Donnerstag, 27. März 2003 22:53

Lieber Michael, die Amerikaner haben keine Zeit verloren. Sie haben den Krieg gleich nach Ablauf des Ultimatums begonnen. Seitdem hängen die Menschen hier im Libanon vor ...

Lieber Michael,

die Amerikaner haben keine Zeit verloren. Sie haben den Krieg gleich nach Ablauf des Ultimatums begonnen. Seitdem hängen die Menschen hier im Libanon vor dem Fernseher; die Taxifahrer, mit denen ich zur Zeitung fahre, erwarteten anfangs von einem Journalisten wie mir, er könne ihnen sagen, welche Auswirkungen dieser Krieg für den Libanon haben werde. Ein neurotischer Schriftsteller meinte zu mir, das hätte bestimmt schädliche Folgen für seinen Berufsstand. Jetzt fragen die Taxifahrer mich nicht mehr, stattdessen sind sie es, die mich über die Verluste der Amerikaner informieren. Vor dem Fernseher sind sie in ihrer Phantasie zu Kämpfern geworden, die den Briten und Amerikanern weitere Verluste an Menschenleben zufügen. Ich glaube nicht, dass sie daran denken, den Krieg gewinnen zu können, so weit geht ihre Illusion sicherlich nicht. Die Menschen hier führen nicht nur die Kriege, von denen sie hoffen, sie könnten sie gewinnen. Ihrer Ansicht nach verdienen auch verlorene Kriege Mut und Begeisterung, sie fragen nicht mehr, was der Mut bringt, denn sie haben sich daran gewöhnt zu verlieren. Was sie wollen, ist ein bisschen Würde. Den Algerienkrieg einmal ausgenommen, haben sie immer verloren, und meistens waren amerikanische Waffen eine Ursache ihrer Niederlage. Sie haben sich auch daran gewöhnt, ohne Hoffnung zu kämpfen, das haben sie schon in Palästina getan und tun es eben jetzt im Irak.

Heute erleben sie ihre tiefste Niederlage, dabei wissen sie, dass die Amerikaner sie in erster Linie angreifen, weil sie sie für schwach halten, und weil sie – die Amerikaner – denken, dass sie im Irak zu einem denkbar niedrigen Preis erfolgreich ihre Macht demonstrieren können. Am Irak können sie rächen, was ihnen die afghanische al-Qaida angetan hat. Die Amerikaner haben erfolglos versucht, eine Verbindung zwischen Afghanistan und dem Irak nachzuweisen, doch die Zuschauer brauchen keinen großen Beweis. Die Welt des Bösen und der Finsternis zeichnet sich immer durch Verschwörung und Intrigen aus, und erst nach dem Beschuss mit Bomben werden die Bösen uns einen ausreichenden Beweis liefern. In der alttestamentarischen Vorstellung und der Fiktion des Kinos braucht man keinen Beweis für das Böse. Saddam Hussein hat die Amerikaner auf Knien angefleht und war zu jedem Zugeständnis bereit, um seinen Kopf zu retten. Er war nicht nur bereit, seine Massenvernichtungs- und sonstigen Waffen zu zerstören, sondern Reformen unterschiedlichster Art durchzuführen und sich von einem schrecklichen Diktator in einen Agenten des amerikanischen Westens zu verwandeln. Doch die Amerikaner hatten es auf seine Niederlage auf dem Feld abgesehen, sie wollten hierher kommen, nicht nur wegen des Öls, sondern auch, um das Böse des arabischen und islamischen Anderen zu umzingeln.

Später dann muss man noch einen Weg finden, den anderen, kleineren bösen Staat Korea einzukreisen. Nur beim Anderen stellen die Massenvernichtungswaffen eine Gefahr dar, in der Hand des Westens und Israels sind sie ein Werkzeug des Guten. Das alles braucht selbstverständlich keinen Beweis, es braucht eine Vision: Die Bombardierung des Iraks und seine Niederlage sind eine solche Vision.

Ich meinerseits hätte einen raschen Krieg vorgezogen, ich hätte mir gewünscht, dass niemand wegen eines Diktators wie Saddam Hussein sterben müsse. Ich habe einen Artikel geschrieben mit dem Titel „Soll er doch allein unterliegen“, doch viele denken, dass man diesen Krieg führt, weil man den Irak und die Araber allgemein für schwach hält. Darin steckt eine weitere Demütigung für ein Volk, das sich selbst ständig als Freiwild empfindet, das durch kein Recht geschützt wird. Kein Gesetz hält die Israelis davon ab, Menschen unter den Trümmern von Häusern zu begraben, ebenso wie kein Recht die Amerikaner davon abhält.

Die Menschen hassen Saddam Hussein, doch ebenso wenig haben sie Vertrauen in die Vereinigten Staaten. Wie man die Sache auch betrachtet, man kann im ersten verbrannten amerikanischen Panzer nur ein Symbol für die Blindheit der Macht und eine Strafe für die amerikanische Arroganz sehen. Dadurch empfinden die meisten Araber ihre Niederlage als erträglicher und ihre Schwäche als geringer. Bisher scheint der Ausgang des Krieges von vorneherein entschieden, doch was, wenn die Amerikaner im Verlauf des Krieges schwere Verluste erleiden sollten? Was wäre, wenn das amerikanische Volk verstehen würde, dass es keinen Übergriff gibt, für den man nicht einen Preis zahlen müsste? Wenn sie bedenken würden, dass die Welt nicht ohne Grund gegen diesen Krieg ist, dass der Teufel, den Bush sieht, nicht wirklich existiert, und dass man die Führung eines Landes nicht jemandem anvertrauen kann, der vorgibt, eine religiöse Vision zu haben?

Ich war für einen raschen Krieg, denn ich kann es weder akzeptieren, dass Iraker, noch dass Amerikaner sterben. Doch der Widerstand wird beweisen, dass die Politik Bushs keine Vision sondern Dummheit ist und dass es eine große Anmaßung bedeutet, wenn man Macht mit göttlicher Führung, dem Gutem und der Weisheit gleichsetzen will. Würde man das einsehen, wäre damit sicherlich Amerika und der Welt gedient.

Abbas Beydoun

Übersetzung aus dem Arabischen: Michaela Kleinhaus