Einfach einfacher

Die deutsche Sprache soll vereinfacht und für alle zugänglicher gemacht werden. Dann würde es auch mit der Integration klappen, meint Abbas Khider. Seine Vorschläge klingen zunächst sonderbar, sie sind es aber nicht. Ein Buch für Grammatikliebhaber. Von Swantje Schütz

Von Swantje Schütz

Nur 122 Seiten hat Deutsch für alle. Das endgültige Lehrbuch von Abbas Khider. Aber es enthält so viel Grammatik, dass Nicht-Grammatikfans vermutlich auch keine weitere Seite lesen würden. Liebt man die Regeln und die Feinheiten von Sprache, dann ist Khiders Versuch, die deutsche Sprache zu vereinfachen und zu erneuern, ein spannendes Büchlein.

Er tut dies übrigens aus Eigennutz: um seine "linguistischen Traumata" zu bewältigen. Zum Glück und besseren Verständnis führt er ausreichend Beispielsätze an, so dass man seinen Ideen zumindest gut folgen kann.

Was sind die Hauptprobleme der deutschen Sprache, die Khider wie ein Ungeheuer vorkommt? Er meint damit "nicht nur die heimtückischen Artikel, die gefährlichen Deklinationen, auflauernden Verbreflexionen und die Stolperfallen der Verbposition, sondern auch den Kasus des Dativs und Genetivs, die unzähligen Pronomen und Präpositionen, unregelmäßigen und trennbaren Verben, die Umlautbuchstaben und viele andere seltsame sprachliche Eigenheiten."

Unbesiegbar: die Umlaute

Abbas Khider wurde 1973 in Bagdad geboren und dort als Neunzehnjähriger wegen politischer Aktivitäten verhaftet. Er floh 1996. Bevor er im Jahr 2000 nach Deutschland kam, war er als illegaler Flüchtling in verschiedenen Ländern unterwegs.

Buchcover Abbas Khider: "Deutsch für alle. Das endgültige Lehrbuch" im Hanser-Verlag
Komplexes Sprachungeheuer: Der Autor hat Humor, sein Text besitzt einen angenehm sarkastischen Unterton. Der Leser schätzt sich während der Lektüre entweder unendlich glücklich, weil Deutsch die Muttersprache ist und man sich den Leidensweg Khiders ersparen kann. Oder die Leserin kämpft selbst mit dem Spracherwerb und nickt permanent zustimmend, weil sie die deutsche Sprache am liebsten zum Teufel jagen würde.

In seiner irakischen Heimat wurde ihm seinerzeit ein Studienfach zugewiesen, viel lieber hätte er jedoch Literatur studiert. Das holte Khider in Deutschland nach, nur musste er erst einmal – logisch – die Sprache so gut erlernen, dass er an die Universität konnte.

Dort belegte er die Fächer Komparatistik und Neuere Deutsche Literatur sowie Philosophie.

Er kann mittlerweile zurecht von sich behaupten, einem perfekten Deutsch recht nahe gekommen zu sein. Aber "die Umlaute Ä, Ö und Ü haben es bislang geschafft, sich meiner Kontrolle zu entziehen. Diese waren und sind meine größten Feinde auf Erden, was die Aussprache betrifft."

Das, was er nun vorschlägt, ist durchaus verständlich: "Ali Baba ist sehr glücklich, weil er kann verzichten jetzt auf de Verb an de Ende von de Nebensatz."

Keine Ansammlung von Tippfehlern, sondern so gewollt. Ginge es nach Khider, stünde das Verb beispielsweise immer nach dem Subjekt und es gäbe keine Deklinationen mehr, alle Formen der Artikel und Nomina sind unveränderbar.

Geheult wird nicht!

Der Autor hat Humor, sein Text besitzt einen angenehm sarkastischen Unterton. Der Leser schätzt sich während der Lektüre entweder unendlich glücklich, weil Deutsch die Muttersprache ist und man sich den Leidensweg Khiders ersparen kann.

Oder die Leserin kämpft selbst mit dem Spracherwerb und nickt permanent zustimmend, weil sie die deutsche Sprache am liebsten zum Teufel jagen würde.

Bei Khider flossen, so schreibt er jedenfalls, die Tränen: "Deutsche Paragrafen und deutsche Grammatik haben etwas gemeinsam: Sie sind zum Heulen. Beide Themenfelder haben mich im Laufe der Jahre an den Rand des Wahnsinns gebracht und mehr Tränen vergießen lassen als manch schreckliche Erfahrung während meiner Flucht."

Aber die Mühe hat sich gelohnt: Auf seinen 39 Wörter umfassenden Bandwurmsatz auf Seite 27 kann der Autor stolz sein, er ist so wunderbar deutsch, lang und kompliziert. Wer einen derartigen Satz schreibt, der ist angekommen.

Nur für Fortgeschrittene

In seiner Vorbemerkung jedenfalls schreibt der Autor: "Dies Büchlein ist ernsthafter sprachwissenschaftlicher Schwachsinn" – stimmt. Aber es ist witzig. Allerdings ist es Sprachschülern zu Beginn ihrer Deutschkarriere nicht zu empfehlen. Man muss sich schon für Grammatik begeistern können und den harten Weg des Spracherwerbs erfolgreich gegangen sein, um das Buch schätzen zu können.

Der offene und schonungslose Umgang mit dem Subthema des Buches ist aber allemal lesenswert. Es geht um Politik im weitesten Sinne, um fragwürdige deutsche Verhaltensweisen und Bürokratie, Flüchtlinge und Ausländerfeindlichkeit.

Der Autor wünscht sich, "dass zumindest einige Sprachschulen des Landes ein paar Ideen meiner Aufarbeitungen ernst nähmen, besonders das Goethe-Institut und die Volkshochschulen." Lieber Herr Khider, wir geben es gern im Haus an die entsprechenden Stellen weiter …

Swantje Schütz

© Goethe-Institut 2019

Abbas Khider: "Deutsch für alle. Das endgültige Lehrbuch", Hanser-Verlag, München 2019, 122 Seiten, ISBN 978-3-446-26170-9