Kleine Sündenfälle

Der ägyptische Erfolgsautor Alaa al-Aswani brilliert schon in seinen frühen Erzählungen: Seine Kurzgeschichten-Sammlung handelt von Hisham, einem angehenden Professor für Chirurgie, der sich in Zynismus und Beschimpfungen gegen die ägyptische Kultur verliert. Von Angela Schader

Der ägyptische Erfolgsautor Alaa al-Aswani brilliert schon in seinen frühen Erzählungen: Seine Kurzgeschichten-Sammlung handelt von Hisham, einem angehenden Professor für Chirurgie, der sich in Zynismus und Beschimpfungen gegen die ägyptische Kultur verliert. Von Angela Schader

Alaa al-Aswani; Foto: dpa
Der 1957 in Kairo geborene al-Aswani studierte Zahnmedizin in Ägypten und Amerika. Ende der 1980er Jahre begann er Romane zu schreiben. Mit "Der Jakubijan-Bau"</wbr> aus dem Jahr 2002 gelang ihm schließlich der literarische Durchbruch.

​​Auf dreihundert Exemplare belief sich die Erstauflage des Buches. Gedruckt wurde es auf Kosten des Verfassers und von eben demselben wohl unentgeltlich an Kritiker und Freunde verteilt.

Wer mit einer solchen Visitenkarte die literarische Bühne betritt, der ist – so steht zu vermuten – auf ewig in die Vorhölle derjenigen verbannt, die ihren literarischen Ehrgeiz mit Print-on-Demand-Publikationen und der Akklamation eines kleinen Kreises von Zugewandten befriedigen müssen.

Bei der gedachten Erzählsammlung – die unter dem Titel "Ich wollt', ich würd' Ägypter" nun auch auf Deutsch vorliegt – handelt es sich um das literarischen Debüt eines Kairoer Zahnarztes, der rund eine Dekade später mit dem Roman "Der Jakubijan-Bau" zum erfolgreichsten Gegenwartsautor im arabischen Raum avancieren sollte.

Mit diesem Buch ist Alaa al-Aswani in mehr als einer Hinsicht zum Mythos geworden: zum einen, weil er mit seiner Röntgenaufnahme des titelgebenden Miethauses einen Bilderbogen ägyptischer Schicksale eingefangen hat, welche die Politiker und Sittenwächter des Landes lieber hinter soliden Mauern verborgen wüssten; zum andern, weil der Autor seine Arbeitsstunden nach wie vor diszipliniert zwischen Schreibtisch und Zahnarztstuhl aufteilt.

Gift und Galle

"Ich wollt', ich würd' Ägypter, wenn ich es nicht schon wär" lautet ein geflügeltes Wort des Nationalisten Mustafa Kamil Pascha, das den "Aufzeichnungen des Issam Abdalati" – dem gewichtigsten Text in der frühen Erzählsammlung – vorangestellt ist; umgehend und gründlich wird es vom Ich-Erzähler mit einer giftgesättigten Schmährede gegen alles Ägyptische pulverisiert.

Kein Wunder also, dass die Herren von der Ägyptischen Buchorganisation, denen Alaa al-Aswani das Manuskript 1989 vorlegte, kopfscheu wurden – die skurrilen Verhandlungen zwischen Autor und Beamtenschaft hat der Schriftsteller im Vorwort des Bandes mit Gusto protokolliert.

​​Hier liegt auch der Grund dafür, dass das Buch zunächst im Selbstverlag erscheinen musste und sogar nach dem Triumph des "Jakubijan-Baus" noch von einem ägyptischen Großverleger mit spitzen Fingern retourniert wurde. Der Stoff, so befürchtete er, könnte ihn ja ins Gefängnis bringen. Qualitativ jedoch kann dieses erzählerische Debüt problemlos neben dem Erfolgsroman bestehen.

Alaa al-Aswani nimmt zwar als Schriftsteller so gut wie als Kolumnist in ägyptischen Oppositionszeitungen kein Blatt vor den Mund, wenn es um Kritik an den Verhältnissen in seiner Heimat geht. Doch kein versierter Leser würde ihm – wie es seinerzeit die Beamten der Ägyptischen Buchorganisation taten – die in den "Aufzeichnungen des Issam Abdalati" vorgebrachten Ansichten unterschieben.

Ohne seine Figur, für die er durchaus auch Sympathie hegt, zu desavouieren, führt der Schriftsteller am Beispiel Abdalatis vielmehr vor, wie einer aus schierem menschlichem Ungeschick in der Galle seiner Arroganz ertrinkt; wie er, festgekrallt am Gefühl der intellektuellen Überlegenheit, besinnungslos um sich tritt und auch die Nächsten trifft, ohne den eigenen Untergang letztlich verhindern zu können.

