Zwischen Politik und Unterhaltung

40 Filme stehen zur Auswahl, neun davon laufen im Wettbewerb. Trotz des "Falls Deniz Yücel" - die Veranstalter wollen der Politik nicht die Hauptrolle einräumen. Das Festival versteht sich auch als Brückenbauer. Von Jochen Kürten

Von Jochen Kürten

In diesen Tagen fällt es natürlich schwer, bei einer derartigen Kulturveranstaltung den Blick von der Politik abzuwenden. Der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel sitzt seit Tagen in Istanbul in Haft. Deutsche Politiker bis hin zu Kanzlerin Angela Merkel und Präsident Joachim Gauck protestierten dagegen. Der "Fall Yücel" stellt eine weitere Belastungsprobe im ohnehin schwierigen Verhältnis beider Länder dar. Davon ist auch die 22. Ausgabe des türkisch-deutschen Filmfestivals betroffen, das an diesem Samstag beginnt.

Von einem Kulturfestival, bei dem es ja dezidiert um die Türkei und Deutschland geht, erwartet man natürlich eine Reaktion. "Wir verstehen uns nicht als politische Agitatoren", bemerkte Adil Kaya, Präsident des "Filmfestivals Türkei Deutschland" (4.3.- 12.3.) in Nürnberg, schon bei der Programm-Pressekonferenz vor ein paar Tagen. Yücel befand sich zu diesem Zeitpunkt schon in Polizeigewahrsam in der Türkei, ein paar Tage später wurde von den Behörden Untersuchungshaft angeordnet.

Filmfestival will Politik und Kunst beachten

Kann ein Filmfestival den Blick von diesen Ereignissen abwenden? "Das Filmfestival plant zu den aktuellen Geschehnissen in der Türkei keine Sonderaktionen. Würden wir dies tun, gäbe es keinen Platz mehr für Filme", teilte das Festival auf Nachfrage gegenüber der Deutschen Welle mit, fügte jedoch hinzu: "Wir machen aber ein Filmfestival, auf dem die Filme und die Künstler mit ihren Aussagen im Mittelpunkt stehen. Die Kunst und die Künstler haben auf unserem Festival Meinungsfreiheit. Wir können es leider mit der Dynamik der Tagesthemen nicht aufnehmen."

Filmstill aus "Seerosen im Wind"; Foto:Filmfestival Türkei
Alltagswelten in der Türkei: Das 22. Filmfestival Türkei Deutschland gewährt Einblicke in zwischenmenschliche Beziehungen im Kontext der türkischen Gesellschaft. Der Film „Seerosen im Wind“ erzählt die Geschichte einer Familie, die verlernt miteinander zu reden, sich nahe zu sein, oder sich überhaupt füreinander zu interessieren. Um der Leere zu entfliehen träumt Mutter und Ehefrau Handan davon, sich in einem eigenen Café oder als Schriftstellerin selbst zu verwirklichen.

Das Festival beobachte "aber mit tiefster Sorge (…), wie Intellektuelle, Akademiker oder Journalisten in der Türkei seit Jahren eingeschüchtert und sogar monatelang ohne Gerichtsprozesse eingesperrt werden. Deniz Yüksels Fall ist nur einer unter vielen. Leider, sein Fall ist 'nur' einer unter zu vielen Fällen, und das auch nicht erst seit ein paar Wochen", - so die Veranstalter in ihrem Statement.

Die Eröffnung am Samstag wurde unterdessen umgestaltet: Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly und der türkische Generalkonsul Yavuz Kül verzichten auf ihre angekündigten Reden. Kommunalpolitiker der Partei "Die Linken" forderten das Festival auf, Kooperationen mit staatlichen Stellen aus der Türkei zu stoppen.

Man wolle beim Festival Künstlern aus beiden Ländern ein Podium geben, um ihr Schaffen und ihre Meinung in Nürnberg zu präsentieren. Unter den Gästen aus der Türkei seien auch Regimegegner, hatte Festival-Chef Kaya vor Tagen während der Programm-Pressekonferenz angekündigt.Es bleibt abzuwarten, ob die Festivalleitung den schwierigen Spagat zwischen Kritik & Engagement auf der einen Seite und dem Blick auf Kunst & Kultur auf der anderen Seite in den kommenden Tagen meistert.

