Verfassungsschutzpräsident stellt sich nach Kritik im Fall Amri vor Terrorabwehr-Experten

Die Vorwürfe gegen die Sicherheitsbehörden im Fall Amri stehen weiter im Raum. Wie konnte der Salafist zwölf Menschen töten und Dutzende verletzen, obwohl er den Ermittlern lange bekannt war? Der Präsident des Verfassungsschutzes sieht bisher keine Fehler der Länderexperten. Von Sebastian Engel und Jörg Blank

Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen hat die Terrorabwehr-Experten in Bund und Ländern trotz immer neuen Enthüllungen im Fall Anis Amri gegen Kritik in Schutz genommen. «Die Kollegen im GTAZ (Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum) gehen hochprofessionell und erfahren an die Sache heran», sagte Maaßen knapp drei Wochen nach dem Lkw-Anschlag des 24-jährigen Tunesiers auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin. «Ich kann bisher jedenfalls nicht erkennen, dass die Verantwortlichen in den Ländern Fehler gemacht haben.»

Amri war am 19. Dezember mit einem Lkw in eine Budengasse eines Weihnachtsmarktes an der Gedächtniskirche mitten in Berlin gerast. Zwölf Menschen starben bei dem Anschlag, mehr als 50 wurden teils schwer verletzt. Amri hatte sich den Erkenntnissen des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) zufolge in einer stark veränderten Salafisten-Szene in Deutschland radikalisiert.

Ermittler waren dem Radikal-Islamisten vor seinem Anschlag über Monate hinweg deutschlandweit auf der Spur, wussten um seine Besuche in Salafisten-Moscheen und kannten den abgelehnten Asylbewerber unter mindestens 14 verschiedenen Namen. Zudem gab es Warnungen eines marokkanischen Geheimdienstes, Amri plane einen Anschlag. Die Arbeit der deutschen Sicherheitsbehörden steht daher heftig in der Kritik. Die Linken fordern einen Untersuchungsausschuss des Bundestages. Mitte Januar befassen sich die Geheimdienst-Kontrolleure des Parlaments erstmals offiziell mit dem Fall.

«Die Beweislage war dünn», verteidigte Maaßen das Vorgehen. «Und man muss auch immer die Ressourcen sehen, die wir haben, um Observationen oder Telekommunikationsüberwachung in großem Umfang durchzuführen.»

Es gebe schließlich «noch andere Gefährder in Deutschland, die uns große Sorgen machen». Die Nachrichtendienste zählen demnach weit mehr als 1.200 Personen zum islamistisch-terroristischen Personenpotenzial.

Amri radikalisierte sich nach BfV-Erkenntnissen in Deutschland in einer stark veränderten Salafisten-Szene. Während der Salafismus vor ein paar Jahren fast immer mit Personen wie Pierre Vogel oder Sven Lau in Verbindung gebracht worden sei, seien es «nun meist Einzelpersonen, die ihre Jünger um sich scharen», sagte Maaßen. «Man kann daher nicht mehr von der salafistischen Szene reden, sondern man hat es mit vielen Hotspots zu tun.»

Nach Erkenntnissen der Ermittler verkehrte Amri seit seiner Ankunft in Deutschland im Jahr 2015 unter anderem in salafistischen Moscheen in Berlin und Nordrhein-Westfalen.

Der Salafismus ist eine extrem konservative Strömung des Islam. Nach BfV-Angaben werden ihm derzeit in Deutschland mehr als 9.700 Menschen zugerechnet. Ende Oktober hatte das Bundesamt die Zahl der Salafisten noch auf 9.200 beziffert.

Maaßen sagte der dpa weiter: «Es gibt nicht nur ein, zwei, drei, vier Personen, die das Sagen haben. Sondern es gibt sehr viele Personen, die diese salafistische Szene dominieren. Und all diese Personen müssen wir im Blick behalten.» Darüber hinaus bilden sich demnach auch sehr viele Gruppen, die vor allem über virtuelle Netzwerke kommunizieren, etwa im Internet oder in WhatsApp-Gruppen. «Das haben wir vor ein paar Jahren gar nicht gekannt.»

Diese Veränderungen erschwerten die Arbeit des Verfassungsschutzes, «weil wir nicht mehr nur auf einige wenige Köpfe schauen müssen. Wir müssen auf viele Gruppierungen achten», sagte Maaßen. Man kenne sich in der Salafisten-Szene zwar untereinander. Aber: «Es gibt Prediger und Emire, die sich nicht einmal das Schwarze unter dem Fingernagel gönnen, weil jeder stark ist und glaubt, die Wahrheit auf seiner Seite zu haben.» In manchen Zielen seien sie sich jedoch einig - «auch, was die Unterstützung von dschihadistischen Gruppierungen

angeht». (dpa)