Wahlen in Libyen schüren Angst vor neuen Konflikten

Die Präsidentschaftswahl im Bürgerkriegsland Libyen ist für den 24. Dezember geplant. Eigentlich soll sie die Erdöl-Nation stabilisieren, die seit dem Sturz Gaddafis vor über zehn Jahren nicht zur Ruhe kommt. Stattdessen fürchten viele neue Gewalt. Von Bettina Rühl (epd)



Nairobi. Als Asaad Jafar Mitte November seinen Wählerausweis abholen konnte, war er glücklich. Er blickte mit großer Hoffnung auf die Präsidentschaftswahl am 24. Dezember und die Parlamentswahl Anfang des neuen Jahres, die das Bürgerkriegsland Libyen endlich befrieden sollen. Inzwischen hat der 32-Jährige in erster Linie Angst.



Bereits im Vorfeld der Wahlen reißt der Streit um wichtige Verfahrensfragen nicht ab. Aus Jafars Sicht wird damit immer unwahrscheinlicher, dass die unterlegenen Kandidaten das Ergebnis akzeptieren werden. «Libyen hat noch nicht einmal eine Verfassung, da ist Streit um das Ergebnis vorprogrammiert», sagt der ehrenamtliche Helfer des Roten Halbmonds.



Das nordafrikanische Land hat seit dem Sturz des Langzeit-Diktators Muammar al-Gaddafi 2011 keine Regierung mehr, die das gesamte Staatsgebiet kontrolliert. Eine Verfassung gibt es schon seit 1977 nicht mehr, Gaddafi hatte die damals noch gültige aus dem früheren Königreich ausgesetzt. Ein Entwurf von 2017 wurde bisher nicht mit dem nötigen Quorum anerkannt.



Ein Bürgerkrieg spaltete das erdölreiche Libyen 2014 in Ost und West. Erst im Oktober 2020 einigten sich die beiden konkurrierenden Regierungen unter Vermittlung der Vereinten Nationen auf einen Waffenstillstand und eine Übergangsregierung, die Libyen in die nun anstehenden Wahlen führen soll. Nach der Vereinbarung sollten am 24. Dezember sowohl Parlaments- als auch Präsidentschaftswahlen stattfinden. Doch rund eine Woche vor der Abstimmung über den neuen Präsidenten ist noch nicht einmal klar, ob sich der Termin wirklich halten lässt. Die Wahl der Abgeordneten wurde bereits auf das neue Jahr verschoben, das genaue Datum steht noch nicht fest.



Die Gründe für die Termin-Unsicherheit sind vielfältig. Einer davon: Es gibt noch immer keine abschließende Liste der Präsidentschaftskandidaten. 96 Männer und zwei Frauen hatten sich registrieren lassen, 25 davon hat die Wahlkommission abgelehnt. Einige hatten aber mit ihrer Berufung gegen diese Entscheidung Erfolg - darunter ausgesprochen kontroverse Bewerber.



An erster Stelle zu nennen ist Saif al-Islam, der zweite Sohn des gestürzten und Ende 2011 von den Aufständischen getöteten Diktators. Der 49-Jährige wird seit 2011 vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gesucht. Ein weiterer umstrittener und zunächst zurückgewiesener Kandidat ist General Khalifa Haftar. Der 78-Jährige ist eine der Schlüsselfiguren im Bürgerkrieg von 2014 bis 2020, Hauptwidersacher der international anerkannten Regierung im Westen des Landes und Befehlshaber der größten Miliz, der sogenannten Libyschen Nationalen Armee. Haftar wird - ebenso wie die Regierung im Westen - von verschiedenen Ländern militärisch unterstützt. Unter anderem durch russische Söldner der «Gruppe Wagner».



Auch Wedad Oun befürchtet deshalb, dass die Präsidentschaftswahl Spannungen schürt. Die Journalistin kandidiert für einen Parlamentssitz für Ain Zara, einen vom Krieg besonders betroffenen Stadtteil in Tripolis. «Es gibt so viele Kandidaten, das gibt bestimmt Streit», sagt die 42-Jährige. Die Wahlen hält sie dennoch weiterhin für wichtig, damit die Bevölkerung in der Politik eine Stimme bekommt.



Oun möchte vor allem die Lebensbedingungen der Menschen verbessern. Eine ihrer Sorgen: Im 2019 besonders umkämpften Ain Zara haben Milizen viele private Häuser besetzt und Camps in dem Wohngebiet errichtet. «Sollte ich gewählt werden, werde ich auf ein Gesetz dringen, das so etwas verbietet», kündigt sie an. «Denn die Anwesenheit der Bewaffneten ist eine Gefahr für die Bevölkerung.»



Dass Libyen endlich wieder stabil und friedlich wird, ist nicht nur Ouns größter Wunsch. Auch Jafar wünscht sich nichts mehr als das. Als ehrenamtlicher Helfer hat er in Tripolis Verwundete und Tote geborgen. Seit im Oktober 2020 ein Waffenstillstand geschlossen wurde, konnten er und seine Kollegen etwas aufatmen. Nun fürchtet Jafar, dass bald alles wieder losgeht. Fast verzweifelt fleht er: «Das muss endlich aufhören. Nicht unsere Politiker oder irgendeine der am Krieg beteiligten Regierungen werden die Leichen bergen, sondern wir. Und auf Dauer hält das kein Mensch aus.



Ein Graffiti in der Hauptstadt Tripolis unterstreicht, was auf dem Spiel geht: »Nein zur Wahl von Saif und Haftar, sonst gibt es Krieg. Die Rebellen der Westregion", steht mit roter Schrift auf einer beigen Mauer. (epd)