Zu viele Klischees

Menschen muslimischen Glaubens werden in deutschen Medien oft negativ dargestellt, heißt es in einer Studie. Stimmt das? Die Medienforschung deutet darauf hin, dass es seit 9/11 diese Entwicklung gibt. Einzelheiten von Klaudia Prevezanos

Von Klaudia Prevezanos

Von "Döner-Morden" und der "Türken-Mafia" war über Jahre in deutschen Medien die Rede, wenn über eine Serie von neun getöteten türkischen und griechischen Einwanderern berichtet wurde. Im November 2011 stellte sich heraus, dass die Morde zwischen 2000 und 2007 mutmaßlich von der rechtsextremen Terrorgruppe NSU begangen worden waren.

Für Semiya Simsek, Tochter des ersten Opfers, sind diese Bezeichnungen "achtlos, zynisch und rassistisch", wie sie in ihrem Buch "Schmerzliche Heimat" über den Mord an ihrem Vater Enver schreibt. "Jetzt auf einmal sehen es alle ein, dass das rassistische Begriffe sind, aber damals war das nicht so", sagt sie heute über das Verhalten der Medien, seit deutlich wurde, dass hinter den Taten rechtsradikale Motive standen und keine kriminellen Angelegenheiten der Opferfamilien. Am 6. Mai 2013 soll der NSU-Gerichtsprozess in München beginnen.

Studie: "eher negativ" oder "viel zu negativ"

War dies nur ein - für deutsche Medien und Ermittlungsbehörden - beschämender Ausnahmefall oder wie sieht das Bild von Muslimen aus, das in deutschen Medien verbreitet wird? Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) hat im März 2013 eine Studie veröffentlicht, für die im Sommer 2011 mehr als 9.200 Menschen befragt wurden: Darin gaben 74 Prozent der Befragten mit ausländischen Wurzeln und knapp 71 Prozent derer ohne Migrationshintergrund an, dass die Darstellung von Muslimen in deutschen Medien "eher negativ" oder "viel zu negativ" sei. Die befragten Muslime seien sogar zu mehr als 82 Prozent der Meinung, so der SVR.

"Das Ergebnis der Studie bestätigt sich in vielen Rückmeldungen, die wir von Muslimen bekommen", sagt Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD), einem der vier wichtigsten islamischen Dachverbände in Deutschland. Insbesondere nach dem 11. September trete häufig der Generalverdacht gegenüber Muslimen auf, und habe laut Mazyek die stark negative Berichterstattung über Muslime allgemein deutlich zugenommen.

Aiman Mazyek; Foto: yunay.de
Aiman Mazyek: "Der Extremismusvorbehalt gegenüber dem Islam und damit auch den Muslimen kommt in der deutschen Medienberichterstattung noch zu viel vor"

​​"Weil im öffentlichen Diskurs und in den Medien oft keine Trennung zwischen Extremismus und Islam vorgenommen wird", sagt der ZMD-Vorsitzende. Bei den Anschlägen vom 11. September 2001 hatten islamistische Attentäter mehr als 3.000 Menschen getötet.

"Die Guten und Bösen wurden neu unterschieden"

"9/11 ist sicherlich eine Zäsur gewesen, durch die Weltbilder neu sortiert wurden. Und das tun eben auch Medien nachhaltig", sagt Margreth Lünenborg, Direktorin des Internationalen Journalisten-Kollegs an der Freien Universität (FU) Berlin. "Die Guten und die Bösen wurden - verkürzt gesagt - neu unterschieden, und das hat nach 9/11 nachhaltig zwischen der westlich-christlichen und der orientalischen Welt stattgefunden", sagt die Professorin für Journalistik. "Und es spricht wenig dafür, dass das als überholt zu gelten hat."

Mehr als vier Millionen Menschen muslimischen Glaubens gibt es laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Deutschland, das sind gut vier Prozent der Bevölkerung. Sind Kopftuch tragende Frauen und grimmig guckende Männer mit Bärtchen das Klischeebild über Muslime in deutschen Medien?

