Die Proteste gegen Trump beginnen erst

Vor dem Weißen Haus demonstrieren Tausende gegen das neue Einreiseverbot, das Menschen aus Syrien, Libyen, Jemen, Somalia, Irak, Iran und Sudan betrifft. Ihre Botschaft: Die Maßnahme ist unamerikanisch. Der Präsident rechtfertigt sich. Eindrücke von den Protesten von Matthias Kolb aus Washington

Von Matthias Kolb

Abraham al-Helfi hat einen guten Platz gefunden. Der 39-Jährige steht auf einer Mauer neben dem Lafayette-Platz und blickt von dort auf das Weiße Haus und die Menge zu seinen Füßen. Acht Tage nach dem Women's March wird in Washington wieder gegen US-Präsident Donald Trump protestiert, doch dieses Mal ist die Stimmung düsterer.

"Meine Mama und mein Papa sind KEINE Terroristen. Lasst sie nach Hause kommen", steht auf dem Schild, das Abraham in die Höhe streckt. Der 39-Jährige ist aus Philadelphia angereist, um Trump klarzumachen, welche Folgen dessen Präsidialdekret hat. "Ich bemühe mich seit 2011 darum, dass mein Vater hierher kommen kann. Er ist 78. Meine Mutter hat eine Green Card und besucht ihn gerade in Bagdad - ich habe Angst, dass sie nicht zurückkommen kann", berichtet Abraham, der in der IT-Branche arbeitet. "Es gehört sich nicht, was da geschieht", sagt er. Dass gültige Dokumente plötzlich wertlos sein sollen, schockiert viele. Dieses Dekret ist typisch für das Chaos der ersten Tage von Präsident Trump - am Sonntag versichert sein Stabschef Reince Priebus, dass die Besitzer einer Green Card nicht betroffen seien.

Doch die Verunsicherung bleibt und Abraham fürchtet, dass er nun neue Anträge stellen muss, damit seine Mutter "in ihre Heimat" USA zurück darf. Bisher war Amerika genau das für Familie Al-Helfi, doch nun hat Abraham ernste Zweifel. Zugleich schöpft er Hoffnung: Die Solidarität der Mitbürger gibt ihm Kraft und das Gefühl, dass Donald Trump nur für eine Minderheit spricht.

"No Ban, No Wall"

Es sind mehrere tausend Menschen, die einem Aufruf via Facebook gefolgt sind und unter dem Motto "No Ban, No Wall" vom Weißen Haus bis zum US-Kongress marschieren. Die Sprechchöre kritisieren die geplante Grenzmauer zu Mexiko, machen sich lustig über Trumps Äußeres ("Hands too small, can't build a wall") oder fordern dazu auf, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Auf Schildern steht "Wir sind alle Muslime", "Ihr gehört zu unserem Land" oder "Flüchtlinge haben Krieg und Verfolgung erlitten. Trump hält nicht mal Witze von Saturday Night Live aus".

Solche Sprüche zeigen eine große Kreativität, doch anders als beim Frauenmarsch schildern nun viel mehr Demonstranten ihre eigene Situation. Lames al-Kebsi stammt aus dem Jemen und studiert im zweiten Jahr an der University of Maryland. Sie hat auf ein Schild geschrieben, vor welch schreckliche Wahl sie das neue Dekret stellt: "Ich will meine Familie sehen, aber ich will auch meinen Abschluss machen. Zwingt mich nicht, zwischen beidem zu wählen."

Tausende demonstrieren - wie hier am Los Angeles International Airport gegen Trumps Einreiseverbot für Muslime; Foto: Getty Images
Solidarität mit Geflüchteten und Muslimen: Tausende Menschen haben in den USA erneut gegen das von Präsident Donald Trump verhängte Einreiseverbot für Bürger aus mehreren muslimischen Staaten protestiert. In New York versammelten sich am Sonntag mehrere tausend Demonstranten. Tausende weitere demonstrierten vor dem Weißen Haus sowie in Boston. Auch in anderen Städten und auf mehreren Flughäfen des Landes riefen Aktivisten zu Protestkundgebungen auf.

Lames fürchtet, dass sie kein Studentenvisum mehr bekommt und illegal im Land bleiben muss, um ihre Ausbildung zu beenden. Ein Besuch ihrer Eltern, die in Saudi-Arabien arbeiten, sei vorerst unmöglich, erzählt sie. Auch sie lobt die Solidarität: "Seit Monaten sind die Menschen netter zu mir. Es hat mich erstaunt, wie viele Leute Trump ablehnen und wie gespalten das Land ist, in welche Richtung es gehen soll." Die 19-Jährige trägt Kopftuch und schwärmt vom Women's March: "Das war meine erste Demo, was für ein Erlebnis. Mir war klar, dass heute viele Leute kommen würden."

Trump: Das ist keine anti-muslimische Maßnahme

US-Präsident Trump selbst verteidigt sich am Sonntagnachmittag in einer Mitteilung. Der 70-Jährige betont, dass Amerika "weiter Mitgefühl für jene zeigen" werde, "die vor Unterdrückung flüchten, aber wir werden zugleich unsere eigenen Bürger und Grenzen schützen". Er betont, dass sein Vorgänger Barack Obama 2011 sechs Monate lang Visa für irakische Flüchtlinge verweigert und damit einen ähnlichen Schritt gegangen sei. Die sieben - mehrheitlich muslimischen - Staaten seien zuvor von Obama als "Quellen des Terrorismus" identifiziert worden: Es geht um Syrien, Libyen, Jemen, Somalia, Irak, Iran und den Sudan.

