Monotheismus als Sackgasse?

Der arabische Dichter Adonis engagiert sich seit langem für den Dialog zwischen Orient und Okzident. Auf Einladung des Vereins "West-Östlicher Diwan" referierte Adonis jüngst seine Thesen zur Kritik des monotheistischen Religionsverständnisses in Berlin. Von Ariana Mirza

Der arabische Dichter Adonis engagiert sich seit langem für den Dialog zwischen Orient und Okzident. Auf Einladung des Vereins "West-Östlicher Diwan" referierte Adonis jüngst seine Thesen zur Kritik des monotheistischen Religionsverständnisses in Berlin. Von Ariana Mirza

Der Beziehungen zwischen Völkern dürften weder auf wirtschaftlichen noch auf militärischen Interessen beruhen, fordert der syrische Dichter Adonis. "Stattdessen muss die Kultur Grundlage jeden Dialogs sein."

Der syrisch-libanesische Lyriker lebt seit 1985 in Frankreich und ist ein "homo politicus". Mit provokanten Thesen mischt sich Adonis in gesellschaftliche Debatten ein und gilt als radikaler Modernist. Seinem Ruf als undogmatischer Denker wurde der 77jährige Intellektuelle auch in einem Vortrag zur Kritik des monotheistischen Religionsverständnisses gerecht, den er jüngst in Berlin hielt.

Monotheismus und geschlossene Tore

Geschlossene Tore seien ihm ein Graus, bekennt der Lyriker Adonis schon zu Beginn seines Referats. Und als eben solche "geschlossenen Tore" empfände er die Gesellschaftsmodelle der drei monotheistischen Religionen, Islam, Christentum und Judentum. "Der Monotheismus hat die Welt reduziert; er hat sie beschränkt und eingegrenzt."

Doch seine Kritik, so betont der arabische Intellektuelle wiederholt, beziehe sich ausschließlich auf die Institutionalisierung monotheistischer Systeme. Der persönliche Glaube hingegen sei ein Anrecht des Einzelnen und daher nicht in Frage zu stellen.

Was Adonis jedoch rigoros in Frage stellt und ebenso deutlich verneint, ist der Absolutheitsanspruch, aufgrund dessen eine einzelne Religion das gesamte Gesellschaftssystem bestimmt.

Keine Demokratie in einem "Religionsstaat"

Dem Berliner Publikum skizziert er eine für ihn alptraumhafte Vorstellung: Eines nicht allzu fernen Tages könnten sich die Staaten dieser Welt einzig über die Religionszugehörigkeit der Mehrheit ihrer Bevölkerung definieren.

Wenn es dann nur noch muslimische, christliche und einen jüdischen Staat gäbe, so habe die Vernunft verloren, befürchtet Adonis. Denn ein "Religionsstaat" könne nicht gleichzeitig demokratisch sein. Als Beispiel für eine solche Diskrepanz nennt der Dichter den Staat Israel.

In dessen Deklaration als "jüdischer Staat" sieht er einen eklatanten Widerspruch zum Anspruch eines demokratischen Staates, alle Bürger unabhängig ihres persönlichen Glaubens zu vertreten.

Doch auch die arabische Kultur müsse sich wieder weiter von der Religion emanzipieren, fordert Adonis. Im Gegensatz zu vergangenen Jahrhunderten, in denen arabische Wissenschaftler, Philosophen und Literaten der Welt etwas geschenkt hätten, seien in den letzten Jahrzehnten keinerlei nennenswerte Impulse aus diesen Ländern hervorgegangen.

Regression und Rückschritt

Stattdessen sei eine Erstarrung und Rückwärtsgewandheit zu beobachten. Für Adonis ist dies eine Folge der fortschreitenden gesellschaftlichen Institutionalisierung der Religion.

Überdies seien die Absolutheitsansprüche der drei monotheistischen Religionen maßgeblicher Faktor für gegenwärtige kriegerische Auseinandersetzungen und Konflikte. "Jerusalem sollte die Stadt sein, die am friedvollsten ist, doch das Gegenteil ist der Fall."

Im Berliner Publikum stößt Adonis Kritik an den Auswirkungen des monotheistischen Religionsmodells weitgehend auf Zustimmung. Die Freiheit des Denkens sei Wurzel jeder Kreativität und jeden Fortschritts, heißt es vielfach, sie dürfe nicht durch religiöse Dogmen beschränkt werden.

Säkularismus als mühevoller Prozess

Und ein arabischer Zuhörer meint, "der Verstand ist unser höchstes Gut. Wir müssen für eine Entwicklung eintreten, in der er zum alleinigen Maßstab von Entscheidungen wird." Die Trennung von Staat und Religion sei ein mühevoller Prozess, der immer wieder umkehrbar sei, entgegnet ein anderer Diskussionsteilnehmer, auch das Christentum und das Judentum seien historisch durch eine solche Verquickung geprägt.

"Sobald wir anerkennen, dass wir alle zufällig in eine dieser drei Religionen hinein geboren werden, wäre das schon ein großer Fortschritt", sagt ein libanesischer Künstler, als er den Saal verlässt.

Ariana Mirza

© Qantara.de 2008

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