Auch die Stadt Nürnberg will vermitteln

Es ist verständlich, dass nicht das ganze Programm, an dem eine Vielzahl an Regisseuren, Schauspielern und andere Filmschaffende beteiligt sind, ausschließlich in den aktuellen politischen Fokus geraten soll. "Wir versuchen schon immer, dem Festival die höchstmögliche Freiheit zu schaffen - ohne jegliche Repressalien aus welcher Richtung auch immer", so Michael Bader, Leiter des Nürnberger Kunst- und Kulturquartiers. "Wir halten es für absolut wichtig, Kanäle offen zu lassen und nicht zu verstopfen, zu allen Partner des Festivals - und da gehört auch die Türkei dazu.

"Bis zum 12. März will das Festival mit neuen deutschen und türkischen Arbeiten auf das Filmschaffen in beiden Ländern aufmerksam machen. In Deutschland arbeitende Regisseure wie Fatih Akin, dessen neuer Film "Tschick" in einer Nebenreihe läuft, oder Thomas Arslan, dessen Vater-Sohn-Geschichte "Helle Nächte" jüngst bei der Berlinale zur Uraufführung kam, haben türkische Wurzeln.

Der Filmemacher Jürgen Jürgens; Foto: Filmfestival Türkei Deutschland / G.Timpen
Diesjähriger Ehrenpreis für Jürgen Jürgens: Der deutsche Kameramann erhält eine Auszeichnung für seine„außerordentliche cineastische Kontinuität und sein Engagement im türkischen Kino in Zusammenarbeit mit den renommierten Regisseuren des Landes.“ Neben Jürgen Jürgens wurde auch der türkische Fotograph Ara Güler für seine Fotoarbeiten geehrt.

Im Programm laufen aber auch eine Reihe rein türkischer Produktionen neueren Datums wie "Seerosen im Wind" von Seren Yüce oder "Glut" von Zeki Demirkubuz. Erzählt der eine eine eher privat angelegte Familiengeschichte aus dem Istanbul der Gegenwart, schildert der andere einen Konflikt um Arbeitslosigkeit und Abhängigkeiten in der Türkei und Rumänien. Deutschlands TV-Star Veronica Ferres spielt in "Short Term Memory Loss" von Andreas Arnstedt die Ehefrau eines Boxers, der unter Gedächtnisverlust leidet.

Geschichten aus dem Alltag der Türkei

Zwei Künstler mit einem besonders guten Auge sind in diesem Jahr Ehrengäste des Festivals. Ara Güler (*1928), türkischer Fotograf mit armenischen Wurzeln, gilt vielen als wichtigster Vertreter seiner Zunft in der Türkei. Bereits 1961 wählte ihn das britische Magazin "Photography Annual" zu den sieben besten Fotografen der Welt. "Seine Ästhetik war Vorbild für viele Regisseure, nicht wenige Kinofilme haben ihren Erfolg der Inspiration und der Schule von Ara Güler zu verdanken", heißt es von Seiten der Veranstalter in Nürnberg. Dort wird auch die Dokumentation "Eine Legende aus Istanbul" von Osman Okkan gezeigt, die das langjährige Schaffen des Fotografen zeigt.

Auch der deutsche Kameramann Jürgen Jürges ist in diesem Jahr Gast des Festivals und wird mit mehreren Vorführungen seiner Filme geehrt. Jürgens schuf magische Bilder nicht nur für bekannte deutsche Regisseure (für Wim Wenders‘ "In weiter Ferne, so nah" oder für Rainer Werner Fassbinders "Effi Briest"), sondern arbeitete auch für türkische Filmemacher wie Erden Kiral oder Yilmaz Arslan. "Vor einem Jahr schrieben wir an dieser Stelle sinngemäß, dass die Polarisierung und die Zukunftsangst in der Türkei, in Europa oder sonst wo, zur Erosion unserer Werte, auf die wir so stolz sind, führt. Daran hat sich leider nichts geändert. Es ist beängstigender geworden." So steht es im diesjährigen Programmheft des Festivals.

Doch die Veranstalter fragen auch zu Recht: "Man kann sich fragen, warum dann ein Filmfestival gerade in diesen Zeiten?" Und reichen die Antwort direkt hinterher: "Immer wieder sind es Kunst und Künstler, denen es gelingt, eine Brücke zwischen Verzweiflung und Hoffnung zu schlagen. Umso wichtiger ist es, dass wir diese Kunst und Kultur als einen wesentlichen Bestandteil unseres Lebens pflegen. Sie gibt uns die Energie und Kraft und weist den Weg, auch im Dunkel eines Tunnels. Gerade deshalb verdienen Künstler mit ihrem spezifischen Blick auf das Leben immer wieder unsere besondere Aufmerksamkeit."

Jochen Kürten

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