Die gegenwärtige ägyptische Regierung setzt alle ihr zur Verfügung stehenden Medien ein, um ihre Gegner systematisch zu diskreditieren und zum Hass gegen sie aufzurufen. Dabei macht sie keinen Unterschied zwischen Revolutionären, Mitgliedern früherer Regimes oder Angehörigen der militärischen Elite: Zur Zielscheibe werden alle, die sich kritisch äußern, abweichende Meinungen vertreten oder das Regime herausfordern.
Daher sperrt die Regierung ihre Kritiker nicht nur ein, lässt sie verschwinden, belegt sie mit Reiseverboten oder friert ihre Vermögen ein, sondern überzieht sie auch mit Diffamierungskampagnen. Sie lässt Informationen "durchsickern" und veröffentlicht persönliche Telefongespräche. Diese werden dann von ihren Verbündeten in den Medien aufgegriffen und dazu verwendet, gegen die Zielpersonen zum Hass aufzurufen und sie zu diskreditieren.
Warum greift das Regime seine Gegner auf solche Weise an? Und nach welchen Kriterien werden die Opfer ausgewählt? Auf diese wichtige Frage gibt es unterschiedliche Antworten:
Zum einen sieht die Regierung beflissentlich davon ab, manche einflussreichen Regimekritiker einzusperren, da sie auf internationaler Ebene zu bekannt sind. Kämen sie ins Gefängnis, würde dies im Ausland zu viel Aufmerksamkeit erregen. Die Unruhe, die die internationalen Medien im Fall ihrer Verhaftung verbreiten würden, könnte dem Regime lästig werden.
Zweitens könnte es sein, dass die Regierung keine andere Möglichkeit mehr sieht, als ihre Kritiker mit derart unmoralischen Mitteln zu tyrannisieren. Vielleicht hat sie keine ausreichenden Beweise, die eine Verhaftung rechtfertigen würden – auch wenn viele glauben, sie sei durchaus in der Lage, gegen jeden Gegner, den sie einsperren will, eine beliebige Anklage zu erfinden.

Kein Spielraum für politischen Dissens
Drittens ist Rufmord gegen Verteidiger der Menschenrechte und die ägyptische Opposition – insbesondere gegen Frauen – eine sehr effektive Waffe. In einer konservativen Gesellschaft führen solche Diffamierungskampagnen dazu, dass die Glaubwürdigkeit des Opfers beeinträchtigt oder herabgesetzt wird – sogar wenn es sich bei den publik gemachten, angeblichen Verfehlungen um reine Privatangelegenheiten handelt.
Sperrt man solche Aktivisten einfach rigoros ein, könnte sie das zu Helden oder Märtyrern machen. Stellt man hingegen ihren Ruf systematisch in Frage, zerstört das ihre Legitimität und mit ihr diejenige der gesamten Aktivisten der ägyptischen Januar-Revolution.
Um zu verhindern, dass die zentralen Symbole und Führungspersonen der Januar-Revolution die Gesellschaft zu stark beeinflussen, eröffnet ihnen die Regierung keinerlei Spielraum. Dies ist eine wichtige Lektion, die das Regime aus den damaligen Aufständen und der relativ nachgiebigen Reaktion Mubaraks im Verlauf des Aufstands von 2011 gelernt hat.

Daher wird sie auch solche Stimmen nicht zulassen, die ein freies politisches Klima fordern, wie während und kurz nach den Aufständen vom Januar 2011. In den diversen staatlich kontrollierten Medien kommen stattdessen nur heuchlerische Stimmen zu Wort, die im Dienste des Regimes Informationen verfälschen und die öffentliche Meinung gezielt beeinflussen.
Anschwärzen mit System
Aus welchen Gründen auch immer: Noch nie zuvor wurde in Ägypten die Waffe des Rufmords und der Diskreditierung politischer Opponenten von einer Regierung so bewusst eingesetzt wie heute. Dies lässt die politische Führung in einem äußerst schlechten Licht erscheinen. Es ist kein Zeichen von Stärke, sondern von Schwäche. Seine Kritiker auszuspionieren oder private Telefonate aufzuzeichnen und zu veröffentlichen, ist ein äußerst miserabler Stil.