"Die Medienforschung deutet darauf hin, dass Muslime in der Mediendarstellung zu dem symbolisch Anderen geworden sind. Und Frauen mit Kopftuch sind das Stereotyp - für muslimische Menschen, aber auch allgemein für das Nichtchristliche, Nichtwestliche, für das nicht zu unserer Nationalkultur Zugehörige", so Lünenborg, die als einen Forschungsschwerpunkt Migration und Medien hat.

"Sehr reduzierte Entwürfe vom Leben muslimischer Menschen"

Dass Journalismus vereinfachen muss und nicht das ganze Leben zeigen kann, ist für Lünenborg, die auch eine journalistische Ausbildung hat, klar. Im Falle der Muslime in deutschen Medien sei es aber problematisch, dass deren Darstellung immer schablonenhafter werde.

Margreth Lünenborg; Foto: Bastienne Schulz
Margreth Lünenborg: "viele muslimische Menschen den Wunsch haben, als Bestandteil des deutschen Alltags medial sichtbar zu werden. Ein vielfältigerer Blick auf den deutschen Alltag kann aber auch dann entstehen, wenn diese Vielfalt sich in den Redaktionen wiederfinden würde."

​​"Die mediale Wirklichkeit erzählt uns nur sehr reduzierte Entwürfe vom Leben muslimischer Menschen in Deutschland: Meist sind sie problem- oder konfliktbehaftet, nur in Einzelfällen Erfolgsstorys", sagt Lünenborg von der FU Berlin. "Ein großes Repertoire dazwischen findet in deutschen Medien kaum Ausdruck."

Mazyek, seit 2010 ZMD-Vorsitzender, hat beobachtet, dass Journalisten heute mehr über den Islam wissen als vor 20 Jahren. "Eine gewisse Qualität in der Berichterstattung ist da und es ist natürlich positiv, wenn heutzutage in den Medien prominent über den muslimischen Fastenmonat Ramadan berichtet wird."

Auch die Anzahl an Themen, die mit dem Islam zu tun haben, sei enorm gestiegen. Das sieht Mazyek jedoch auch problematisch, wenn die Trennschärfe fehlen würde: "Der Extremismusvorbehalt gegenüber dem Islam und damit auch den Muslimen kommt in der deutschen Medienberichterstattung noch zu viel vor", sagt Mazyek.

In den USA oder Großbritannien würde auch deshalb differenzierter über den Islam berichtet, weil dort die muslimische Bevölkerung überwiegend im oberen Bildungssektor zu finden sei - anders als in Deutschland oder Frankreich, wo große Teile der Community aus bildungsfernen Familien stammen würden. "Die Wehrhaftigkeit und die Möglichkeit der konstruktiven Beteiligung ist dort besser gegeben als beispielsweise bei uns", so Mazyek.

Lünenborg, die für ihre Studien ausführliche Interviews mit Migranten geführt hat, weiß, dass "viele muslimische Menschen den Wunsch haben, als Bestandteil des deutschen Alltags - als Busfahrer oder Sporttrainer - medial sichtbar zu werden. Ein vielfältigerer Blick auf den deutschen Alltag kann aber auch dann entstehen, wenn diese Vielfalt sich in den Redaktionen wiederfinden würde." Unter den Journalisten in Deutschland soll der Anteil derer, die ausländische Wurzeln haben, bei kaum fünf Prozent liegen.

Die Kommunikationswissenschaftlerin Lünenborg ist sehr zurückhaltend, was die Wirkung von Medien auf die Gesellschaft betrifft: "Die Art, wie Medien Bilder in den Köpfen des Publikums entwerfen, auch von Muslimen, ist hochgradig komplex, das ist kein direkt funktionierender Mechanismus. Aber diese Bilder sind auch keineswegs bedeutungslos."

Klaudia Prevezanos

© Deutsche Welle 2013

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de