Wirbel vor Kairo-Reise: Kanzlerin Merkel lobt Ägyptens Religionspolitik als "beispielhaft"

Kurz vor ihrer Reise nach Nordafrika hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Religionspolitik Kairos als "beispielhaft" gelobt - und dafür deutliche Kritik geerntet. Ägyptens Christen litten noch immer unter Diskriminierung und Willkür, betonte Ulrich Delius von der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV). Merkel beschönige die "katastrophale Menschenrechtsbilanz" des Landes, um mehr Zusammenarbeit in Flüchtlingsfragen zu erreichen.

Immer wieder kritisieren Menschenrechtler Gewalt gegen Christen. Im Dezember 2016 kamen bei einem Anschlag auf eine Kairoer Kirche 27 Menschen ums Leben. Auf der Sinaihalbinsel sind ägyptische Christen ins Visier islamistischer Extremisten geraten. Auch zweieinhalb Jahre nach der Amtsübernahme von Präsident Abdel Fattah al-Sisi stellt sich die Frage, ob am Nil wirklich Religionsfreiheit herrscht.

Neubauten von und Anschläge auf Kirchen, Urteile gegen islamistische Prediger wegen Schmähung des Christentums und ermordete Kopten im Nordsinai: Die Fakten zur Lage der Christen in Ägypten zeigen ein widersprüchliches Bild. Mit der Verfassung von 2014 ist die Religionsfreiheit mit Islam als Staatsreligion und Scharia als Hauptquelle der Rechtsprechung grundsätzlich verankert. Kirchenvertreter wie Menschenrechtler erkennen ein Bemühen al-Sisis, die Lage für Christen zu verbessern. Zugleich sehen sie jedoch noch große Defizite.

Rund zehn Prozent der knapp 95 Millionen Ägypter sind laut Schätzungen Christen. 90 Prozent von ihnen gehören der koptisch-orthodoxen Kirche an. Wie Juden dürfen sie ihren Glauben ausüben, staatliche Anerkennung beantragen und unter strengen Vorschriften Gotteshäuser bauen.

Allerdings scheitert die Regierung laut einem Bericht des US-State-Department zur Religionsfreiheit regelmäßig damit, Übergriffe auf Christen zu verhindern und antichristliche Akte aufzuklären. Zugenommen hat demnach die Bedrohung durch islamistische Gruppen wie die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS). Im Februar hatten IS-Gruppen bei mehreren Angriffen sieben Christen im Nordsinai getötet und Hunderte in die Flucht getrieben.

Vor Merkels am Donnerstag beginnender Reise beklagte der koptisch-orthodoxe Bischof in Deutschland, Anba Damian, die Aggressionen und forderte mehr Schutz für die Christen. Falls ihre Lage so gut sei, wie von Merkel dargestellt, solle sie doch ohne hohe Sicherheitsvorkehrungen in das Land reisen.

Ägyptische Kirchenführer heben jedoch auch positive Signale hervor, etwa die Aufrufe des Präsidenten zu einem toleranten Islam und seine Solidaritätsbesuche bei Christen. "Ein Präsident, der selbst zur Trauerfeier kommt und jedem Angehörigen und allen Kirchenvertretern die Hand schüttelt, das ist ein starkes Zeichen", sagte etwa der koptisch-katholische Bischof von Assiut, Kyrillos William. Man erkenne die Anstrengungen des Präsidenten, "der eine Zukunft will für Ägypten".

Merkel betrachtet das Land der Pyramiden als "stabilisierendes Element" in Nahost. Bei ihrem Besuch in Kairo will sie zusammen mit al-Sisi auch die Markus-Kathedrale besuchen und die angrenzende Kirche, die im Dezember Ziel des Anschlags während eines Gottesdienstes war.

Den Menschenrechtlern geht es aber nicht allein um die Lage der Christen. "Die Bilanz des Schreckens unter dem gegenwärtigen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi stellt selbst die Verbrechen unter Ägyptens früherem Diktator Hosni Mubarak in den Schatten", heißt es in dem GfbV-Schreiben an die Kanzlerin vom Dienstag. Ägypten habe sich zu einem Polizeistaat entwickelt, in dem "Menschenrechtler willkürlich mundtot gemacht werden". In der Schusslinie stehen dabei nach GfbV-Einschätzung auch die Christen. Radikale Islamisten griffen Kopten an, um so die Regierung zu treffen - und die wiederum umwerbe Kopten aus wahltaktischen Gründen. So würden Ägyptens Christen von beiden Seiten für eigene Zwecke missbraucht. (KNA)