Ambivalente Kinowelten

Gibt es überhaupt einen authentischen oder typisch iranischen Film? Zumindest die Wahrnehmung ist im Westen oft eine deutlich andere als im Iran selbst. Amin Farzanefar beschreibt die unterschiedliche Wahrnehmung des persischen Kinos in Europa und im Iran.

Gibt es überhaupt einen authentischen oder typisch iranischen Film? Zumindest die Wahrnehmung ist im Westen oft eine deutlich andere als im Iran selbst. Amin Farzanefar beleuchtet die unterschiedliche Wahrnehmung des persischen Kinos in Europa und im Iran.

Foto: TehranAvenue
Kassenschlager "Sagkoshi" von Bahram Beyzai

​​Er zählt zu den renommiertesten Regisseuren im heutigen Iran: Bahram Beyzai. Mit seinem neusten Film "Killing Mad Dogs" legte er vor drei Jahren im Iran einen wahren Kassenschlager der letzten Jahrzehnte vor. Doch von wenigen Ausnahmen abgesehen, war dieser Film im westlichen Ausland so gut wie gar nicht zu sehen. Übrigens genauso wenig, wie die Filmerfolge "Pastry Girl", "The Wind Carpet" und "Fire and Water".

Vom schönen Schein des iranischen Films?

Neben dem Problem der Übersetzbarkeit von Filminhalten stellt sich die Frage, ob iranische Kinostreifen, die wir in Europa oder im Westen zu sehen bekommen, überhaupt repräsentativ sind. Tatsächlich erheben Cineasten immer wieder den Einwand, dieses Exportkino würde ein exotisches, falsches Bild vom Iran erzeugen: "Kinder des Himmels", "Die Stille", "Zeit der betrunkenen Pferde" und andere erzählen häufig humanistische Fabeln über Solidarität und Freundschaft. Schauplätze sind ärmere Vororte oder farbenprächtige ländliche Kulissen. Die Protagonisten sind häufig Kinder.

Filmszene aus "Zeit der trunkenen Pferde" von Bahman Ghobadi

​​Der Vorwurf der Weltfremdheit mag angesichts einer verwirrenden iranischen Lebenswirklichkeit, die zwischen geradezu mittelalterlichen Traditionen und urbaner Moderne changiert, nur teilweise berechtigt sein. Denn viele dieser metaphernreichen, bunten Filme zeugen tatsächlich von einer "typisch iranischen" Disposition: Sie alle entspringen einer authentischen poetischen Ader: Die klassische persische Lyrik liefert jene einfachen, klaren und doch komplexen Bilder, mit denen die Regisseure ihre kritische – bisweilen subversive – Meinung in Symbole fassen und kundtun.

Doch inzwischen mag diese Ästhetik tatsächlich zu einer Mode geworden sein: So werden manche Werke in Hinblick auf einen möglichen Auslandserfolg produziert. Auch hinter spektakulären Zensurfällen wittert man einen angezettelten "Skandal", der dann einen Erfolg im Westen beschert.

Die iranische Sicht der Dinge

Die Suche nach einem "authentischen" iranischen Kino gestaltet sich schwierig. Vielleicht hilft das Publikum weiter: Teheraner Kinogänger offenbaren etwa, dass in den letzten acht Jahren kein einziger arabischer Film in iranischen Kinos zu sehen war. Auch das indische Kino war kaum vertreten.

Offenbar scheint der Westen viel näher zu sein als die unmittelbaren Nachbarn: Zwar gelangen jährlich nur sechs bis acht Filme aus Hollywood in zurechtgestutzten Versionen in die Kinosäle. Doch abgesehen vom Stolz auf die eigene, über hundertjährige Filmtradition besteht vor allem bei jugendlichen Zuschauern ein großer Hunger nach westlichen Bildern. Noch ist jeder aktuelle Hollywoodfilm unter der Hand auf CD, DVD oder Video zu haben.

Auf den Leinwänden der städtischen Kinos dominieren heimische Actionfilme, Liebesdramen und Familienkomödien, die häufig als x-te Version alter "Hollywoodschinken" gestrickt werden. Dabei ist nicht zu übersehen, dass sich einige der im Westen geschätzten Werke auch im Iran großer Beliebtheit erfreuen: Etwa Rassul Sadr Ameli ("Taraneh, Age 15"), Rakhshan Bani-Etemad ("Under the skin of the City", "The blue scarf") oder Manijeh Hekmats ("Womens prison"). Sie sind Filmschaffende, die im Westen mehrere Erfolge erzielen konnten.

Prominente Regisseure als Lügenbarone und Egomanen

Andere "Festival-Regisseure" sind dagegen weniger angesehen. Der Teheraner Filmkritiker Mehdi Abdollahzadeh spricht von einigen Filmen preisgekrönter Regisseure, wie Jalili ("Delbaran"), Makhmalbaf ("Reise nach Kandahar") oder Madjidi ("Baran"), sogar von einem Lügentheater.

Foto: AP
Bonus verspielt: Mohsen Makhmalbaf

​​Tatsächlich hat beispielsweise Makhmalbaf bei vielen Kritikern jenen "Heldenbonus" inzwischen verspielt, den er sich als regimekritischer Sozialfilmer verdient hatte. So mancher sieht ihn als Egomanen, für den das Renommee im Westen inzwischen mehr zählt, als das heimische Publikum.
Auch Oscar-Preisträger Madjidi gilt einigen nur als talentierter Plagiator. Solchem kunstgewerblichen Schein stellt Abdollahzadeh etwa Namen wie Bahman Ghobadi ("Verloren im Irak") oder Abbas Kiarostami ("Ten") gegenüber. Und auch diese Regisseure sind von Erfolg und Preisen in Europa gekrönt.

In einem Land der Paradoxien und Mehrdeutigkeiten, das sich zudem in einem gewaltigen gesellschaftlichen Umbruch befindet, bleibt die Frage "Kunst oder Kommerz", "Original oder Fälschung" letztendlich eine Geschmacksfrage.

Die Zukunft des iranischen Kinos bleibt weiter ungewiss. Nur soviel steht fest: Der kulturpolitische Wandel unter Präsident Chatami begünstigt die Dezentralisierung der Filmbranche und die Gründung von privaten Produktionen. Dies führt mitunter auch zu einer Abnahme der Zensur und einer direkteren Thematisierung heikler gesellschaftlicher Sujets – eine Entwicklung, die bereits eingesetzt und Inhalte sowie Ästhetik des persischen Films deutlicher als zuvor ändern wird.

Amin Farzanefar, © Qantara.de 2004