Obamas offene Indonesien-Frage

Wird US-Präsident Obama - genau wie sein Amtsvorgänger - Indonesiens Armee unterstützen? In diesem Fall können die Militärs davon ausgehen, dass ihnen keine Strafverfolgung wegen früherer Menschenrechtsverletzungen in Ost-Timor droht. Von John M. Miller

Wird US-Präsident Obama - genau wie sein Amtsvorgänger Bush - Indonesiens Armee bedingungslos unterstützen? In diesem Fall können die Militärs davon ausgehen, dass ihnen keine Strafverfolgung wegen früherer Menschenrechtsverletzungen in Ost-Timor droht. Von John M. Miller

Parade indonesischer Soldaten in Jakarta; Foto: AP
Da Indonesien wieder mit uneingeschränkter Militärhilfe der US-Amerikaner rechnen darf, muss es der Armeeführung so erscheinen, dass Menschenrechtsfragen nunmehr keine Rolle spielen, schreibt John M. Miller.

​​Der Umstand, dass der heutige US-Präsident Barack Obama vier Jahre seiner Kindheit in Indonesien verbrachte, spielte im amerikanischen Wahlkampf eine große Rolle.

In der Absicht, ihn damit als "exotisch" abzustempeln, wiesen seine Gegner nicht nur immer wieder auf diese Zeit hin, sondern auch auf den muslimischen Glauben seines indonesischen Stiefvaters.

Obama selbst betonte dagegen stets seine Wurzeln in Kansas über seine von dort stammende Mutter, räumte jedoch immer auch die Bedeutung seiner unterschiedlichen kulturellen Hintergründe ein, darunter auch die Jahre in Indonesien.

Auch wenn der jüngste Besuch von US-Außenministerin Hillary Clinton in Indonesien zeigte, dass nicht wenige Indonesier noch immer begeistert von Obama und der Hoffnung auf engere amerikanisch-indonesische Beziehungen sind, ist es noch nicht ausgemacht, wie lange diese Begeisterung anhalten wird. Viel wird hierbei davon abhängen, wie sich die Politik Obamas gegenüber dem indonesischen Militär entwickeln wird.

Eine bewegte Geschichte

Die Vereinigten Staaten waren bis weit in die 1990er Jahre der wichtigste Waffenlieferant Indonesiens, also auch während der repressivsten Jahre des autokratischen Suharto-Regimes.

Offiziere der indonesischen Armee genossen Privilegien und Beförderungen, die sie durch die Ausbildung durch das US-Militär erlangten. Einige, darunter auch der spätere Präsident Susilo Bambang Yudhoyono, nahmen an Ausbildungskursen auf amerikanischen Militärbasen teil.

Trauerfeier für die Toten im Ost-Timorkonflikt; Foto: DW
Kerzen für die Opfer der Gewalt: Die Aufklärung über das Schicksal ihrer Angehörigen zählt zu den wichtigsten Forderungen vieler Menschen in Ost-Timor an die ehemalige Besatzungsmacht Indonesien. Etliche wünschen sich ein internationales Tribunal.

​​ Das Thema Militärhilfe stand lange Zeit nicht im Fokus der öffentlichen Diskussion, doch als indonesische Truppen am 11. November 1991 in Santa Cruz, Ost-Timor, hunderte unbewaffneter Demonstranten zum Teil mit US-amerikanischen Waffen niedermetzelten, änderte sich dies.

Der anhaltende Protest von Teilen der Öffentlichkeit veranlasste die US-Regierung zur Einstellung vieler Militär-Programme. Als erstes wurde das Programm "International Military Education and Training" (IMET), das fremden Armeen Schulungen durch das US-Militär zukommen ließ, eingeschränkt.

Als das indonesische Militär gemeinsam mit Milizionären in der Folge des Unabhängkeitsreferendums in Ost-Timor weiter wütete, brach die Clinton-Regierung, wenn auch recht spät, alle Verbindungen zum indonesischen Militär ab. Diese Entscheidung wurde mitunter auch vom US-Kongress unterstützt.

Partner im "Krieg gegen den Terror"

Nach den Angriffen vom 11. September 2001 ignorierte die Bush-Regierung kritische Stimmen von Menschenrechtsgruppen, als es darum ging, Partner im "Krieg gegen den Terror" zu finden und sie sich dabei auch Indonesien wieder annäherte.

