Ägyptischer Großmufti: „Wir sind im intellektuellen Krieg mit radikalen Ideen"

Ägyptens oberster islamischer Rechtsgelehrter, Großmufti Shawki Allam (55), hält Papst Franziskus für eine "historische Figur". Dieser habe ein starkes Interesse, auf die muslimische Welt zuzugehen. Den Terror hält er für „kein islamisches Problem“.

Eminenz, haben Sie Papst Franziskus schon persönlich getroffen?

Allam: Ja, ich hatte 2013 die Gelegenheit, seine Heiligkeit Papst Franziskus persönlich zu treffen - ein paar Monate, nachdem er zum Oberhaupt der katholischen Kirche gewählt worden war.

Was halten Sie von ihm? Ist er eine historische Figur?

Allam: Ich schätze Papst Franziskus absolut als wichtige historische Figur ein. Seine Ideen und Initiativen - etwa für einen besseren Dialog der Religionen - sind dringend notwendig. Er hat ein starkes Interesse, auf die muslimische Welt zuzugehen.

Wie würden Sie das Entwicklungsstadium des Islam bezeichnen? Braucht der Islam oder die islamische Glaubenslehre eine Reformation, wie sie die katholische Kirche brauchte? Oder haben die gegenwärtigen terroristischen Auswüchse mit dem Islam gar nichts zu tun?

Allam: Als Muslime sind wir immer aufgefordert, die Grundsätze unseres Glaubens zu erfüllen. Wir sollten nicht den Glauben für die Praxis modifizieren. Der Glaube sollte der moralische Kompass sein. Unabhängig davon, welche religiösen Begründungen Extremisten anführen: Sie haben nichts mit dem eigentlichen Verständnis des Glaubens zu tun.

Braucht es dennoch eine Art Reformation?

Allam: Das Glaubensverständnis von Muslimen aus der Vergangenheit muss an die Notwendigkeiten und Umstände unserer Zeit angepasst werden. Aber dies kann nicht durch selbst ernannte religiöse Autoritätspersonen ohne akademische Qualifikation geschehen, sondern nur durch glaubwürdige Stimmen mit Autorität. So wird sichergestellt, dass wir den reinen Glauben bewahren, der uns von Gott gegeben wurde.

Wie lange wird uns der gewalttätige Islamismus noch begleiten: Jahre, Jahrzehnte, vielleicht das ganze 21. Jahrhundert?

Allam: Das hängt von der Ernsthaftigkeit der Weltgemeinschaft ab, mit diesem Terror, diesem Unsinn umzugehen. Es kommt darauf an, wie entschieden alle im Kampf dagegen zusammenstehen. Wenn wir ernst machen würden, könnten wir dem Ganzen umgehend ein Ende setzen.

Die globalen Medien sollten zum Beispiel den radikalen Gruppierungen keine Publicity mehr geben, indem sie Bilder von Selbstmordattentätern und Terroristen auf den ersten Seiten zeigen.

In mehreren islamischen Ländern haben Christen einen schweren Stand oder werden von Islamisten sogar regelrecht verfolgt, zum Beispiel in Saudi-Arabien, Pakistan und Iran. Warum verhalten sich islamische Staaten oft so intolerant gegenüber anderen Glaubensauffassungen?

Allam: Diese Frage müssten Sie direkt an die genannten Länder richten. Von einem religiösen Standpunkt aus ist es aber wichtig, fair und ein guter Mensch gegenüber allen anderen Menschen zu sein, unabhängig von deren ethnischem oder religiösem Hintergrund.

Sie sind einer der wohl einflussreichsten Muslime der Welt. Sie haben die terroristischen Anschläge in Paris und anderswo als sinnlose und feige Taten bezeichnet. Dennoch finden fast wöchentlich weltweit tödliche islamistische Selbstmordattentate statt. Haben Sie nicht manchmal das Gefühl, dass Ihre Worte ins Leere gehen?

Allam: Nein. Ich fühle mich auch nicht hilflos. Verurteilung der Terroranschläge ist längst nicht alles, was wir tun. Wir haben auch eine Reihe korrektiver und präventiver Initiativen ergriffen.

Wir beobachten das Auftauchen radikaler Ideen 24 Stunden am Tag und 7 Tage die Woche und versuchen gegenzusteuern. Letztlich befinden wir uns in einer Art intellektuellem "Krieg" mit radikalen Ideen.

Aber lassen sie mich zur Frage nach den Terrorakten sagen, dass dies kein islamisches Problem ist. Die Geschichte ist Zeuge einer großen Zahl solcher Vorfälle, aber sie haben nichts zu tun mit religiösen Praktiken oder Werten." (KNA)