Voller magischer Momente

Diali Cissokho hat seine Heimat Senegal vor acht Jahren in Richtung North Carolina verlassen. Als Griot großgezogen, gehört er zu den traditionellen musikalischen Geschichtenerzählern und Historikern Westafrikas. In seiner neuen Heimat angekommen, wollte er das Musizieren fortsetzen. Von Richard Marcus

Von Richard Marcus

Es ist ein weiter Weg vom Senegal bis nach North Carolina in den Vereinigten Staaten. Und doch verbindet die neue Platte "Routes" von Diali Cissokho & Kaira Ba auf ihrem Label Twelve Eight Records das musikalische Erbe beider Regionen auf wunderbare Weise.

Und um diese besondere Verbindung in den Mittelpunkt zu rücken, beschlossen Cissokho und seine Bandkollegen (Austin McCall, Schlagzeug/ Will Ridenour, Percussion/ John Westmoreland, Gitarre und Jonathan Henderson, Bass und Produzent) sowohl in seiner Heimatstadt M'bour im Senegal als auch in North Carolina zu produzieren. Nach ihren Aufnahmen im Senegal kehrten sie nach Amerika zurück, wo sie diese mit Klängen aus Cissokhos neuer Heimat ergänzten. Alles, angefangen vom Sound der Zikaden Carolinas über die Pedal-Steel-Gitarre bis hin zu Gospelklängen, erscheint als Repräsentation der Neuen Welt.

Während die Verbindungen zwischen der Musik Afrikas und seiner Nachkommen auf dem nordamerikanischen Kontinent häufig erforscht und damit experimentiert wurde, geht dieses Album ein wenig weiter, als nur die Schnittstelle zwischen beiden Klangwelten auszuloten.

Es handelt sich hierbei nicht bloß um eine Fusion, bei der beide Sounds entweder um die prominentere Positionierung wetteifern oder beim Versuch der Harmonisierung dermaßen viele Zugeständnisse machen, dass kein Sound mehr dem entspricht, was ihn ursprünglich ausgemacht hat. Vielmehr ist es eine Begegnung auf Augenhöhe, wobei hierbei eine perfekte musikalische Basis gefunden wurde, die beiden Klangwelten ihren Resonanzraum bietet.

Trotz des Auftaktes mit einem Chor nordamerikanischer Zikaden, transportieren Stücke wie der Eröffnungstitel "Alla L'a Ke" das Gefühl und den Charakter traditioneller westafrikanischer Musik.

Angeführt vom unverwechselbaren Sound von Cissokhos Kora, folgt das Stück den Mustern, die wir aus Westafrika kennen, insbesondere denen der senegalesischen und malischen Musik. Klangvolle Melodien mischen sich in das kunstvolle Zusammenspiel der Kora mit den anderen Bandinstrumenten.

Vollkommene Handwerkskunst

Doch ist gerade d "Alla L'a Ke" auch ein Beispiel für die harte Arbeit, die in die Schaffung dieser Verbindung von Musik und Kultur investiert werden musste. Zunächst ist da die Beschreibung der Komposition des Stückes von Produzent und Bassist Henderson, für das extra ein Streichquartett-Arrangement zur musikalischen Untermalung des Songs kreiert wurde.

Tatsächlich hat die Band eine so exzellente Arbeit geleistet, die Klänge ineinander übergehen zu lassen, dass man nur schwerlich behaupten könnte, irgendeine eigens wahrnehmbare Streicherpassage in der Melodie zu vernehmen. Dieser Song bereitet uns auch perfekt auf das vor, was uns in den nachfolgenden Stücken  des Albums erwartet.

Bereits in diesem ersten Song nehmen wir deutlich wahr, wie sich die Band physisch und musikalisch zwischen Senegal und North Carolina bewegt. Während die Ouvertüre aus der abendlichen Klangkulisse North Carolinas besteht, ist abschließend der Sound der Straße rund um das Aufnahmestudio der Band in M'bour zu hören.

Auffallend ist, dass sich das Stück dabei musikalisch in die entgegengesetzte Richtung zu bewegen scheint. Denn während die ersten zwei Drittel des Songs "Alla L'a Ke" so klingen, als seien sie direkt dem Sound der Straßen von M'bour und seiner Umgebung entnommen worden, entwickeln sich die letzten beiden Minuten zu einer frei improvisierten Jazz-Darbietung, die schließlich mit der Straßenatmosphäre verschmilzt.

Während die Transition sowohl durch einen Stimmwechsel Cissokhos als auch durch einen eindringlichen Trommelbeat eingeleitet wird, erfolgt der Übergang zur elektronisch modulierten Trompete und arrhythmischen Percussion eher abrupt.

Die Straßengeräusche am Ende des Songs fungieren als Brücke zum zweiten Stück des Albums, "Badima", das zwar ohne Weiteres auch unter der Rubrik Afro-Pop firmieren könnte. Allerdings hört man auf diesem Stück auch, wie die Band in verschiedene Musikrichtungen elaboriert. Und gegen Ende des Songs klingt es gar so, als führte die Band einen Perkussionssound ein, den man mit karibischer Musik gleichsetzen könnte. Selbst der Einsatz von Steeldrums an dieser Stelle wäre denn wohl auch keine Überraschung gewesen.

Magische Momente

Auch wenn Salsa nicht unbedingt nach der Art von Musik klingen mag, die man mit Westafrika verbindet, so ist dieses Genre - laut Cissokho - dort unglaublich beliebt. Er selbst lernte sie Dank seines Vaters schätzen. All das erklärt die Präsenz des Songs "Salsa Xalel" auf dem Album. Nachdem die Band im Senegal mithilfe des Balafons (einer Art Holzxylophon) und der sprechenden Trommel die Grundlagen für das Stück geschaffen hatte, importierte sie es dann zurück nach North Carolina, um den Background-Gesang der Gospelsängerinnen Shana Tucker und Tamisha Waden hinzuzufügen.

Wahrscheinlich ist einer der wohl überraschendsten Sounds des Albums Platte derweil auch einer der Besten. Wer hätte gedacht, dass sich die Klangwelten einer Pedal-Steel-Gitarre auf so harmonische Weise mit einer Kora verbinden lassen? Allein die Idee, die Pedal-Steel-Gitarre mit westafrikanischer Musik zu kombinieren, klingt absonderlich, aber sie fügt sich in Wirklichkeit geradezu nahtlos ein. Wüsste man nicht, dass sie zu dem Song "Saya" gespielt wird, könnte man sie kaum erkennen.

"Routes" von Diali Cissokho & Kaira Ba ist nicht nur ein überaus gelungenes Experiment, es ist ein Album von unglaublicher musikalischer Qualität. Obwohl es ein wunderbares Beispiel für einen gelungenen kulturellen Dialog ist, vergisst man am Ende all dies und genießt einfach den Klang dieser Kreation. Von dem atemberaubenden Intro aus Trommel und Flöte über den Abschlusssong "Night in M'Bour" bis hin zur schlichten Eleganz des Stücks "Saya" steckt das Album voller magischer Momente. Ihm zu lauschen ist pure Freude, von Anfang bis Ende.

Richard Marcus

Übersetzt aus dem Englischen von Zahra Nedjabat

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