Das "Regional Defense Counterterrorism Fellowship Program" begann schon sehr bald nach den Angriffen vom Herbst 2001 mit der Ausbildung indonesischer Soldaten sowie Soldaten anderer Länder, die von der Militärhilfe durch das IMET-Programm ausgenommen waren, was einer Umgehung des ausdrücklichen Willens des Kongresses gleichkam.

Das US-amerikanische und das indonesische Militär unternahmen in diesem Rahmen gemeinsame Übungen in den Bereichen der Aufstandsbekämpfung und Terrorabwehr. Bis 2005 hatte die amerikanische Regierung nicht nur die bisherigen Programme wiederbelebt, sondern zusätzlich noch weitere ins Leben gerufen.

Was besonders verstört, ist die Tatsache, dass in den letzten Jahren der Bush-Regierung einige US-amerikanische Beamte Trainings auch für die indonesische Spezialeinheit Kopassus ("Komando Pasukan Khusus"), auch "Red Berets" genannt, anregten.

Übersichtskarte Ost-Timor; Foto: AP/DW
Die ehemalige portugiesische Kolonie Ost-Timor ist seit 2002 unabhängig.
Zuvor war das Land 24 Jahre von Indonesien besetzt.

​​ Die US-Senatoren Patrick Leahy und Russ Feingold, beide sehr engagiert in Menschenrechtsfragen, setzten sich vehement dagegen ein, die berüchtigte Einheit zu unterstützen, die für einige der schlimmsten Menschenrechtsverletzungen in Ost-Timor, West Papua, Aceh und in anderen Regionen verantwortlich war.

Sie argumentieren damit, dass ein bestehendes, nach Senator Leahy benanntes Gesetz, die Ausbildung von Militäreinheiten untersagt, die beschuldigt werden, Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben. Einstweilen jedenfalls ist die US-Hilfe für Kopassus zurückgestellt worden.

2008 bemühte sich die indonesische Luftwaffe, F-16-Kampfflugzeuge und C-130 Hercules-Transportflugzeuge von den USA zu kaufen. Die gegenwärtigen Budgetbeschränkungen und die anhaltende Unsicherheit, die die vergangenen Beschränkungen der Militärhilfe hervorgerufen haben, haben Indonesiens Nachfrage nach US-amerikanischen Waffen jedoch deutlich abklingen lassen.

Noch hat die US-Militärhilfe an Indonesien nicht den Stand erreicht, den sie während der Regierung Suhartos hatte, und doch gilt es, auf einige Tatsachen hinzuweisen: Die Zahl der indonesischen Teilnehmer am IMET-Programm ist im Steigen begriffen.

Im Jahr 2008 stieg die Fördersumme aus dem "Foreign Military Funding" (FMF), einem anderen Hilfsprogramm, auf 15,7 Millionen US-Dollar, und das von nur einer Million zwei Jahre zuvor. Und doch geht es gar nicht um die genaue Summe der amerikanischen Militärhilfe für Indonesien.

In den 1990er Jahren kürzte die US-Regierung die Militärhilfen, um Druck auszuüben hinsichtlich von Menschenrechtsfragen und demokratischen Reformen. Nun, da Indonesien wieder ein ernsthafter Kandidat für eine unbeschränkte amerikanische Militärhilfe ist, muss es dem indonesischen Militär erscheinen, dass Menschenrechtsfragen für den einstigen und zukünftigen Gönner keine Rolle mehr spielen.

Politischer Druck zum Schutz der Menschenrechte

Obama weiß ganz sicher um das Problem mit dem indonesischen Militär. In seinem Buch "The Audacity of Hope" von 2006, schrieb er, dass "seit 60 Jahren das Schicksal Indonesiens eng mit der Außenpolitik der USA verknüpft ist", was auch "die Duldung und zuweilen auch die Ermutigung von Diktaturen, von Korruption und Umweltzerstörung" beinhaltete, "sofern dies unseren Interessen dienlich war."

Demonstration gegen die Besetzung Ost-Timors; Foto: Wikimedia Commons
Die Gewalt der pro-indonesischen "Wanra"-Milizen und der Armee haben Ost-Timor jahrzehntelang schwer traumatisiert. Unabhängig wurde der Inselstaat erst im Mai 2002, nachdem zuvor eine UN-Friedenstruppe in die Konfliktregion entsandt worden war.

