Weiter Patt nach Wahl in Israel - große Koalition möglich

Die Auszählung der Stimmen nach der Wahl in Israel läuft noch. Aber auch am Tag danach zeichnet sich ab: Die einzige realistische Option der Parteien scheint eine große Koalition - doch die Regierungsbildung wird zäh.

Die Parlamentswahl in Israel hat ein Patt zwischen der Likud-Partei des rechtskonservativen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und dem Mitte-Bündnis Blau-Weiß ergeben. Nach Auszählung von rund 59 Prozent der Stimmen kämen Blau-Weiß von Ex-Militärchef Benny Gantz auf 26,5 Prozent der Stimmen und der Likud auf 25,9, teilte der israelische Wahlausschuss am Mittwoch mit. Die meisten Stimmen sollten bis zum Nachmittag ausgezählt werden. Ein endgültiges Ergebnis soll aber erst in der kommenden Woche vorliegen.

Nach Hochrechnungen hat weder der rechts-religiöse noch der Mitte-Links-Block eine Mehrheit zur Bildung einer Regierung. Deswegen hatten sich Gantz sowie Netanjahus Rivale Avigdor Lieberman, der bei der Wahl als Königsmacher gilt, noch in der Wahlnacht für die Bildung einer großen Koalition ausgesprochen. Diese würde aus Likud, Blau-Weiß und Liebermans Israel Beitenu bestehen.

Lieberman forderte am Mittwoch im Armeeradio als Bedingung für eine Regierungsbeteiligung, dass Fächer wie Mathe und Englisch auch an strengreligiösen jüdischen Schulen als Pflichtfächer unterrichtet werden. An Gantz gerichtet sagte er, es gehe darum, «die Bildung einer liberalen Einheitsregierung» zu sichern.

Gantz sagte noch in der Nacht vor jubelnden Anhängern, man müsse geduldig auf die endgültigen Ergebnisse der Wahl warten. Dennoch werde man umgehend Kontakte zur Bildung einer «breiten Einheitsregierung» aufnehmen.

Netanjahu hatte sich danach trotz der offensichtlichen Wahlschlappe siegesgewiss gezeigt. Am frühen Mittwochmorgen kündigte er vor Anhängern in Tel Aviv an, er wolle in den kommenden Tagen Verhandlungen über die Bildung einer «starken Regierung» aufnehmen. Ziel sei es, eine «gefährliche, anti-zionistische Regierung» zu verhindern.

Der Regierungschef hatte im Wahlkampf betont, er strebe eine rechts-religiöse Koalition an. Gantz ist nur zu einer großen Koalition ohne Netanjahu als Regierungschef bereit. Als Grund nennt Gantz die Korruptionsvorwürfe gegen den 69-Jährigen, der seit 2009 Ministerpräsident ist. Nach einer Anhörung im Oktober droht Netanjahu eine Anklage in drei Korruptionsfällen.

Nach Medienberichten sind bereits mehr als 90 Prozent der Stimmen ausgezählt, danach kommen der Likud sowie Blau-Weiß auf jeweils 32 Sitze. Nach Angaben des israelischen Fernsehsenders 13 kommt der rechts-religiöse Block mit Netanjahus konservativem Likud, der Jamina-Parteienblock unter der Führung von Ex-Justizministerin Ajelet Schaked und den strengreligiösen Parteien auf 56 Mandate. Das Mitte-Links-Lager mit Blau-Weiß, der Arbeitspartei, der Demokratischen Union und der Vereinigten Arabischen Liste erhält 55 Mandate. Die Vereinigte Arabische Liste wird mit 12 Sitzen drittstärkste Kraft im Parlament.

Der Wahlausschuss teilt die Ergebnisse stets in Prozent mit, während die Medien die Ergebnisse direkt auf Mandate umrechnen. Bei der Wahl am Dienstag waren 6,4 Millionen Wahlberechtigte dazu aufgerufen, die 120 Mitglieder der 22. Knesset in Jerusalem zu bestimmen. Das endgültige Wahlergebnis soll eine Woche nach der Wahl veröffentlicht werden.

Aiman Auda, Vorsitzender der Vereinigten Arabischen Liste, sagte dem Armeesender, sie würden möglicherweise Gantz dem Präsidenten für eine Regierungsbildung empfehlen. «Wir wollen Netanjahu auswechseln, aber wir haben grundlegende Bedingungen, und nach denen werden wir entscheiden.» Er betonte, er wolle Oppositionsführer werden. Damit würde Auda auch in nationalen Sicherheitsfragen sensible Informationen erhalten.

Hussein al-Scheich, Mitglied des Zentralkomitees der Fatah-Partei von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, sagte nach der Wahl: «Wir suchen einen wirklichen Partner für Frieden, der die Besatzung beenden wird und an eine Zwei-Staaten-Lösung glaubt, in Übereinstimmung mit UN-Resolutionen und unterzeichneten Vereinbarungen.» Unabhängig vom Ausgang der Koalitionsverhandlungen gilt eine Wiederbelebung des Friedensprozesses in absehbarer Zukunft allerdings als unwahrscheinlich. Die linken Parteien, die sich für die Gründung eines Palästinenserstaates neben Israel aussprechen, haben keine Mehrheit.

Präsident Reuven Rivlin muss nun entscheiden, wen er mit der Regierungsbildung beauftragt. Dazu holt er sich von allen Fraktionen Empfehlungen für das Amt des Ministerpräsidenten ein. Wer danach die größten Chancen zur Bildung einer Regierungskoalition hat, erhält dafür zunächst vier Wochen Zeit. Üblicherweise erhält den Auftrag der Vorsitzende der Fraktion mit den meisten Stimmen. Mit einer neuen Regierung wird frühestens Ende Oktober gerechnet.

Dies war bereits die zweite Parlamentswahl innerhalb eines halben Jahres. Nach der Wahl im April war Netanjahu trotz einer Mehrheit im rechts-religiösen Lager bei der Regierungsbildung gescheitert. Die Wahlbeteiligung war höher als vor einem halben Jahr und lag bis 21.00 Uhr deutscher Zeit nach Angaben des Zentralen Wahlkomitees bei 69,4 Prozent. Das sind 1,5 Prozentpunkte mehr als bei der Wahl im April zur selben Uhrzeit. (dpa)