Vor dem Urteil des UN-Tribunals über Ex-General Ratko Mladic wegen Völkermordes von Srebrenica

Im Juli 1995 stürmen serbische Einheiten die UN-Schutzzone Srebrenica. Sie ermorden 8.000 Männer und Jungen. Für den Völkermord wird Ex-General Mladic kommende Woche verurteilt. Es ist das letzte Srebrenica-Urteil. Von Thomas Brey und Annette Birschel

Für Chefankläger Serge Brammertz wird Mittwoch (22. November) ein historischer Tag. Dann fällt das UN-Kriegsverbrechertribunal zum früheren Jugoslawien über den serbischen Ex-General Ratko Mladic (75), genannt der «Schlächter vom Balkan», sein Urteil. «Ein Meilenstein in der Geschichte des Gerichts», sagt Brammertz. 22 Jahre nach dem Balkankrieg endet damit ein Kapitel. Es ist das letzte Urteil des UN-Tribunals zum Völkermord von Srebrenica.

Srebrenica wurde zum Symbol des vier Jahre dauernden Bosnienkrieges. Er kostete mehr als 100 000 Menschen das Leben, Millionen wurden vertrieben. Bei der über 44 Monate dauernden Belagerung von Sarajevo etwa wurden mindestens 10.000 Menschen getötet. Und dann Srebrenica: Im Juli 1995 hatten serbische Einheiten unter General Mladic die UN-Schutzzone überrannt und dann etwa 8.000 muslimische Jungen und Männer ermordet.

Bis heute ist es unfassbar, dass nach dem Zweiten Weltkrieg auf europäischem Boden solche Verbrechen verübt werden konnten. 2016 war dafür bereits der politisch Verantwortliche, Radovan Karadzic, in erster Instanz zu 40 Jahren Haft verurteilt worden. Ex-General Mladic war militärisch verantwortlich, und etwas anderes als einen Schuldspruch und eine lebenslange Haftstrafe ist für die Opfer undenkbar und für Beobachter kaum vorstellbar. Zu groß ist die Beweislast, zu schrecklich sind die Verbrechen.

530 Prozesstage, fast eine Million Seiten Prozessakten, 377 Zeugen. Im Gerichtssaal schildern Zeugen das Grauen von damals. Da war der Mann, dessen Frau in Sarajevo auf dem Marktplatz von Scharfschützen beim Milchholen erschossen worden war. Oder das junge Mädchen, das wochenlang - immer wieder und wieder - von Gruppen von Soldaten vergewaltigt wurde. Oder der Mann, der das Massaker von Srebrenica nur überlebt hatte, weil er sich tot gestellt und unter den Leichenbergen verborgen hatte.

Leichen waren zerstückelt und auf verschiedene «Sekundärgräber» verteilt worden. Noch immer wurden nicht alle Toten gefunden und identifiziert. Noch im Dezember 2015 war ein Massengrab entdeckt worden - verborgen unter einer Mülldeponie.

Der Völkermord und die Vertreibung der bosnischen Muslime mit dem zynischen Begriff «ethnische Säuberung» waren Teil einer Kampagne mit dem Ziel ein Groß-Serbien. Außer Karadzic und Mladic war dafür auch der Ex-Staatspräsident von Jugoslawien, Slobodan Milosevic, verantwortlich. Doch der starb 2006 in seiner Zelle an einem Herzinfarkt, noch vor dem Urteil.

Haben die Prozesse bei der Aufarbeitung geholfen? Chefankläger Brammertz schüttelt den Kopf. «Es gibt immer noch Politiker in Serbien, die den Genozid leugnen. Wie soll es da jemals zu einer Aussöhnung kommen?»

Serbien tut sich schwer mit seinem kriegerischen Erbe. Ausgangspunkt der selbst ansatzweise nicht aufgearbeiteten Vergangenheit ist Ratko Mladic. Bis heute gilt er in weiten Teilen der Bevölkerung noch als Kriegsheld, der seine Landsleute in Bosnien nur vor dem sicheren Untergang bewahrt hat. Das kleine Serbien habe so einer «Weltverschwörung» unter Führung Deutschlands, Österreichs und des Vatikans heldenhaft Widerstand geleistet - so das verworrene Weltbild.

Wen wundert's da noch, dass die Mladic-T-Shirts ein Dauerbrenner sind auf jedem Volksfest und in den Souvenirläden Belgrads. Das UN-Tribunal ist für Serbien schon lange eines der größten Feindbilder. Das Gericht habe einseitig gegen Serben gearbeitet, sagte erst vor wenigen Tagen Regierungschefin Ana Brnabic in Belgrad.

Damit habe es nicht zur Versöhnung, sondern im Gegenteil zur Verschärfung der Konflikte auf dem Balkan beigetragen. Die Belgrader Zeitung «Informer», Sprachrohr von Präsident Aleksandar Vucic, titelte kürzlich: «Das Haager Gericht vergewaltigt offen das Recht».

Die serbische Politik leugnet bis heute den Völkermord in Srebrenica. Erst in diesem Jahr waren acht ehemalige Spezialpolizisten in Belgrad angeklagt worden, weil sie 1.313 muslimische Zivilisten ermordet haben sollen. Der Prozess wurde allerdings schnell unterbrochen und muss von vorn beginnen. Angesichts dieser Realität macht sich Ankläger Brammertz keine Illusionen. Ein Gericht könne nicht für Versöhnung sorgen, sagt er. «Aber ohne Gerechtigkeit fehlt die Basis für Versöhnung.»

Nicht nur auf dem Balkan, auch für die UN bleibt Srebrenica eine offene Wunde. Denn die Staatengemeinschaft hatte den Völkermord nicht verhindert, und niederländische UN-Blauhelmsoldaten hatten sich den Truppen von Mladic kampflos ergeben. Kurz nach der Einnahme von Srebrenica hatten sich der bullige General und der niederländische Kommandant von Dutchbat, Thom Karremans, mit Schnapsgläsern zugeprostet. Das Foto von dieser Szene ging als Bild der Schande um die Welt. (dpa)