Der US-Krieg gegen den Terror ist allgegenwärtig

Im Krieg geht es nicht nur um physische Gewalt, sondern um die ständige Bedrohung durch Gewalt.
Im Krieg geht es nicht nur um physische Gewalt, sondern um die ständige Bedrohung durch Gewalt.

Die Vereinigten Staaten versuchen ihre Kriegspolitik 20 Jahre nach dem 11. September umzukrempeln. Doch die Behauptung, die Zeit der endlosen Kriege sei vorbei, ist ein Mythos, meint Maha Hilal.

Von Maha Hilal

"Gestern Abend haben die Vereinigten Staaten ihren Einsatz in Kabul nach 20 Jahren Krieg in Afghanistan beendet. Der längste Krieg in der amerikanischen Geschichte." Dies waren die Worte von Präsident Joe Biden am 31. August, einen Tag nachdem die letzten US-Truppen Afghanistan verlassen hatten.

In derselben Rede versicherte Biden jedoch, dass "wir den Kampf gegen den Terrorismus in Afghanistan und anderen Ländern fortsetzen werden. Wir brauchen dafür nur keinen Bodenkrieg zu führen. Wir verfügen über die so genannten Over-the-Horizon-Fähigkeiten, das heißt, wir können Terroristen und Ziele angreifen, ohne dass Amerikaner vor Ort sind. Und wenn nötig, mit nur sehr wenigen Truppen."

Nicht das erste Ende des Krieges

Dies ist nicht das erste Mal, dass der Krieg in Afghanistan "beendet" wurde. 2014 verkündete der damalige Präsident Barack Obama das Ende des Kampfeinsatzes mit den Worten: "Der längste Krieg in der amerikanischen Geschichte kommt zu einem verantwortungsvollen Ende."

Mehr als ein Jahrzehnt zuvor, am 1. Mai 2003, hatte der damalige Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, einer der Hauptverantwortlichen für den Krieg in Afghanistan, das Ende des Kampfeinsatzes in diesem Land erklärt. Wenige Stunden später verkündete George W. Bush das Gleiche für den Krieg im Irak.

Dennoch sind bis heute US-Truppen im Irak stationiert. Obwohl Biden erklärt hat, den Kampfeinsatz dort Ende 2021 beenden zu wollen, schließt das eine militärische Präsenz auch in Zukunft nicht aus - sei es durch Luftangriffe, eine dauerhafte Zusammenarbeit mit den irakischen Streitkräften oder beides.

US-Präsident Joe Biden telefoniert mit Chinas Staatschef Xi Jinping. (Foto: Adam Schultz/White House/ZUMA/picture alliance)
Ende der großen Militärinterventionen der USA? US-Präsident Joe Biden kündigte nach dem Abzug aus Afghanistan weitreichende Konsequenzen für künftige militärische Einsätze an. "Wir müssen aus unseren Fehlern lernen. Bei dieser Entscheidung über Afghanistan geht es nicht nur um Afghanistan. Es geht darum, eine Ära großer Militäroperationen zur Umgestaltung anderer Länder zu beenden." Künftige Einsätze müssten klare, erreichbare Ziele haben. Sie müssten sich außerdem "auf das grundlegende nationale Sicherheitsinteresse" der USA konzentrieren.

Eine begrenzte Interpretation des Krieges

Diese Aussagen offenbaren eine eng gefasste Kriegsdefinition, die seine Erscheinungsformen minimiert und nur militärische Gewalt in Form von Bodeneinsätzen umfasst. Diese Auslegung wurde genutzt, um Luft- und Drohnenangriffe auszuklammern, die unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung durchgeführt werden, und deswegen nicht als klassische Kriegsführung gesehen werden.

Dieselbe Logik wurde auch beim sogenannten Krieg gegen den Terror angewandt. In meinem demnächst erscheinenden Buch"Innocent Until Proven Muslim: Islamophobia, the War on Terror, and the Muslim Experience Since 9/11", (Islamophobie, der Krieg gegen den Terror und die muslimische Erfahrung seit dem 11. September 2001), zeige ich anhand von fünf Bausteinen, was der Krieg gegen den Terror kennzeichnet:

1) Militarismus und Kriegsführung; 2) drakonische Einwanderungspolitik; 3) Überwachung; 4) Strafverfolgung von Terroristen auf Bundesebene; und 5) Inhaftierung und Folter. Wenn der Krieg auf den Kampf am Boden beschränkt wird, fallen vier dieser Dimensionen aus seiner Definition heraus - trotz der Anwendung von Gewalt, die mit der Sprache der Kriegsführung gerechtfertigt wurde.

Es gibt zwar eine technische Antwort auf die Frage, ob ein Krieg beendet ist oder nicht, die sich ausschließlich auf den bewaffneten Konflikt vor Ort stützt. Aber diese Einschränkungen ignorieren, dass ein Krieg den Alltag der Menschen, die ihn durchleben, auf unzählige Arten prägt - insbesondere in den Ländern, die Ziel von US-Militäreinsätzen waren oder immer noch sind. Bei asymmetrischen Kriegen ist dies noch viel stärker der Fall.

Dr. Maha Hilal ist Mitbegründerin und Co-Direktorin des Justice for Muslims Collective. (Foto: privat)
Die US-Politikanalystin Maha Hilal ist Mitbegründerin und Co-Direktorin des Justice for Muslims Collective.

Wenn Gewalt immer in der Luft liegt

Es geht nicht nur um physische Gewalt, sondern um die ständige Bedrohung durch Gewalt. Die USA haben eine Welt geschaffen, die sich auf ihren Krieg gegen den Terror konzentriert und in der staatliche Gewalt allgegenwärtig ist. Das bedeutet, dass auch ohne sichtbare Aspekte eines Krieges, Gewalt immer in der Luft liegt.

Die Philosophin Robin Schott, Autor des Artikels Gender and "Postmodern War", sieht Krieg nicht als ein Ereignis oder eine Reihe von Ereignissen, sondern als ständige Präsenz. Wenn wir Krieg auf diese Weise verstehen, dann können wir den Krieg gegen den Terror als Gewaltszenario betrachten, das sich in den vergangenen 20 Jahren mehrfach manifestiert hat.

Im eigenen Land und auf der ganzen Welt

Zwei Jahrzehnte nach den Anschlägen vom 11. September und dem anschließenden Krieg gegen den Terror üben die USA weiterhin massive Gewalt im eigenen Land und auf der ganzen Welt aus. Indem sie von der begrenzten Definition des Krieges profitieren und sich nur auf die Sicherheit des amerikanischen Volkes konzentrieren (zumindest theoretisch), ist es den USA gelungen, den Anschein zu erwecken, dass der Krieg bzw. die Kriege beendet sind.

Doch für diejenigen, die in Ländern wie Afghanistan über den Irak bis Somalia, wo der Krieg als Präsenz und nicht nur als Ereignis bis heute zutiefst spürbar ist, zur Zielscheibe werden, stellt sich zwingend die Frage: Für wen ist der Krieg vorbei?

 

Maha Hilal

© Deutsche Welle 2021

Dr. Maha Hilal ist Mitbegründerin und Co-Direktorin des Justice for Muslims Collective. Zuvor war sie als Michael-Ratner-Stipendiatin am Institut für außenpolitische Studien in Washington, D.C. tätig.

Dieser Text wurde aus dem Englischen übersetzt.