
AfghanistanDer "War on Terror“ der Taliban
Es war ein etwas muffig riechender Container, in dem sich Jawed wiederfand, nachdem er von zwei bewaffneten Taliban-Kämpfern mit langem Bart, Turban und Gebetskäppchen im Westen Kabuls verhaftet worden war. Jawed, 28, (der Name ist geändert, Anm. der Red.) war im letzten Herbst abends zu Fuß unterwegs, als er einen der vielen Taliban-Checkpoints der afghanischen Hauptstadt passieren musste. Normalerweise halten die Kämpfer mit ihren Kalaschnikows meist Autos an und kümmern sich nicht um Fußgänger.
Doch der Student hatte Pech. Er musste sich ausweisen und wurde gefilzt. Dann griff einer der Kämpfer nach seinem Smartphone. "Öffne das. Sofort!“, befahl er ihm. "Nein, sicher nicht. Dazu hast du kein Recht!“, antwortete ihm Jawed schroff. Kurz darauf wurde er gepackt, geohrfeigt und in den nebenstehenden Container gebracht.
Dieser diente zugleich als Unterkunft und als Gefängnis. Während in einer Ecke Taliban-Kämpfer saßen, Tee tranken und ihren bekannten Kampfliedern, den sogenannten Tarana, lauschten, hielten sich am anderen Ende des Raumes junge Männer auf, die von den Extremisten mit Gewalt festgehalten wurden.
Jawed war nicht der einzige Inhaftierte. Neben ihm saßen zwei Männer. Sie trugen langes Haar und Bart und starrten grimmig vor sich hin. "Gut, du bekommst noch eine Chance. Öffne dein Telefon“, sagte einer der Taliban-Soldaten zu Jawed und hielt ihm sein iPhone entgegen. Jawed weigerte sich abermals. "Dann musst du hierbleiben“, meinte der Talib und wandte sich ab. "Hey, schließ dich doch uns an, wenn du auch keine Lust mehr auf die hast“, flüsterte ihm kurz darauf einer seiner beiden Mitgefangenen zu. Sie stellten sich als Mitglieder des "Islamischen Staates in der Provinz Khorasan“ (ISKP), der afghanischen IS-Zelle vor.

Die Taliban setzen den Kreislauf der Gewalt fort
Seit fast zwei Jahren regieren die Taliban abermals Afghanistan. Im August 2021 zogen die internationalen Kräfte der NATO unter US-amerikanischer Führung ab und die Extremisten marschierten nach fast zwanzigjähriger Abwesenheit in Kabul ein und übernahmen die Macht. "Ich habe viele Opfer gebracht, doch nun bin ich als Sieger hier“, meinte damals Ghulam Rohani, hochrangiges Taliban-Mitglied, während der ersten Pressekonferenz der neuen, alten Machthaber.
Sie fand im Arg, dem afghanischen Präsidentenpalast, kurz nach der Flucht des letzten Präsidenten der afghanischen Republik, Ashraf Ghani, statt. Die "Opfer“, von denen der Talib sprach, gab es tatsächlich. Er war jahrelang im berühmt-berüchtigten Foltergefängnis auf Guantanamo inhaftiert gewesen – neben Männern, die weder mit den Taliban noch mit Al-Qaida etwas zu tun hatten und meist einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen waren.
Der Kreislauf der Gewalt wird nun von den Taliban fortgeführt. Vor allem die Afghanen, die damals zu ihrem Sturz beitrugen oder sie in den letzten Jahren bekämpft haben, sollen dafür jetzt den Preis zahlen. Deshalb sind die Taliban seit ihrer Rückkehr vor allem mit einer Sache beschäftigt: Dem Wiederaufbau ihres totalitären Emirats, einer Diktatur, in der nur sie das Sagen haben. Wer sich dagegen stellt, wird gejagt, verhaftet, gefoltert oder getötet.
"Menschen sitzen aufgrund von Facebook-Kommentaren monatelang im Gefängnis und werden misshandelt“, erzählt Mohammad Nabi aus der Provinz Baghlan. Auch er selbst wird in anderen Landesteilen von den Taliban gesucht. Bis August 2021 diente Nabi, der heute 27 Jahre alt ist und im Untergrund lebt, der afghanischen Armee als Elitesoldat. "Ich habe im Kampf viele Taliban getötet. Man wird mir nicht vergeben“, resümiert er. Von den Gräueltaten, die sich in den Taliban-Kerkern abspielen, erfuhr er durch einen Nachbarn. Einst war dieser für den NDS (National Directorate of Security), den Geheimdienst der gestürzten Kabuler Regierung tätig.