Unabhängigkeitsstreit: Kurdenpräsident Barsani zieht sich zurück

Er plante, die irakischen Kurden in die Unabhängigkeit zu führen. Doch nachdem er sich beim Referendum zur Abspaltung der Minderheit verkalkulierte, will Kurden-Präsident Massud Barsani nun aus dem Amt scheiden. Ist nun eine Entspannung im Streit mit Bagdad in Sicht? Von Resala al-Sharkani und Benno Schwinghammer

Nach dem Rückschlag im Kampf um einen unabhängigen Kurdenstaat will sich der Präsident der irakischen Minderheit, Massud Barsani, zurückziehen. «Ich habe unter keinen Bedingungen akzeptiert, mein Mandat zu verlängern», sagte er am vergangenen Sonntag in einer TV-Ansprache. Barsani wird nach Ablauf seines Mandats am 1. November nach mehr als zwölf Jahren vom höchsten Posten der Autonomieregion im Nordirak abtreten. Er selbst werde Kurdistan als Peschmerga-Kämpfer erhalten bleiben.

Barsani hatte sich mit dem Unabhängigkeitsreferendum der irakischen Kurden Ende September verkalkuliert. Zwar stimmte eine überwältigende Mehrheit von mehr als 92 Prozent für eine Abspaltung der Kurdengebiete vom Irak. Die Zentralregierung in Bagdad, die das Votum ablehnt und eine Annullierung seines Ergebnisses fordert, griff in der Folge aber mit harter Hand gegen Erbil durch.

Die irakische Armee und verbündete Schiitenmilizen rückten in Gebiete vor, die die Kurden vor rund drei Jahren unter ihre Kontrolle gebracht hatten. Dabei handelt es sich um Regionen, auf die sowohl die Zentralregierung als auch die Kurden Anspruch erheben, darunter die ölreiche Provinz Kirkuk. Die kurdischen Peschmerga-Kämpfer zogen sich aus vielen Gebieten kampflos zurück. Es gab bis zuletzt aber stellenweise immer wieder Gefechte. Als zusätzliche Maßnahme ließ Bagdad internationale Flüge nach Kurdistan verbieten.

In seiner Fernseh-Ansprache warf Barsani der Zentralregierung vor, das Referendum als Vorwand für eine länger geplante Kampagne gegen die Kurden benutzt zu haben. «Wenn es Bagdads Plan ist, die Region Kurdistan auszulöschen, werden wir das nicht erlauben», sagte er. Tausende Kurden seien darauf vorbereitet, sich und ihre «Nation» zu verteidigen. Die USA kritisierte er scharf für ihr Schweigen, während irakische Truppen die Kurden mit amerikanischen Waffen angegriffen hätten.

In einer geheimen Sitzung einigten sich die Abgeordneten in Erbil am Abend darauf, die Macht Barsanis zunächst auf Parlament, Regierung und Justiz der Autonomieregion zu verteilen. Zeitweilig musste die Diskussion wegen großer Spannungen zwischen den Fraktionen unterbrochen werden. Barsani hatte zuvor in einem Brief an das Parlament seinen Rückzug angekündigt. Er schrieb, die Abgeordneten sollten sich um die Machtübergabe kümmern und kein politisches Vakuum zulassen.

Berichten zufolge kochten auch außerhalb des Abgeordnetenhauses die Emotionen hoch. Dutzende Demonstranten hätten einen Teil des Parlaments gestürmt und Slogans gegen Gegner Barsanis gerufen. Verletzte wurden zunächst nicht gemeldet. Außerhalb des Parlaments feuerten Sicherheitskräfte Warnschüsse in die Luft, wie Augenzeugen berichteten.

Der Rückzug Barsanis könnte den Konflikt mit Bagdad entspannen, da sein Verhältnis mit der Zentralregierung von Ministerpräsident Haidar al-Abadi schwer gestört ist. Bereits am letzten Samstag hatten sich Delegationen aus Bagdad und Erbil getroffen, um Streitpunkte über Verhandlungen auszuräumen. So will die irakische Armee die Kontrolle über die Außengrenzen auch im Norden des Landes übernehmen. 

Barsanis achtjährige Amtszeit hätte eigentlich schon 2013 enden müssen. Doch auch nach einer zweijährigen Verlängerung durch das Parlament blieb er im Amt. Begründet wurde das mit dem Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), die bis vor wenigen Monaten weite Teile auch im Norden des Iraks kontrollierte. Zuletzt waren die für den 1. November angekündigten Präsidentschaftswahlen in Irakisch-Kurdistan um acht Monate verschoben worden.

Die Kurden genießen im Nordirak weitgehende Autonomierechte. Sie sind wichtiger Partner des Westens im Kampf gegen den IS. Deutschland und andere Staaten unterstützen die Kurden mit Waffen. Sie bilden außerdem Peschmerga-Kämpfer aus. (dpa)