​​ Die neuerliche Annäherungsstrategie der Bush-Regierung hat nicht verhindern können, dass die indonesischen Sicherheitskräfte straffrei blieben – auch für Verbrechen gegen die Menschlichkeit und andere schwerste, in Ost-Timor wie andernorts begangene Vergehen. Das Militär entzieht sich weiterhin jeder zivilen Kontrolle und verweist auf das innere Sicherungssystem.

Das "territoriale Kommandosystem" der TNI (Tentara Nasional Indonesia; Streitkräfte der Republik Indonesien) bleibt intakt. Versuche, die Verflechtungen des Militärs mit der nationalen Wirtschaft auf gesetzlichem Weg zu lösen, sind zur Farce geworden, und die Einheiten sind nach wie vor an einer Reihe von illegalen Aktivitäten beteiligt, darunter auch die Abholzung der Regenwaldes und der Drogenhandel.

Die Länderberichte des amerikanischen Außenministeriums zum Terrorismus würdigen die "großen Erfolge bei der Zerschlagung terroristischer Zellen gewalttätiger islamischer Organisationen", die die indonesische Polizei vorzuweisen hat. Das Militär findet dabei keine Beachtung.

Nachdem Suharto aus seinem Amt gedrängt worden war, verzichtete das Militär auf einige ihrer Nebeneinnahmen und auch auf einige Sitze im Parlament. Auch wenn es insbesondere nationale Faktoren waren, die den Reformprozess ins Stocken geraten ließen, war die Entscheidung zur schrittweisen Wiederaufnahme der Militärhilfe durch die USA seit dem Jahr 2002 keineswegs hilfreich.

Barack Obama; Foto: AP
US-Präsident Obama schrieb, dass "seit 60 Jahren das Schicksal Indonesiens eng mit der Außenpolitik der USA verknüpft ist."

​​ Die Opfer der von den USA unterstützten Militärübergriffe sind von der Notwendigkeit einer Einstellung jeder Militärhilfe überzeugt. Die in Ost-Timor ansässige, unabhängige "Commission for Reception, Truth and Reconciliation" (eine Versöhnungskommission, die von den UN nach dem Vorbild der südafrikanischen Wahrheitskommission gegründet wurde; Anmerkung des Übersetzers) rief alle Länder auf, die Militärhilfe an Indonesien "abhängig von sichtbaren Fortschritten hinsichtlich der Demokratisierung, der Unterordnung des Militärs unter das rechtsstaatliche System und die zivile Regierung und der strikten Einhaltung internationaler Regeln zum Schutz der Menschenrechte zu machen."

Von der gegenwärtigen Regierung Ost-Timors wird diese Forderung jedoch nicht unterstützt. Sie entschied sich dafür, zunächst nicht weiter auf die Verurteilung der von der "Serious Crimes Unit", einer von den UN eingesetzten Anklagebehörde zur Aufarbeitung der während der indonesischen Besetzung Ost-Timors begangenen Verbrechen, identifizierten Täter zu drängen, da sie glaubt, es ohne internationale Unterstützung nicht mit dem übermächtigen Nachbarn aufnehmen zu können.

Ungewisse Zukunft

Indonesischer Maler in Jakarta zeichnet ein Bild von Obama; Foto: AP
US-Präsidenten Barack Obama lebte von 1967 bis 1971 in Jakarta, wo er zur Schule ging. Obama erfreut sich daher bei vielen Indonesiern großer Beliebtheit, sie betrachten ihn praktisch als "einen der ihren".

​​ Die Ernennung von Admiral Dennis Blair zum neuen Chef der "National Intelligence" ist eine von Obamas Personalentscheidungen, die bereits Fragen aufwirft: Als früherer Kopf des "Pacific Command" soll Blair dem indonesischen Militär verstärkte Militärhilfe angeboten haben, just zu dem Zeitpunkt, als die Armee schlimme Verwüstungen in Ost-Timor anrichtete.

Während seiner Ernennungsanhörung verteidigte Admiral Blair sein damaliges Vorgehen aus dem Jahr 1999. Auch wenn einige Mitglieder des Ausschusses Blair für sein "Querdenken" loben, reflektieren solche Maßnahmen die tief verwurzelte Denkweise amerikanischer Regierungsbeamter, denen gute Beziehungen zum TNI über alles gehen, unabhängig von den Resultaten.

