Zeitenwende in Nahost - USA verlieren Einfluss, China im Aufwind

* Entspannung zwischen Iran und Saudi-Arabien ohne westliche Vermittlung

* USA zahlen Preis für sinkende Aufmerksamkeit für Region

* China will Stabilität - keine Mahnungen wegen Menschenrechten

* Deutsche Außenpolitiker: Europa muss sich mehr kümmern

Von Andreas Rinke (Reuters)

Berlin. Als die Erzfeinde Saudi-Arabien und Iran am Freitag überraschend die Wiederaufnahme ihrer diplomatischen Beziehungen bekanntgaben, fielen die weltweiten Reaktionen auffallend unterschiedlich aus.



In den USA und Deutschland wurde der Schritt knapp und eher zurückhaltend kommentiert. In der Nahost-Region gab es breite Zustimmung von Oman über die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) bis zu der libanesischen Hisbollah-Miliz. Aber in China, wo in den Tagen zuvor Verhandlungen stattfanden, jubelte man geradezu: "Dies ist ein Sieg für den Dialog, ein Sieg für den Frieden und eine wichtige gute Nachricht in einer Zeit großer Turbulenzen in der Welt", sagte Chinas Top-Diplomat Wang Yi. Und als Spitze gegen den Westen fügte er hinzu: "Die Welt ist nicht nur auf das Ukraine-Problem beschränkt."

Die USA verlieren an Einfluss - China kommt

Tatsächlich sind die chinesische Rolle und die Abwesenheit der USA als bisheriger Ordnungsmacht in der Region nach Ansicht von Experten die wichtigsten Aspekte bei der Vereinbarung zwischen Riad und Teheran, weil sie eine tektonische Machtverschiebung zeigen. So schreibt der SPD-Außenpolitiker Nils Schmid die Vereinbarung zur Wiedereröffnung der gegenseitigen Botschaften in Riad und Teheran zwar eher den regionalen Vermittlern Oman und Irak zu als China. "Aber dass Iran und Saudi-Arabien die Annäherung symbolisch in China bekanntgaben, zeigt den Einflussverlust der USA in der Region", sagt Schmid zu Reuters.



Der CDU-Außenpolitiker Johann Wadephul sieht das ähnlich. Und auch in den USA, wo das Weiße Haus nur schmallippig reagierte, wird dies so gesehen: "Dies wird - wahrscheinlich zu Recht - als eine Ohrfeige für die Biden-Regierung und als Beweis dafür interpretiert werden, dass China die aufstrebende Macht ist", sagt Jeffrey Feltman von der amerikanischen Brookings Institution.

Auch der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, sieht einen Umbruch. "Der Nahe Osten sortiert sich neu", sagt er zu Reuters. "Die Machthaber der Region arrangieren sich miteinander, wobei Kriterien wie Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte keine wesentliche Rolle spielen." Autoritäre Staaten wie Russland und China schauten sich das Ganze wohlgefällig an. "Die USA sind nicht mehr die dominierende Ordnungsmacht, der europäische Einfluss bleibt gering", meint Heusgen. Das gelte auch für Deutschland, das zwar zu den größten Gebern bei der humanitäre Hilfe und der Entwicklungshilfe zählt, dies aber nicht in politischen Einfluss umsetzen könne.

Der lange Rückzug der USA - auch wegen eigenem Gas und Öl

Dabei deutet sich der Umschwung seit langem an, nicht nur weil China zur Supermacht heranwächst. Vor allem die Tatsache, dass die USA wegen ihrer eigenen Gas- und Ölproduktion nicht mehr abhängig vom Nahen Osten sind, hat die Aufmerksamkeit Washingtons für die Region deutlich erlahmen lassen. Dazu kommt seit Präsident Barack Obama der Trend, sich aus Konfliktherden weltweit weitgehend zurückzuziehen. Dies hat etwa Russland und

der Türkei in Syrien und Libyen viel Freiraum gegeben.

Klassische Verbündete der Vereinigten Staaten wie Saudi-Arabien, die auf den militärischen US-Schutz bisher angewiesen waren, müssen neu nachdenken, wie sehr sie diesem noch vertrauen. Denn mit der sinkenden Abhängigkeit stieg gerade unter Präsident Joe Biden die Bereitschaft, mit den Herrschern am Golf auch Menschenrechtsfragen deutlich anzusprechen. Deshalb fiel etwa der saudische Kronprinz und jetzige Premierminister Mohammed bin Salman nach dem Mord an dem regimekritischen Journalisten Jamal Khashoggi vorübergehend in Ungnade in den USA und Europa. China ist für bin Salman, der gleichzeitig seine Modernisierung und Öffnung der saudischen Gesellschaft preist, auch deshalb attraktiv, weil er von dort keine Kritik an fehlender Demokratie oder Unterdrückung einer Opposition befürchten muss.

"Je weniger sich die USA um die Region kümmern, desto selbständiger wird die Politik etwa Saudi-Arabiens", beschreibt Schmid die Folgen. Die USA hätten unter US-Präsident Donald Trump zudem durch die einseitige Aufkündigung des Atomabkommens zudem die Chance auf eine Verbesserung der Beziehung mit Iran verpasst. In der Zwischenzeit aber hat China mit seinem Gas- und Ölhunger die wirtschaftlichen Beziehungen sowohl zu Riad als auch zu Teheran stetig ausgebaut.

Und die Interessen der drei Länder stimmen überein: China braucht für das nötige Wachsen zur dominierenden Supermacht vor allem stabile Wirtschaftsbeziehungen in der Welt. "Und auch alle Staaten am Golf brauchen Ruhe. Ein Krieg und Spannungen würden den Tourismus zusammenbrechen lassen", meint Schmid mit Blick auf die Pläne der VAE, Saudi-Arabiens oder Katars. "Auch die Diversifizierung weg von Öl und Gas funktioniert nur, wenn in der Region Stabilität herrscht." Die Frage ist für den ehemaligen US-Topdiplomaten Daniel Russel, ob China nun auch bei anderen Konflikten wie etwa dem Ukraine-Krieg eine aktivere Vermittlerrolle einnehmen wird. Als möglicher Friedensstifter in der Ukraine hat sich Peking bereits ins Spiel gebracht.

Und es bleibt abzuwarten, wie dauerhaft die Entspannung am Persischen Golf wirklich sein wird. Denn die saudische Sorge vor der Entwicklung einer iranischen Atombombe besteht weiterhin. Und beide Länder verstehen sich zudem als konkurrierende Schutzmächte für Schiiten einerseits und Sunniten andererseits - was etwa die Unterstützung unterschiedlicher Gruppen in den Bürgerkriegen in Syrien und dem Jemen erklärt.

Eine Lehre sehen die Außenpolitiker von SPD und Union aber schon jetzt. "Wir müssen unsere strategische Zusammenarbeit mit den USA verstärken. Keiner kann ohne den anderen seine eigenen Interessen und Werte durchsetzen", sagt Union-Fraktionsvize Wadephul zu Reuters. Und der SPD-Außenpolitiker Schmid mahnt, dass die Europäer den Nahen Osten nicht vergessen dürften. "Für uns ist es eine Nachbarregion." (Reuters)