Zwei Jahre "Abraham-Abkommen" - Wo bleibt der "neue Nahe Osten"?

Das vor zwei Jahren geschlossene "Abraham-Abkommen" sollte den "neuen Nahen Osten" einläuten. Tatsächlich boomen Tourismus und Handel. Aber was ist mit dem Frieden? Reaktionen aus den Vertragsländern nach dem Jahrestag.



Jerusalem. Es sollte der Auftakt zu einem neuen Nahen Osten sein. Vor zwei Jahren, am 15. September 2020, unterzeichneten Israel und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) auf dem Rasen des Weißen Hauses das "Abraham-Abkommen", einen Vertrag für Frieden und Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Bahrain und Marokko folgten, und später auch der Sudan. Allerdings scheint der Weg zu einer völligen Normalisierung der Kontakte und einer Akzeptanz in den Gesellschaften noch ausbaufähig. Auch wenn Handelsbeziehungen und Tourismus boomen, macht sich nach der ersten Euphorie manche Ernüchterung und Skepsis breit.



In Israel gelte das Abkommen als "uneingeschränkter Erfolg", titeln israelische Medien am Freitag. Israels Präsident Isaac Herzog sprach am Jahrestag bei einem Treffen mit dem Emirate-Außenminister Abdullah Bin Zayed Al Nahyan von einem "Paradigmenwechsel im Nahen Osten, einem Erklingen neuer Stimmen, der für unsere Kinder und ihre Zukunft neue Horizonte zeichnet, eine Feier des Lebens und der Veränderung".



In der Tat ist der Handel zwischen Israel und den Emiraten auf drei Milliarden US-Dollar gestiegen. Er umfasst Landwirtschaft und Agrartechnologie, medizinische und Kommunikationsausrüstung, Lebensmitteltechnologie, Wasser und gemeinsame Investitionen in Hightech. Die Emirate stünden derzeit auf Platz 19 der 126 Länder, mit denen Israel Handel treibt, und dürften bald zu den Top-10 gehören, schreibt die "Times of Israel". Und auch der Tourismus boomt, zumal die VAE in den vergangenen Jahren zu einem attraktiven Besucherziel geworden sind - mit Wüstentourismus, Formel-1-Rennen, Tennisturnieren und vielen guten Hotels. Laut Angaben des Flughafens Ben-Gurion bei Tel Aviv unternahmen bislang mehr als 268.000 Passagiere Hin- und Rückflüge von Israel in die Emirate, was es zum acht-beliebtesten Ziel für Israelis macht. Was wohl auch daran lag, dass Abu Dhabi schon sehr früh die Corona-Beschränkungen aufhob.



Zudem gibt es einen Kulturaustausch, Konzerte, gemeinsame Fußballturniere, neuerdings wurde sogar ein israelischer Attaché in das Hauptquartier der Fünften Flotte der US-Marine in Bahrain berufen. Und im Sog der Vereinbarungen räumte Saudi-Arabien israelischen Airlines ein Überflugrecht ein, was deren Flugzeit nach Fernost erheblich verkürzt. Allerdings lehnen die Saudis bislang alle Werbeversuche der USA wie auch Israels ab, sich dem Abraham-Abkommen anzunähern.



Freilich funktioniert der Tourismus bislang fast nur einseitig. Seit 2020 kamen gerade einmal 3.600 Besucher aus den Emiraten, Bahrain und Marokko nach Israel - was freilich auch an dessen langer pandemiebedingter Einreisesperre lag. Überhaupt sprechen Analysten von einer "Asymmetrie" bei dem Abkommen. "Die Leute denken, dass es eine vollständige Normalisierung und Akzeptanz gibt. Aber der Großteil der emiratischen, bahrainischen und marokkanischen Öffentlichkeit hat noch einen weiten Weg vor sich, bevor sie Israel und die Israelis vollständig akzeptieren. Wir sind noch nicht ganz da", heißt es in der "Times of Israel".



Und Umfragen belegen, dass das Abraham-Abkommen immer weniger populär wird. Nach Angaben des Washington Institute hatten im November 2020 45 Prozent in Bahrain eine sehr oder weitgehend positive Haltung zu dem Abkommen, was bis März 2022 auf 20 Prozent zurückging. In den VAE stieg die Zahl der Skeptiker von anfangs 49 Prozent auf mehr als zwei Drittel. Und in Marokko befürworten nur 31 Prozent der Bevölkerung eine Normalisierung. Dazu dürfte vor allem beigetragen haben, dass das Abkommen keine Fortschritte beim Aufbau eines Palästinenser-Staates brachte - was zunächst erwartet worden war.



Das Abraham-Abkommen war nicht der erste Friedensschluss Israels mit arabischen Staaten. 1979 nahm es mit Ägypten und 1984 mit Jordanien volle diplomatische Beziehungen auf. Daraus wurde im Lauf der Jahre ein "kalter Frieden" mit einer gewissen Stabilität und Berechenbarkeit, aber auch manchem Spannungspotential, etwa um die von Jordanien beanspruchte Oberhoheit über die islamischen Stätten in Jerusalem. Kairo wie Amman schienen von dem neuen Ankommen mit seinem Wirtschaftspotential nicht allzu begeistert; denn sie seien für ihren Friedensschluss zunächst hart angefeindet worden, hätten aber kaum einen finanziellen Profit. Zum "Negev-Gipfel", zu dem die arabischen "Partner" Israels im März zusammentraten, kamen neben den Emiraten, Bahrain und Marokko auch Ägypten, nicht aber Jordanien. (KNA)