Die letzte Frage ist, ob die ägyptische Öffentlichkeit diese Taktiken eines Tages wirklich durchschauen kann. Wird sie erkennen, dass solche Regimes, die in die Privatsphäre ihrer Gegner eindringen und sie ausspionieren, verachtenswert sind – und unfähig, die Opposition mit ehrenhaften Mitteln herauszufordern, nämlich auf der Grundlage von Logik und Fairness? Es wäre zu wünschen, dass die Regierung den politischen Einwänden ihrer Kritiker auf vernünftige, respektvolle und direkte Weise begegnen würde, ohne auf Täuschung oder Fälschung zurückgreifen zu müssen.
Esraa Abdel Fattah
© Open Democracy 2018
Übersetzt aus dem Englischen von Harald Eckhoff
Leserkommentare zum Artikel: Rufmord als politische Waffe
Frau Wecker, einerseits sagen Sie, dass die Liberalen oder Linken für die heutige missliche Situation verantwortlich sind, andererseits loben Sie das Militär und Diktator El-Sisi als Bollwerk der Stabilität und legitime Regierung. Ist das nicht ein Widerspruch? Fakt ist, dass die sog. "Tamarrod"-Bewegung, die von der Armee hinter dem Rücken der Demokratie-Aktivisten initiiert wurde, den liberalen Kräften den Garaus gemacht hat. Dargestellt wurde es anfangs - fälschlicherweise - im Westen, es handle sich um eine demokratisch gesonnene Bürgerbewegung gegen die Muslimbrüder. Real war es die Armee und Ägyptens "tiefer Staat". Die Linke oder die Pioniere der Revolution wurden schon zu einem recht frühen Zeitpunkt mundtot gemacht. Selbst solchen Personen wie Hamdeen Sabahi und Mohammed ElBaradei wurde gedroht, ihre Kandidaturen zurückzuziehen bzw. sich nicht zu gewichtig in die Belange des vom Militär dominierten Staatsapparats einzumischen. ElBaradei hat daraus die Konsequenzen gezogen und nahm den Hut. Der Rest ist bekannt.
Dirk Ganzel30.01.2018 | 09:56 UhrIch bitte Sie! Das Problem der Linken und Liberalen fing doch schon viel früher an, eigentlich sofort nach dem Rücktritt Mubaraks. Ich war die ganze Zeit in Ägypten und konnte das Drama vor Ort, diese endlosen rednerischen Scharmützel, täglich im Fernsehen verfolgen. Keiner von ihnen, auch nicht Herr Baradei, auf den ich meine ganze Hoffnung gesetzt hatte, war in der Lage persönliche Eitelkeiten dem Gemeinwohl unterzuordnen. Und ich lobe niemanden oder verharmlose niemanden, aber ich bin ein Realist der die ägyptischen Realitäten recht gut kennt. Mir wäre auch eine wunderbare Demokratie lieber als alles andere. ABER: wo soll die denn bitteschön herkommen wenn über 90 Prozent der Bevölkerung jegliche politische Bildung (andere übrigens auch - und das ist kein Vorwurf sondern ebenfalls leider Realität) fehlt? Und auch da haben die Liberalen und Linken und alle völlig versagt: Ich habe wiederholt mit Politikern und Parteiangehörigen verschiedenster Couleur in meinem Umfeld gesprochen und sie angefleht doch endlich auf die Dörfer zu gehen und die Menschen politisch zu bilden und ihre Programme zu erörtern. Fehlanzeige bis heute!!! Programme??? Wo waren die? Alles nur Theater! Die sitzen alle schön in Kairo und gehen unter in Palaver und Schuldzuweisungen. Was Tamarod angeht: schön dass Sie genau wissen wie das damals funktioniert hat. Ich habe persönlich eine Woche lang auf der Strasse gestanden und gegen Mursi demonstriert als er Ahmed Al Khayat als Gouverneur in Luxor inthronisieren wollte. Mein Fazit: Die Menschen sind nicht wegen Tamarod (oder wem auch immer dahinter wie Sie sagen) auf die Strasse gegangen, die hatten die Nase voll vom Islamistenkurs! Der sie unweigerlich völlig in den Abgrund geführt hätte. So blöd sind die Leute nicht!!! Ich sage es noch einmal, wenn die Liberalen sich auf einen Präsidentschaftskandidaten geeinigt hätten, gäbe es die heutige Situation nicht. Ich finde es unglaublich (ich wiederhole mich) wie Westler, die wahrscheinlich allesamt niemals länger in diesem Land gelebt haben, sich anmaßen zu beurteilen was für Ägypten das Beste sei.
