Zentralrat beklagt "Ignoranz" gegenüber Christen aus dem Nahen Osten

Berlin. Die Papstreise in den Irak lenkt den Blick auf die christliche Minderheit in dem Land und zugleich auf die vor Gewalt und Verfolgung geflohenen Gläubigen. Viele von ihnen fanden Zuflucht in Deutschland. Ihr Schicksal spiele in der öffentlichen Wahrnehmung aber kaum eine Rolle, beklagt der Zentralrat Orientalischer Christen in Deutschland.



"Unerklärlicherweise war vielen Politikern in Deutschland nicht bewusst, dass es hier große Gemeinden gibt, die zwar ihren Ursprung im Nahen Osten, der Levante oder Nordafrika haben, die aber christlich sind. Und vielen ist es immer noch nicht bewusst", sagt der frühere Vorsitzende und heutige Sprecher des 2013 gegründeten Zentralrats, Simon Jacob. "Diese Ignoranz ist schon erstaunlich."



Während der Schreckensherrschaft der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) sei viel über die Bedrohungen und die Gewalt gegen die Jesiden berichtet worden, über das Schicksal der Christen im Nahen Osten sei hingegen kaum gesprochen worden. Nach Angaben des Zentralrats lebten in Deutschland Anfang der 2010er Jahre rund 200.000 Christen mit nahöstlichen oder nordafrikanischen Wurzeln. Er gehe davon aus, dass sich ihre Zahl infolge der großen Flüchtlingsbewegungen in den folgenden Jahren inzwischen verdoppelt habe, sagt Jacob.



"Die Situation der Christen und anderer Minderheiten im Irak ist nicht erst seit dem IS prekär, sondern aufgrund der allgemein schwierigen Situation und insbesondere wegen der Sicherheitslage", erklärt der ZOCD-Sprecher. Die Christen im Irak seien seit jeher zwischen den Fronten und der Gewalt weitgehend schutzlos ausgeliefert gewesen.



Ein Großteil der nahöstlichen Christen sei "aus Sorge vor Kriegen, Unterdrückung, geringem Schutz und Repressalien" aus ihrer ehemaligen Heimat geflohen. Die meisten von ihnen seien darum bemüht, sich schnell anzupassen, Bildungschancen zu nutzen und "Krieg, Verfolgung und Terror hinter sich zu lassen", sagt Jacob. Zugleich bereite es ihm Sorgen, dass viele christliche Flüchtlinge aufgrund ihrer Erfahrungen mit extremistischen Gruppierungen wie der IS-Miliz "ein extrem negatives und eingeengtes Bild vom Islam haben".



Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise habe es Spannungen in den Flüchtlingsheimen gegeben zwischen Muslimen und Christen. "Nicht alle hatten religiöse Gründe, aber es waren doch einige dabei. Das war besorgniserregend", sagt Jacob.



Auch der Vorsitzende der Internationalen Gesellschaft Orientalischer Christen, Paulus Kurt, beschreibt diese Zeit als schwierig. Es habe viele Konflikte in den Unterkünften gegeben. Die Christen hätten nach ihrer Flucht gehofft, "wenigstens im Hinblick auf ihre Religion Ruhe zu haben". Als die Christen die Heime verlassen konnten, habe sich die Lage auch dank der Unterstützung durch die christlich-orientalischen Gemeinden aber gebessert.



Die Irak-Reise des Papstes habe eine symbolische Bedeutung, "mehr aber auch nicht", sagt Jacob. Den Appell des Vatikans an die irakischen Christen, möglichst in ihrer Heimat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren, bewertet er skeptisch: "Es ist ein an Hoffnung gekoppelter Aufruf, der gut gemeint ist, mir aber eher illusorisch erscheint."



"Von den im Irak verbliebenen Christen sitzen die meisten auf gepackten Koffern", sagt Jacob. Solange es im Irak für Christen weiterhin keine Sicherheit, Gleichheit, Frieden und Aussicht auf Autonomie gebe, "wird man keinen Christen dazu bewegen können im Land zu bleiben - geschweige denn dazu überreden, Europa Richtung Naher Osten zu verlassen".



Auch Paulus Kurt geht davon aus, dass der Exodus der Christen aus dem Irak und Syrien anhält und warnt davor, dass die Region "christenfrei wird". Der Papstbesuch sei ein gutes Zeichen, angesichts der dezimierten christlichen Gemeinde im Irak komme er "aber viel zu spät". (AFP)