fahrzeuge und hochmoderne Luftabwehrsysteme, berichtet das Informationsportal Al Monitor. Die Einführung der türkischen Lira als Zahlungsmittel in Teilen Nordsyriens ist ein weiterer Hinweis, dass Ankara seinen Einfluss zementieren will.

Türkischer Militärkonvoi in der Nähe von Idlib, Syrien; Foto: picture-alliance/AA/I. Khatib
Neuorientierung der türkischen Außenpolitik: "Im Zuge der Corona-Krise hat der Krieg in Syrien, lange das Epizentrum der türkischen Außen- und Militärpolitik, an Brisanz verloren. Der Anfang März zwischen Erdoğan und Putin vereinbarte Waffenstillstand scheint zu halten, die Kriegsparteien gönnen sich eine Verschnaufpause. Doch es ist eine trügerische Ruhe mit wenig Aussicht auf Bestand. An den Konfliktursachen hat sich nichts geändert, von einer politischen Lösung ist das Bürgerkriegsland weit entfernt", schreibt Meinardus.

Der Widerstand gegen Erdoğans Syrien-Politik in der internationalen Gemeinschaft ist verhalten. Auch in Europa will man sich offenkundig nicht wegen Syrien mit ihm anlegen: "Europäische Länder scheinen ganz zufrieden mit der 'Türkifizierung' Nordsyriens westlich des Euphrat", schreibt Semih Idiz in Al Monitor. "Diese Haltung ist vor allem getrieben von der tief-verwurzelten Furcht einer neuen Flüchtlingswelle nach Europa".

Libyen im Fokus

Derweil hat sich der Schwerpunkt der türkischen Außenpolitik von Syrien nach Libyen und die angrenzenden Seegebieten verlagert: "Libyen ist das Topthema auf der außenpolitischen Agenda der Türkei", schreibt Burhanettin Duran in der regierungsnahen Daily Sabah. In Libyen hat Erdoğan hoch gepokert. Die aktuellen Entwicklungen zeigen, dass er auf die richtige Karte gesetzt hat.

Im Herbst letzten Jahres hatte die Türkei zwei weitreichende Abkommen mit der militärisch bedrängten libyschen Einheitsregierung geschlossen. Dabei geht es um die Abgrenzung der maritimen Hoheitszonen zwischen Libyen und der Türkei und einen militärischen Beistandsvertrag.

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