«Unkoordiniertes Beieinander» und «schwerwiegende Fehler»: Zeitzeugen blicken kritisch auf Beginn von Afghanistan-Einsatz

Falsche Vorstellungen vom Land, unrealistische Ziele, chaotische Vorbereitung: Zeitzeugen bescheinigen dem Afghanistan-Einsatz schwerwiegende Fehler schon am Anfang. Die Enquete-Kommission zur Aufarbeitung des Auslandseinsatzes hörte sie am Montag.



Berlin. In der ersten Sitzung der Enquete-Kommission des Bundestags zur Aufarbeitung des Afghanistan-Einsatzes haben damals an verantwortlicher Stelle Beteiligte von schweren Fehlern schon zu Beginn der Mission gesprochen. «Der Grundfehler war die Illusion - und ich würde sogar sagen selbstgerechte Hybris -, man könne von außen auch mit noch so vielen Dollars und hochgerüsteten Soldaten in Afghanistan in kurzer Zeit den Grundstein für eine demokratische Gesellschaft nach unseren westlichen Vorstellungen legen», sagte der damalige außenpolitische Berater von Altkanzler Gerhard Schröder (SPD), Michael Steiner, am Montag in der Sitzung. Der frühere Generalleutnant Carl-Hubertus von Butler kritisierte mangelnde Vorbereitungen für den militärischen Einsatz.



Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA hatten die westlichen Verbündeten eine militärische Unterstützung für den geplanten Afghanistan-Einsatz signalisiert. Am 22. Dezember 2001 fiel im Bundestag die Entscheidung, auch deutsche Soldatinnen und Soldaten zu entsenden. Bis dahin habe es keine operative Vorbereitung gegeben, schilderte Butler, der das erste Isaf-Kontingent mit deutscher Beteiligung anführte, rückblickend. Der Einsatz sei überstürzt gestartet, die Soldaten hätten dies als unprofessionell und chaotisch empfunden.



Butler kritisierte vor den Abgeordneten und Sachverständigen, die der im Juli eingesetzten Enquete-Kommission angehören, auch eine fehlende Vernetzung zwischen militärischen und anderen Aktivitäten Deutschlands in Afghanistan. Vernetzte Sicherheit habe nicht stattgefunden, sagte er. Ganz im Gegenteil habe er vonseiten anderer Ressorts den Eindruck gehabt, «dass die Verbindung zu Soldaten nicht gewollt ist». Auch Nichtregierungsorganisationen hätten den Kontakt zu den militärischen Kräften gemieden.



Er bezeichnete die Aktivitäten Deutschlands als «unkoordiniertes Beieinander». Damit sei die Chance vertan worden, die Bevölkerung für das internationale Engagement zu gewinnen, sagte Butler.



Der Bonner Konfliktforscher Conrad Schetter machte in seiner Analyse Fehler der westlichen Staaten beim Umgang und der Kooperation mit bereits vorhandenen Eliten in Afghanistan deutlich. In den Augen vieler Afghanen seien dieselben Eliten, die das Land seit Jahrzehnten beherrschten und den Afghanistankonflikt mit verursacht hatten, wieder von der internationalen Gemeinschaft hofiert und an die Macht gebracht worden, sagte er. Kriegsfürsten seien wieder «in Amt und Würden» gekommen.



Der Diplomat Steiner sprach von «schwerwiegenden Fehlern», die zu Beginn des Afghanistan-Einsatzes gemacht wurden. «Afghanistan war ein großes, fernes, armes, hartes, von Stammesrivalitäten beherrschtes Land, das durch Jahrzehnte Schrecken und Gewalt traumatisiert war», sagte er. Für die Zukunft empfahl er: «Wenn man von außen in einem völlig anderen Land interveniert, ist Demut vor dieser anderen Realität unabdingbar.»



Die Enquete-Kommission «Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands», hat die Aufgabe, den 20-jährigen Einsatz der Bundeswehr kritisch zu beleuchten und Empfehlungen für künftige Auslandseinsätze zu entwickeln. Zusätzlich berief der Bundestag einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, dessen Arbeit sich auf die militärische Evakuierungsaktion aus Kabul im August 2021 beschränkt, die wegen der schnellen Rückeroberung des Landes durch die radikal-islamischen Taliban nötig wurde. (epd)