Während einige im Kongress die Wiederherstellung der alten Rahmenbedingungen bei der Militärhilfe von wirklichen Fortschritten bei der Reform der Armee abhängig machen wollen, wozu die Nichteinmischung der Armee in alle wirtschaftliche Bereichen ebenso gehört, wie der freie Zugang nach West Papua für Diplomaten, internationale humanitäre Organisationen und Menschenrechtler sowie die Durchführung glaubwürdiger Prozesse gegen die Verantwortlichen von Menschenrechtsverstößen in Ost-Timor, West Papua und anderswo, erscheint es noch sehr fraglich, ob die Regierung sich diesem Kurs anschließen wird.

Die Erwartungen in Indonesien sind hoch. Anwälte rufen Obama und den US-Kongress dazu auf, die indonesische Regierung dazu zu veranlassen, die Menschenrechte künftig umfassender zu respektieren.

Rafendi Djamin, Koordinator der "Human Rights Watch Working Group", sagte hierzu der Jakarta Post: "Wir erwarten von Obama, dass er mehr Druck auf Indonesien ausübt, damit diese endlich die bisher nicht aufgearbeiteten Menschenrechtsfälle aufklärt. Dazu müssen die USA die indonesische Regierung direkt auf diese Fälle ansprechen und ihre Wichtigkeit betonen."

US-Außenministerin Hillary Rodham Clinton wird auf dem Flughafen Jakarta, Indonesien von Schulklasse empfangen; Foto: AP
Appell für Demokratisierung und Einhaltung der Menschenrechte an die Führung in Jakarta? US-Außenministerin Clinton in Indonesiens Hauptstadt im Februar 2009

​​ Die USA sollten außerdem "das Embargo gegen uns wieder in Kraft setzen, falls Indonesien sich dem Druck der USA nicht beugt", meint ein anderer Menschenrechtsaktivist.

Letzten Februar stattete Außenministerin Clinton Indonesien einen ersten offiziellen Besuch in Indonesien ab. Auch Obama, so heißt es, habe sein Interesse bekundet, Indonesien zu besuchen.

Diese Visite wird, so soll er es dem Präsidenten Susilo Bambang Yudhoyono bereits gesagt haben, im kommenden November stattfinden – sein erster Besuch eines Staates mit einer muslimischen Bevölkerungsmehrheit.

Doch welche Botschaft er hinsichtlich der Achtung von Menschenrechten und der notwendigen Reformen für die Inselrepublik bereit halten wird, ist mehr als fraglich.

John M. Miller

© Inside Indonesia 2009

Aus dem Englischen von Daniel Kiecol

John M. Miller ist Koordinator der in den USA ansässigen Menschenrechtsorganisation "East Timor and Indonesia Action Network"

Qantara.de

Zum Tod des indonesischen Diktators Suharto
Schatten der Vergangenheit
Am Sonntag (27.1.) verstarb der ehemalige indonesische Präsident Suharto im Alter von 86 Jahren. Er hatte den südostasiatischen Vielvölkerstaat 32 Jahre lang regiert. Bis heute leidet das Land schwer an Suhartos Erbe: einem korrupten Verwaltungssystem und einem viel zu großen Militärapparat. Von Sybille Golte-Schröder

Unabhängigkeitsbewegungen Südasiens
Die Beispiele Mindanao, Aceh und Pattani
Die religiös und ethnisch gefärbten Separatistenbewegungen in Südostasien verdeutlichen, wie weit die Wege zur Bildung von Willensnationen in Südostasien sind. Nach dem Kommunismus ist der Islamismus als spaltende Kraft hervorgetreten. Mindanao, Aceh und Pattani weisen dabei Gemeinsamkeiten, aber auch Gegensätze auf. Von Manfred Rist

Friedensprozess in Aceh
Der Tsunami hat den Frieden erst möglich gemacht
Der Tsunami rückte eine indonesische Provinz ins Rampenlicht der Öffentlichkeit, in der seit Jahrzehnten ein blutiger Kampf um Unabhängigkeit tobte. Durch finnische Vermittlung gelang es, ein Friedensabkommen auszuhandeln. Informationen von Hendra Pasuhuk