Wie die meisten Republikaner weist Trump die Darstellung zurück, es handle sich um einen "Bann gegen Muslime", wie die Medien "fälschlicherweise" berichten würden. Es gebe weltweit mehr als 40 mehrheitlich muslimische Länder, die nicht von seiner Direktive betroffen seien. Trump, der diese Maßnahme im Wahlkampf stets angekündigt hatte, formuliert es so: "Hier geht es nicht um Religion - es geht um Terror und darum, unser Land zu schützen."

Auch wenn dieses Statement erst nach dem Protestmarsch publik wird: Es dürfte nur wenige Demonstranten zum Umdenken bewegen. Auf einigen Schildern wird darauf hingewiesen, dass kein muslimisch geprägter Staat auf der Liste stand, in dem die Trump Organization Geschäfte macht (etwa die Türkei oder die Vereinigten Arabischen Emirate).

Für jemanden wie Bilal Askanyar ist es nahezu unmöglich, das Einreiseverbot nicht als Teil der wachsenden Islamophobie in den USA zu sehen. "Die Lage wird schwieriger für Muslime in diesem Land. Seit 9/11 werden wir in die Terror-Ecke geschoben und dabei machen sogar Demokraten wie Ex-Präsident Bill Clinton mit. Ich bin es leid, als amerikanischer Muslim stets meinen Patriotismus beweisen zu müssen", sagt der 31-Jährige.

"Schau' dich um, so entstehen Bewegungen"

Bilal war "unendlich traurig", als er von Trumps Erlass erfuhr: "Es widerspricht allem, wofür die USA stehen." Er war fünf, als er mit seinen Eltern aus Afghanistan in San Francisco ankam und besitzt heute einen US-Pass. Der Wahlsieg von Trump hat ihn politisiert und wie viele ist er fest entschlossen, seine persönlichen Werte zu verteidigen: "Ich werde von nun an zu jedem Protestmarsch gehen. Schau' dich um, so entstehen Bewegungen. Juden sind solidarisch mit Muslimen, Muslime mit Latinos und Latinos mit Schwulen, Lesben und Transsexuellen."

An Energie und Motivation fehlt es der neuen Protestbewegung auf keinen Fall, die manche Beobachter als "linke Tea Party" bezeichnen. Dieses Wochenende zeigt, dass der Frauenmarsch keine einmalige Sache war. Als die Menge an Trumps Hotel vorbeikommt, schallt ein lautes "Schämt euch" aus Tausenden Kehlen. Neben Trump persönlich kritisieren viele den umstrittene Präsidenten-Berater und Ex-Breitbart-Chef Steve Bannon ("Ban Bannon") und Trumps Schwiegersohn Jared Kushner.

Kirsten Eyles ist mit ihrer Tochter aus Maryland angereist und ihr Plakat richtet sich direkt an Kushner: "Hey Jared, erinnerst du dich an Rae Kushner? Sie war ein Flüchtling und deine Großmutter." Eyles begreift nicht, dass Kushner als Enkel von Holocaust-Überlebenden Trumps Politik unterstützen kann. "Es ergibt keinen Sinn, wir Amerikaner stammen doch alle von Flüchtlingen ab. Dass es Jared so gut geht, liegt daran, dass seine Großmutter aufgenommen wurde." Für die 46-Jährige ist das Demonstrieren ein "neuer Teilzeit-Job". Trump lasse ihr keine Wahl.

Nach drei Stunden sind die Demonstranten kurz vor dem Bahnhof angekommen. Bevor sich alles auflöst, macht sich die Menge auf den Weg zum Kapitol, dem Sitz des US-Kongresses. Hier wollen die Demokraten, die in beiden Kammern in der Opposition sind, Gesetze einreichen, um den Einreisestopp rückgängig zu machen.

"Bis nächstes Wochenende"

Chuck Schumer, der mächtigste demokratische Senator, gab bei einer Demonstration in New York in Sichtweite der Freiheitsstatue zu Protokoll, der Erlass sei unamerikanisch und verstoße gegen die wichtigsten Werte des Landes. Auch in Seattle, Chicago, Los Angeles, Minneapolis, New Orleans und Dutzenden anderen Städten wurde am Sonntag protestiert.

Eines der Schilder, die in Washington am meisten bejubelt werden, hält Jimmy Meritt in die Höhe. Vorne steht "Ich denke, wir machen das jetzt jedes Wochenende", auf die Rückseite hat er "Bis nächstes Wochenende" geschrieben. Jimmy trägt eine "Pussy Hat"-Strickmütze, die seine Frau vom Women's March mitgebracht hat. Er blieb damals zuhause, um auf das gemeinsame kleine Kind aufzupassen. "Heute bin ich da, wir wechseln uns ab. Donald Trump soll wissen: Einer von uns wird immer gegen ihn protestieren."

Matthias Kolb

© Süddeutsche Zeitung 2017