Umarmung von Orient und Okzident

Das dreitägige Ud-Festival im omanischen Maskat zeichnete sich durch einen Brückenschlag von der arabischen Kunstmusik zum abendländischen Musiksystem aus. Eine CD-Box dokumentiert das erste gesamtarabische Lautenfestival. Von Stefan Franzen

​​Warum gerade ein Festival in Oman – ein Land, das im Westen nicht gerade als Zentrum der arabischen Musikszene gilt? "Die Idee kam von Sultan Qabus Ibn Said persönlich", erläutert der ägyptische Musikwissenschaftler Issam El-Mallah, der als Ethnologe an der Universität München lehrt und verantwortlich für Konzept und Durchführung des Festivals war.

"Der Sultan ist ein Glücksfall für uns Musikwissenschaftler. Das sage ich jetzt nicht, um politische Propaganda zu machen, sondern das sind Fakten: Oman, vom 16. bis zum 19. Jahrhundert fast eine Weltmacht, ging danach durch eine Phase der völligen internationalen Isolation.

"Dann kehrte dieser junge Mann, der auf einer englischen Schule ausgebildet worden war, mit ganz neuen Gesellschaftsentwürfen in seine Heimat zurück. Sein Vater stellte ihn zunächst unter Arrest, aber er hat es dennoch geschafft, mithilfe des Militärs gegen ihn zu putschen. Seit 1970 geht es also aufwärts, was Infrastruktur, Erziehungs- und Bildungssystem betrifft."

Künstlerische Gestaltungsfreiheit

Der Liebe des Sultans sowohl zur westlichen als auch zur arabischen Kunstmusik und zur traditionellen Musik ist es zu verdanken, dass El-Mallah die Musikgeschichte Omans in den vergangenen Jahren auf Tonträgern aufarbeiten konnte und dass von Jazzgruppen bis zu Symphonieorchestern und Opern dort nun ein reges Kulturleben herrscht.

Mit einem solch zahlungskräftigen Gönner im Hintergrund, der zudem noch völlig freie Hand bei der künstlerischen Gestaltung des Festivals gelassen hat, ergaben sich für El-Mallah natürlich traumhafte Bedingungen. Wie hat er diesen Freiraum genutzt, um der nicht gerade neuen Idee eines Lautenfestivals eigene Züge zu verleihen?

"Bei bisherigen Festivals, die der Ud gewidmet waren, sind namhafte Solisten eingeladen worden und jeder von ihnen hat circa eine halbe Stunde gespielt. Mein Entwurf geht weiter", erklärt der Musikologe.

"Wir haben auf der einen Seite Solodarbietungen gezeigt wie auch Laute mit Gesang kombiniert. Damit wollte ich eine Rückbesinnung auf die alte Tradition erzielen. Denn wenn Sie heutzutage ein Konzert im arabischen Fernsehen anschauen, dann tritt da ein Sänger auf, hinter dem mindestens 60 bis 80 Instrumentalisten stehen, davon sind ein Drittel Rhythmusinstrumente, so wird eher eine Disco-Stimmung erzielt.

"Außerdem habe ich die Perspektive nach vorne präsentiert, indem wir Kompositionen für Ud und Symphonieorchester aufgeführt haben. Der ägyptische Komponist Amar El-Sherei wurde sogar beauftragt, neue Werke zu schreiben. Durch diese Mischung ist gewährleistet, dass wir sowohl eine Wiederbelebung der Tradition wie auch die Öffnung in die Zukunft haben. Die Ud als das zentrale Instrument im arabischen Musiksystem ist für all diese Belange am besten geeignet."

Facettenreiche Ud-Spielarten

Für sein Konzept hat Issam El-Mallah in Kauf genommen, dass fast alle der Interpreten – vom Marokkaner Saïd Chraibi einmal abgesehen - im Westen kaum bekannt sind, und auch in der arabischen Welt hätte er sicherlich den ein oder anderen Interpreten mit mehr prominenter Strahlkraft finden können.

Dies allerdings war nicht sein Fokus. Die ausgewählten Künstler mussten das Kriterium erfüllen, zugleich Sänger und Ud-Spieler zu sein, mussten über die Fähigkeit verfügen, über viele Maqammat (Skalen) zu improvisieren, auch solche mit Vierteltönen, die zugunsten einer Annäherung an die westliche Musik in letzter Zeit oft ins Hintertreffen geraten waren.

Wichtigster Dreh- und Angelpunkt für den Professor jedoch war die Erzeugung des "Tarab". "Tarab ist ein emotionaler Zustand, der sowohl Trauer als auch Schmerz umfassen kann und der durch eine bestimmte Art des Spielens, durch eine bestimmte Tonleiter oder Motive, aber auch durch Texte erzeugt werden kann", so El-Mallah.

"Viele Lautenspieler sind ausgezeichnete Virtuosen, können aber keinen Tarab hervorrufen. Letztendlich wollte ich auch von Marokko bis Oman Vertreter dabei haben, um die verschiedenen Facetten der Ud-Spielweise innerhalb der arabischen Nation zu zeigen: Die zartere, gefühlvollere des Maghreb, wo die Ud auch kleiner ist, und die kräftigere, technischere des Nahen Ostens und der Arabischen Halbinsel."

Freilich kann das westliche Ohr sich nicht in alle diese Feinheiten hineinhören, auch wenn beim Hörgenuss der Konzerte auf der CD-Box "Al Tarab", die bei ENJA Records erschienen ist, die geographisch bedingten, unterschiedlichen Klangfarben schon auffallen.

Für den Laien liefert El-Mallah denn auch in einem dicken Begleitbuch den theoretischen Unterbau in vier Sprachen mit, listet etwas trocken Skalen auf, geht bei Werkanalysen ins Detail, setzt abendländische Musikgeschichte in Relation zur arabischen Historie.

West-östliche Klangwelten

Die klangliche Umsetzung dieser Beziehung, nämlich die Orchesterwerke, hinterlassen einen zwiespältigen Eindruck: Während Atiyya Shararas 20 Jahre altes Concerto für Ud und Orchester noch sehr holprig und ein wenig nach unbeholfener Militärmusik klingt, verzahnen sich Okzident und Orient bei der Auftragskomposition von Ammar El-Sherei schon schlüssiger, auch wenn sie den Eklektizismus mit Beethoven-, Tschaikowsky- und Wagner-Zitaten offen zur Schau stellen.

Ein Begleiteffekt für Oman: Die opulente CD-Dokumentation des Festivals auf dem europäischen Musikmarkt verhilft dem aufstrebenden Land zu unverhoffter PR. El-Mallah, der im Geiste schon an weiteren Festival-Auflagen bastelt und auch Anfragen für ein solches aus dem deutschen Raum hat, blickt jedenfalls zufrieden auf das Ergebnis:

"Mein Hauptanliegen ist gelungen, nämlich den Reichtum der arabischen Musik zu zeigen, ihre respektablen, nicht popartigen Seiten, die es natürlich auch geben darf. Ich sehe im Maskat-Du-Festival ein Stück Aufklärungsarbeit verankert, die ich aber nicht als Professor an der Uni München leisten wollte, sondern mit etwas Praktischem, mit lebendigem Klang. Das ist doch viel effektiver und erschöpft sich nicht in trockenen, leeren Anweisungen."

Stefan Franzen

© Qantara.de 2006

Maskat Ud Festival, "Al Tarab", diverse Interpreten und das Royal Oman Symphony Orchestra unter Hasan Sharara, erschienen bei ENJA, Bestell-Nr. ENJ-9504 2 (4 CDs)

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