Ingrid Wecker31.01.2018 | 17:08 UhrDie Opposition war ein Desaster. Und HIER hätten die Europäer, die ach so interessiert sind an dem Land, wirklich unterstützen können. Nicht, indem sie auch noch den letzten Selbstdarsteller vors Mikrophon zerren, sondern indem sie helfen, politische Bildung aufzubauen und demokratische Strategien zu entwickeln.
Hanya Dikaton01.02.2018 | 10:19 UhrDemokratie ist mehr als nur den Präsidenten zu wählen, der dann gefälligst alles richtet. Demokratie ist Teilhabe und Mitverantwortung, folglich KANN - zumindest in einer echten Demokratie - kein Präsident ein Land einfach mal so in den Abgrund führen. Auch ein Mursi nicht.
Ein halbes Jahr nach dem Putsch wäre eigentlich Wahltermin gewesen! Und es hätte genügt, diese Wahren auch umzusetzen, dann wäre sichtbar geworden, dass die Muslimbrüder massiv an Zustimmung verloren hätten, um ein deutliches Zeichen zu setzen. Alle die, die gegen sie demonstriert haben, hätten sie auch abwählen können.
EINEN Vorteil hätte die gewählte Regierung der Muslimbrüder gehabt: Sie wollte und musste um internationale Anerkennung kämpfen, sie brauchte schließlich genau wie Sisi Geld. Und eine solidarische Welt hätte ihnen - unter klaren Bedingungen - Geld gegeben. Die Muslimbrüder wären zähmbar gewesen. Sisi kann machen, was er will, und kriegt seine Finanzspritzen trotzdem.
Liebe Frau Dikaton! Wir beide sind uns glaube ich im Prinzip ziemlich einig... Und auch Sie sagen ja dass die Opposition ein Desaster war. Danke dafür, also bin ich doch noch nicht ganz verblödet. Allerdings, in einer Sache gebe ich Ihnen nicht ganz Recht: Es war ja im Fall Mursi natürlich nicht so, dass der Präsident ein Land in den Abgrund geführt hätte. Dazu war Mursi selbst - auch intellektuell - nämlich in keinster Weise in der Lage. Aber vergessen Sie nicht: Mursi war nur eine Marionette für Al Shater und Badie und einige andere, und diese Leute waren wirklich gefährlich. Al Shater hat dem damaligen Verteidigungsminister Sisi offen mit Krieg und Bürgerkrieg gedroht, falls Mursi nicht Präsident wird und falls es nicht so läuft wie die Brüder wollen. Und ich glaube auch nicht dass man die Muslimbrüder hätte zähmen können wie Sie sagen. Auch ich war so naiv zu glauben, dass die Herrschaften moderat geworden seien mit der Zeit. Ich hatte mich völlig geirrt. Ich weiß nicht ob Sie zu der fraglichen Zeit in Ägypten waren, ich war es. Der Würgegriff der Islamisten wurde täglich schlimmer, sie hatten es geschafft innerhalb kürzester Zeit alle halbwegs strategisch wichtigen Stellen mit ihren Leuten zu besetzen, es sprießten auch genauso schnell die Bärte und die Zahl der vollverschleierten Frauen nahm drastisch zu. Die Lautsprecher der Moscheen wurden täglich lauter, die Predigten immer aggressiver. Verbale Ausfälle gegen Ausländer waren an der Tagesordnung, ich habe es selbst erlebt. Die Parlamentsdebatten dieser Tage erinnerten in Aussehen und Aussagen mehr einem Planeten der Affen als einem ernstzunehmenden Gremium. Alle 5 Minuten schrie einer Allahu Akbar und oder "jetzt müssen wir beten gehen". Das war selbst oft Parlamentschef Katatny zuviel. Der bekannte Schauspieler und Komiker Adel Iman, den die Islamisten übrigens der Gotteslästerung angeklagt hatten wie so viele andere, sagte einmal: "ich habe gedacht ich wäre ein guter Komiker. Wenn ich mir die Parlamentsdebatten anschaue, muss ich sagen: Die sind besser! Das ist Komik pur. Wenn es nur nicht so verdammt ernstgemeint wäre..." Und vergessen Sie nicht die Tausenden von freigelassenen Islamisten dieser Zeit und die teils wirklich offenen Waffentransporte aus Libyen nach Ägypten oder durch Ägypten auf den Sinai oder in den Gaza-Streifen. Von diesen Waffen "leben" heute noch die dort agierenden Terroristen.Ne, so einfach war das nicht diese Brüder - auch wegen ihrer international besten Verbindungen - zu zähmen...
Ingrid Wecker01.02.2018 | 13:40 UhrSeiten