"Die kompliziertesten intellektuellen Schwierigkeiten widersetzen sich meinem Denken nicht, jedoch der spontane, schlichte Umgang mit anderen Leuten verwirrt mich und macht mich hilflos", gesteht der Protagonist einmal. Er wählt die Flucht in die splendid isolation – um den Preis einer Unmenschlichkeit, die ihn die Mitbürger mit Ungeziefer in einem Abflussrohr, die krebskranke Mutter mit einer in Panik geratenen Laborratte vergleichen lässt; und er wird am Ende aus seinem Elfenbeinturm in den Wahnsinn stürzen.

Liebevoller Kritiker

Neben den "Aufzeichnungen" umfasst der Band sechzehn wesentlich kürzere Erzählungen, in denen al-Aswani bald die Schwächen seiner Landsleute mit spitzer Feder traktiert, bald ihre Kümmernisse mit schonender Hand, doch ohne Gefühligkeit umreißt.

Die beiden Gesten können sich auch begegnen – wenn etwa das Allzumenschliche einen gesetzten Mann einholt, der im Fastenmonat Ramadan am Totenbett seines Vaters vom bohrenden Hunger aufgestört wird.

Keinerlei Gnade vor dem Auge des Autors finden dagegen Selbstsucht und Heuchlertum, die etwa im Brief an "Meine liebe Schwester Makarim" entblößt werden; und die Zeugenschaft bei dem nächtlichen Gewaltritual – fast unwillentlich begangen, tränenlos ertragen –, mit dem ein junger Mann seine der Untreue bezichtigte Frau abstraft, leistet er mit dem kalten, starren Blick, welcher der sinnleeren Grausamkeit des Geschehens entspricht.

Selbstverständlich wird auch den Mechanismen eines verknöcherten und von Korruption und Vetternwirtschaft unterhöhlten Staatswesens ironisch Reverenz gezollt – wenn etwa ein Armer aufgrund einer anonymen "Verwaltungsverordnung" aus seinem kleinen Paradies als Teekoch verstoßen wird oder wenn sich ein junger Mediziner beim Stellenantritt einer nachgerade systematischen und von mannigfachen Feindschaften und Eifersüchteleien durchschossenen Willkürherrschaft ausgesetzt sieht.

Aber was den Autor von seiner Figur Issam Abdalati unterscheidet, wird noch in den kritischsten und bissigsten Texten manifest: Hier ist eine menschliche Klugheit am Werk, die sich nicht hinter intellektuellen Attitüden verschanzt, sondern vielmehr gerade im "spontanen, schlichten Umgang" mit Menschen brilliert.

Wo Katzbuckeleien gefordert werden, fährt Alaa al-Aswani zwar die Krallen aus – das bewies etwa seine ätzende Karikatur des ägyptischen Präsidenten Mubarak im Roman "Chicago"; durchaus freiwillig aber kann er sich über den Gram eines kleinen Angestellten im Planungsministerium beugen, dem ein abgestoßenes und fadenscheinig gewordenes Hemd den Arbeitstag versauert.

Angela Schader

© Neue Züricher Zeitung 2010

Alaa al-Aswani: Ich wollt', ich würd' Ägypter. Aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich. Lenos-Verlag, Basel 2009

Qantara.de

Alaa al-Aswani auf der Lit.COLOGNE
Ein literarischer Tabubrecher der arabischen Welt
Auf der Lit.COLOGNE, dem größten Literaturfestival Europas, las der derzeit erfolgreichste arabische Romancier Alaa al-Aswani als einziger arabischsprachiger Schriftsteller aus seinem Roman "Chicago" vor. Samir Grees hat zugehört.

Interview mit Alaa Al-Aswani
Schreiben aus Nostalgie
Der Roman "Der Jakubijan-Bau" von Alaa al-Aswani ist vor fünf Jahren in einem kleinen ägyptischen Verlag erschienen. Inzwischen ist das Buch in viele Sprachen übersetzt worden und hat mehrere Preise gewonnen. Nun ist "Der Jakubijan-Bau" auch auf Deutsch erschienen. Mona Naggar sprach mit dem Schriftsteller.

Interview Wahid Hamed
Ägyptischer Film "Das Haus Yacoubian" bricht mit allen Tabus
Seit Jahren erregte kein ägyptischer Kinofilm so breites öffentliches Interesse wie der Film "Das Haus Yacoubian". Drehbuchautor Wahid Hamed spricht über die Gerichtsprozesse, die gegen den Film angestrengt wurden, und über die freie Meinungsäußerung in Ägypten.